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Kein Partei-Liebling

Nach politischer Karriere mit Höhen und Tiefen: Olaf Scholz stellt sich der Wahl zum Bundeskanzler

In seiner politischen Karriere musste Olaf Scholz viele Niederlagen hinnehmen. Ein Liebling der Partei war er nie. Doch unbeirrt machte er immer weiter. Er wollte Bundeskanzler werden. An diesem Mittwoch ist es soweit.

Olaf Scholz (SPD), designierter Bundeskanzler, spricht bei der Vorstellung der SPD-Minister und -Ministerinnen im Willy-Brandt-Haus. +++ dpa-Bildfunk +++
In der Nachfolge Willy Brandts: Als vierter Sozialdemokrat wird Olaf Scholz an diesem Mittwoch zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschkand gewählt. Foto: Michael Kappeler/dpa

Bochum, 17. November 2003. Die SPD regiert seit fünf Jahren und stellt in Gerhard Schröder den Bundeskanzler. Doch die Stimmung in der Partei ist desaströs, die Basis läuft Sturm gegen die Hartz-Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes. Auf dem Parteitag in Bochum entlädt sich der angestaute Frust.

Während Gerhard Schröder mit einem blauen Auge davonkommt und mit 80,8 Prozent als Parteichef bestätigt wird, muss sein Generalsekretär Olaf Scholz, in der Öffentlichkeit als hölzerner „Scholzomat“ verspottet, als Blitzableiter herhalten. Nur 52,6 Prozent der Delegierten bestätigen ihn im Amt, damit erhält er gerade fünf Stimmen mehr als notwendig. Noch nie in der Geschichte der SPD wurde ein Generalsekretär derart abgestraft.

Berlin, 30. November 2019: Die SPD, seit sechs Jahren Juniorpartner in einer Großen Koalition, sucht wieder einmal eine neue Parteispitze.

Nach 23 Regionalkonferenzen und einer Urwahl setzten sich in einer Stichwahl die maßgeblich von Juso-Chef Kevin Kühnert und dem linken Flügel unterstützten, in der Öffentlichkeit dagegen weitgehend unbekannten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit 53,1 zu 45,3 Prozent gegen Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz und die frühere brandenburgische Landtagsabgeordnete Klara Geywitz durch. Heftiger könnte die Klatsche für den Merkel-Stellvertreter nicht ausfallen.

Auf SPD-Parteitagen fährt Olaf Scholz traditionell schlechte Ergebnisse ein

Andere Politiker hätten zwei derart schwere Niederlagen kaum überlebt und sich resigniert zurückgezogen. Zumal sie kein Einzelfall sind. Noch nie war ein Olaf Scholz ein Liebling der Partei, der die Herzen der Delegierten wärmt. Fast schon traditionell fährt er auf Parteitagen bei Wahlen zum Vize-Chef das schlechteste oder zweitschlechteste Ergebnis ein.

Doch stoisch erträgt er die Demütigungen und macht einfach weiter. Denn er hat Großes vor. Er will Bundeskanzler werden und eine Regierung führen. Schon 2017 strebt er intern die Kanzlerkandidatur an, doch die Partei gibt Martin Schulz, dem früheren Präsidenten des Europa-Parlaments, den Vorzug.

Olaf Scholz glaubt trotz Niederlagen immer an seine Chance

Vier Jahre später ist der Weg frei. An diesem Mittwoch wird der Deutsche Bundestag ihn mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP zum neunten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und zum vierten Regierungschef der SPD wählen. Mit der Ampel hat er eine Synthese aus sozial-liberaler und rot-grüner Koalition geschmiedet, die von 1969 bis 1982 und von 1998 bis 2005 unter Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder regiert haben.

Damit hat er es allen gezeigt, in der eigenen Partei wie in der Öffentlichkeit, die seine Kanzlerkandidatur belächelt und sie als aussichtsloses Unterfangen gehalten haben. Scholz jedoch sah seine Chance gegen eine Union ohne ihr Zugpferd Angela Merkel. Konsequent präsentierte er sich im Wahlkampf als wahrer Erbe der Kanzlerin.

Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.
Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD

Vor allem aber sieht sich der 63-jährige Hanseat in der Tradition seines Landsmanns Helmut Schmidt als pragmatischer Macher, frei von Ideologie oder Pathos, nüchtern, kontrolliert und emotionslos bis zur Grenze der Langweiligkeit. Schmidts Wort, wer Visionen habe, sollte zum Arzt gehen, könnte auch von ihm stammen, er selber hat schon vor Jahren die Devise ausgegeben: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“

Da es in der SPD allerdings nie ganz ohne Willy Brandt geht, stellt sich Scholz auch bewusst in dessen Tradition. „Ein solcher Aufbruch soll uns wieder gelingen“, sagt er mit Blick auf die sozial-liberale Koalition.

Scholz sammelt Erfahrung auf dem internationalen Parkett

An Selbstbewusstsein wie Machtbewusstsein mangelt es ihm ohnehin nicht. In einem Kabinett der zahlreichen Neulinge, nicht nur bei den bisherigen Oppositionsparteien FDP und Grüne, sondern auch in seiner eigenen Partei, steht er für vielfältige Erfahrung auf Bundes- und auf Landesebene.

Viele Jahre führte er die Hamburger SPD, er war SPD-Generalsekretär und Vize-Chef, Hamburger Innensenator (2001), Arbeits- und Sozialminister in der ersten Großen Koalition (2007 bis 2009), Erster Bürgermeister von Hamburg (2011 bis 2018) sowie Vizekanzler und Bundesfinanzminister (seit 2018).

In diesem Amt sammelte er reichlich Erfahrung auf dem internationalen Parkett. Im Kreis der EU-Finanzminister und der Ressortchefs der Eurozone in Brüssel bewegte er sich ebenso sicher wie bei den Treffen im G7- oder G20-Format sowie von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Washington.

Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg und Cum-Ex-Skandal sorgen für Kritik

Seine Bilanz als Hamburger Bürgermeister wie als Finanzminister ist allerdings nicht so makellos, wie er es gerne hätte. Die schweren Ausschreitungen auf dem G20-Gipfel im Juli 2017 mit Straßenkämpfen und Plünderungen beschädigten sein Image vom Macher, hatte er doch versprochen: „Seien Sie unbesorgt: Wir können die Sicherheit garantieren.“ Ein Untersuchungsausschuss legte schwere Versäumnisse offen.

Ebenso umstritten ist seine Rolle gegenüber der Hamburger Privatbank Warburg im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal. Ein Untersuchungsausschuss versucht zu klären, ob er nach Treffen mit dem Mitinhaber der Bank eine Steuerrückzahlung in zweistelliger Millionenhöhe verhindert hat. Bislang perlten die Vorwürfe gegen ihn allerdings spurlos ab.

Als Kanzler hat er Großes vor. Mit einer Legislaturperiode will er sich nicht begnügen. Das Bündnis mit Liberalen und Grünen sei auf Dauer angelegt, sagt er und kündigt schon mal an, länger als vier Jahre regieren zu wollen. Auch damit nimmt er Maß an seinen Vorgängern. Willy Brandt war fünf, Gerhard Schröder sieben und Helmut Schmidt acht Jahre an der Macht.

Da kommt sein unbändiger Ehrgeiz wieder durch. Aber anders wäre auch nach einer Karriere mit Höhen und Tiefen der Einzug in das Kanzleramt nicht zustande gekommen.

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