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"Kein Waldsterben"

Waldexperte Peter Wohlleben über Klimawandel: „Es ist besser, die Natur sich selbst zu überlassen“

Schwerwiegende Fehler der Waldwirtschaft haben dazu geführt, dass die geschwächten deutschen Wälder jetzt verstärkt an den Folgen des Klimawandels leiden. Das sagt Deutschlands bekanntester Baumexperte und Bestsellerautor, Peter Wohlleben. Im Gespräch mit den BNN plädiert er dafür, möglichst wenig in die Natur einzugreifen.

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Foto: SWR - Südwestrundfunk/obs - Foto: None

Ihr neues Buch ist ein Plädoyer, die Natur neu zu entdecken und darüber zu staunen. Welche Ihrer Entdeckungen der letzten Zeit hat Sie besonders beeindruckt?

Wohlleben: Die mit dem alten Kauri-Baumstumpf in Neuseeland. Es wurde nachgewiesen, dass er von den anderen Bäumen mitversorgt wird. Das zeigt: Die Natur ist nicht auf Kampf ausgerichtet, sondern sehr sozial und richtet sich nach dem Prinzip „miteinander“, nicht „gegeneinander“.

Sie machen sich Gedanken über das harmonische Zusammenspiel von Baum und Mensch. Werden wir eines Tages fühlen können, was Bäume fühlen – und umgekehrt?

Wohlleben: Nein, dazu sind wir evolutionär zu unterschiedlich. So haben die Bäume eine Duftsprache, sie ist ganz anders als unsere. Es wird immer Verständnisbarrieren geben. Wobei wir und die Bäume auch einiges gemeinsam haben, zum Beispiel, das Sich-umeinander-Kümmern.

Dabei geht es heute vielen Bäumen nicht gut. „Lässt sich das große Waldsterben verhindern?“, fragte neulich ein Magazin. Wie würden Sie diese Frage beantworten?

Wohlleben: Es gibt kein Waldsterben. Im Moment erleben wir ein Plantagensterben. Dort, wo wir naturferne Pseudowälder aufgezogen haben, gehen sie ein. Dies ist bedingt auch durch den Klimawandel. Aber es war die Vorschädigung, die diese Bäume so labil gemacht hat wie ein Maisfeld. Das sie jetzt aufgeben, ist ein Warnsignal, das man ernst nehmen sollte. Je weniger wir das natürliche Spiel der Kräfte einengen, desto besser kommt der Wald damit zurecht.

Können wir erwarten, dass sich die Bäume an die Klimaveränderungen evolutionär anpassen und die Wälder selbst an Kraft gewinnen?

Wohlleben: Sie werden sich nicht so schnell anpassen, weil die Bäume lange Reproduktionszyklen haben. Die Maus braucht sechs Wochen, um sich zu reproduzieren, bei den Bäumen dauert es 500 Jahre. Anders als in den künstlichen Plantagen gibt es in den Wäldern mit vielen verschiedenen Bäumen aber ein sehr breites genetisches Spektrum. Und dort finden sich auch Bäume, die sich anpassen. Die Forschung zeigt, dass Wälder, die in Ruhe gelassen werden – das sind bei uns zum Beispiel alte Laubwälder – sich im Vergleich zu Kiefernplantagen im Sommer um acht Grad mehr herunterkühlen. Solche naturbelassenen Ökosysteme können die Erderwärmung ganz gut abpuffern, weil sie mehr Feuchtigkeit speichern.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hält an diesem Mittwoch einen Nationalen Waldgipfel ab.

Was wünschen Sie sich von diesem Krisentreffen?

Wohlleben: Dass davon ein starkes Signal ausgeht, den Wäldern mehr Luft zu lassen. Leider bleibt Frau Klöckner mit Begrifflichkeiten wie der Schadholzberäumung und dem Wiederaufforsten im Plantagensystem, das hört sich für mich nicht gut an. Sie trifft damit die Erwartungen einer großen Lobby, die darauf hofft, demnächst viel Geld aus dem Füllhorn ausgeschüttet zu bekommen. Ich finde, man sollte dieses Geld als Entschädigung für Waldbesitzer bereitstellen, die ihre toten Bäume stehen lassen. Würde man sie abräumen, blieben verödete und kaputt gefahrene Böden zurück. So ist das aber ein wertvolles Kapital in Form vom neu gebildetem Humus für die nächste Waldgeneration.

Klöckner will kranke Wälder mit Sorten aufforsten, die an die unterschiedlichen Standorte und die veränderten Klimabedingungen angepasst sind. Ist das sinnvoll?

Wohlleben: Das Problem ist, dass keiner weiß, was uns erwartet. Trotz des globalen Temperaturanstiegs kann es lokal zu Abkühlungen kommen. Ob bestimmte Bäume mit solchen Bedingungen besser klar kommen als andere, ist ungewiss. Wir würden es erst in 50 Jahren wissen, wenn wir uns auf solch ein Experiment einlassen. Ein Beispiel ist die Douglasie: Frau Klöckner hat sie pressewirksam gepflanzt, bei uns geht sie aber hektarweise ein. Auch in ihrer nordamerikanischen Heimat stirbt die Douglasie jetzt wegen des Klimawandels ab. Solche Importe sind nicht sinnvoll. Wir haben mehr als 30 heimische Laubbaumarten wie die Feldahorn, die bestens mit Temperaturschwankungen und Trockenheit klar kommen. Es ist viel besser, die Natur sich selbst zu überlassen, als mit der Brechstange etwas zu etablieren. Man sollte die Finger von einer Taschenuhr weglassen, wenn man das Zusammenspiel der Zahnräder nicht kennt.

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Wälder in Deutschland leiden an den Folgen des Klimawandels. Foto: dpa Foto: None

Welches Land könnten wir uns zum Vorbild nehmen, wenn es um den Erhalt von Wäldern geht?

Wohlleben: Bhutan. Dass der Wald dort gut geschützt ist, das ist kein Zufall. Denn in Bhutan geht es nicht um das Bruttosozialprodukt, sondern um das Bruttonationalglück. Alle Menschen suchen im Leben Glück, Liebe und Zuneigung, weniger den materiellen Wohlstand. Dagegen schielt die Politik immer auf das Wachstum. Es wird uns nicht gelingen, die Natur nur mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu schützen. Wir brauchen mehr Empathie...

...und darum plädieren Sie in ihrem Buch auch für eine „Kehrtwende der Herzen“. Sehen Sie heute die jungen Menschen, die für „Fridays for Future“ auf die Straße gehen, als Hauptakteure einer solchen Wende?

Wohlleben: Ja. Wir dachten früher, dass die „Generation Handy“ für politische Dinge verloren ist. Doch es sind gerade die Grundschüler, die Kanzlerin Merkel vor sich hertreiben. Bei meinen eigenen Kindern, die 25 und 28 Jahre alt sind, erlebe ich gerade, dass Geld keine große Rolle spielt – sie wollen vielmehr etwas zum Positiven verändern. Dafür steht auch die Bewegung „Fridays for Future“. Wir sollten allerdings nicht nur apokalyptische Stimmungen erzeugen. Wenn wir uns darauf besinnen, was uns wirklich gut tut, dann gehen wir mit der Natur automatisch ganz anders um.

Müssten Naturschutz und Waldschutz nicht in der Bildung – vor allem in der schulischen Bildung – neu gedacht werden, damit die neuen Generationen mit der Umwelt besser umgehen als früher?

Wohlleben: Ja, das sehe ich auch so. Deswegen bieten wir in unserer Waldakademie kostenlose Führungen für Schulklassen an. Das Erleben ist wichtig, und davon vermittelt die Schule heute zu wenig, die das Weltbild vor allem technisch erklärt.

Das in Japan verbreitete Waldbaden gewinnt auch in Deutschland an Popularität. Haben Sie ein Geheimrezept für ein solches Waldbad, das gesünder macht?

Wohlleben: Ja, man sollte sich am besten nichts vornehmen. Die typische Frage, die wir nach einer Wanderung hören, lautet: „Wie viele Kilometer waren es?“ Viel seltener werden wir gefragt, welche Eindrücke wir hatten. Es tut gut, im Wald zu trödeln, keine Strecke und keinen Zeitplan im Kopf zu haben. Und wenn man an einem Tag nur 100 Meter schafft, ist das auch in Ordnung.

In den Wäldern im Südwesten ist gerade die Kermesbeere auf dem Vormarsch, die als invasive Art einheimische Pflanzen verdrängt. Was sollten wir dagegen tun?

Wohlleben: Das ist eine amerikanische Pflanze, die Licht braucht und sich dort wohlfühlt, wo wir den Wald zu stark aufgelichteten Plantagen mit vielen Freiflächen verändert haben. Wenn wir mehr Natürlichkeit zulassen und zu unseren alten, relativ dunklen Laubwäldern zurückkehren, dann werden solche „Neubürger“ wieder verschwinden.

„Die Wälder sind mein berufliches Zuhause, und die Arbeit mit Bäumen ist mein Leben“, sagt Peter Wohlleben. Mit seinen Bestsellern „Das geheime Leben der Bäume“, „Das Seelenleben der Tiere“ und „Das geheime Netzwerk der Natur“ hat der 55-jährige Autor Menschen auf der ganzen Welt begeistert. Wohlleben studierte Forstwirtschaft und war lange Zeit Beamter der Landesforstverwaltung. Heute leitet er eine Waldakademie in der Eifel. Im Ludwig Verlag ist gerade Wohllebens neues Buch „Das geheime Band zwischen Mensch und Natur“ erschienen (240 S., 22 Euro).

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