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Horrorlisten und Hoffnungsschimmer

Welche Berufe sind durch Künstliche Intelligenz bedroht?

Seit ChatGPT für Furore sorgt, fürchten auch hochqualifizierte Menschen, dass sie ihren Arbeitsplatz an die Künstliche Intelligenz verlieren. Horror-Listen kursieren.

Kollege Kunsthirn vertreibt die Menschen von ihrem Arbeitsplatz: Diese düstere Vision beschäftigt aktuell viele Arbeitnehmer.
Kollege Kunsthirn vertreibt die Menschen von ihrem Arbeitsplatz: Diese düstere Vision beschäftigt aktuell viele Arbeitnehmer. Neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz haben schlagartig klargemacht, wie leicht der Mensch bei vielen Tätigkeiten zu ersetzen ist. Foto: StockPhotoPro/Adobe Stock

An Horror-Prognosen mangelt es nicht: Weltweit könne ein Viertel aller Vollzeit-Arbeitsplätze verloren gehen, weil Künstliche Intelligenz (KI) den Menschen ersetzt. Mathematiker und Buchhalter, Dolmetscherinnen und Sekretäre würden bald in großer Zahl überflüssig – weil künstliche Superhirne riesige Datenmengen selbst managen und weil Chefs nur ein paar Sprachbefehle geben müssen, damit eine KI Briefe schreibt, Übersetzungen liefert und Termine organisiert.

Auch Finanzexperten, Juristen, Grafikgestalter, Call-Center-Mitarbeiter, Steuerberater und Journalisten tauchen auf den – teils widersprüchlichen – Listen mit bedrohten Berufen auf. Seit ChatGPT weltweit für Furore sorgt, jagt eine Untergangphantasie die nächste.

Studie prophezeit Verlust von 300 Millionen Vollzeit-Jobs weltweit

In Sekundenschnelle spuckt der sprach- und textbasierte Chatbot beeindruckende Lösungen und Texte aus. ChatGPT gehört zu den sogenannten generativen KI-Systemen. Sie können originelle neue Inhalte produzieren, nicht nur Texte und Kalkulationen, auch Bilder, Videos, Musik und Kunstwerke.

Einen Großteil aller Jobs würde das in irgendeiner Form betreffen, betonte kürzlich die Forschungsabteilung der Investmentbank Goldman Sachs in einer alarmierenden Prognose: „Rechnet man unsere Schätzungen auf die ganze Welt hoch, so könnte generative KI das Äquivalent von 300 Millionen Vollzeit-Arbeitsplätzen der Automatisierung aussetzen.“ Zum Vergleich: Weltweit gibt es geschätzt 1,7 Milliarden Arbeitnehmer– illegale Beschäftigungsverhältnisse nicht mitgerechnet.

Das halte ich für totalen Unsinn.
Oliver Suchy
Abteilungsleiter beim DGB und KI-Kenner

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) wiederum prophezeite jüngst, bis zum Jahr 2027 würden rund 83 Millionen Jobs weltweit abgebaut – und im Gegenzug nur 69 Millionen neue Jobs geschaffen. Oliver Suchy vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) warnt vor solchen Zahlenspielen. „Ich halte, ehrlich gesagt, von all den Studien wenig“, sagt der Leiter der Abteilung „Grundsatz und gute Arbeit“.

Unverantwortlich findet er apokalyptische Berechnungen, wonach rund ein Viertel aller Menschen ihren Job verlieren könnte. „Das halte ich für totalen Unsinn“, sagt Suchy. Man müsse die Menschen nicht unnötig in Angst und Schrecken versetzen. Dass der Arbeitswelt ein Umbruch bevorsteht, bestreitet der DGB-Experte aber keineswegs.

Mitarbeiter im Call-Center könnte der Burnout drohen, wenn die KI ständig kritisiert

„Einerseits wird es natürlich eine Rationalisierung geben – und die werden wir auch brauchen“, sagt Suchy. Er verweist auf den enormen Fachkräftemangel: Bis zum Jahr 2035 sollen in Deutschland sieben Millionen Arbeitnehmer fehlen, weil die Babyboomer dann alle in Rente sind. Die zentrale Frage laute: Wie setze ich KI menschenfreundlich ein, damit sie den Menschen unterstützt und nicht ins Gegenteil kippt? „Darauf kommt es an“, betont Suchy.

Er nennt das Beispiel Call-Center: Dort werde es sicher einen hohen Grad an Automatisierung geben. Künstliche Intelligenz könne den Kundenberatern viele hilfreiche Informationen liefern. Doch wenn sie die Menschen ständig korrigiere und ihnen sage, sie sollten lauter, langsamer, deutlicher sprechen oder freundlicher sein – dann könnte sie die Call-Center-Mitarbeiter auch in einen Burnout treiben. „Psychische Probleme haben wir schon heute zu viele“, sagt Suchy.

Ein Mitarbeiter im Call-Center sitzt offensichtlich müde und gestresst vor dem Computer. Er hat die Augen geschlossen, den Kopf hält er gesenkt und massiert sich mit den Fingern die Nase-Stirn-Partie.
Mitarbeitern im Call-Center dürfte bald Kollege Kunsthirn im Nacken sitzen. Ein Experte des Deutschen Gewerkschaftsbunds warnt: Wenn die KI den Menschen ständig korrigiert und kritisiert, droht der Burnout. Foto: Anela Ramba/Adobe Stock

Routine-Arbeiten sind auch entlastend für den Menschen

Zugleich warnt der DGB-Mann vor falschen Erlösungssehnsüchten, nach dem Motto: Kollege Supercomputer werde dem Menschen vor allem lästige Routinearbeiten abnehmen – und ihm Freiraum für wahre Kreativität schaffen. Ein schöner Irrtum, meint Suchy.

Denn jeder Mensch brauche auch leicht zu erledigende Routine-Aufgaben: „Man kann ja nicht permanent auf hundert Prozent arbeiten.“ Wenn in Zukunft die KI fast alle Mails alleine sortiere und leichte Anfragen selbst beantworte, blieben dem Menschen nur noch die harten Beschwerdefälle, fürchtet Suchy. Da könnten einige Betroffene durchdrehen.

Wichtig sei, dass Firmenchefs die Mitarbeiter früh einbinden, wenn die KI neu Einzug halte – denn die Beschäftigten wüssten am besten, wie die Supersoftware sinnvoll eingesetzt werden könne.

Linda Nierling vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) spricht von einer „demokratischen Technikgestaltung“, die nun nötig sei. Jeder müsse möglichst über KI Bescheid wissen – und über Einsatzmöglichkeiten und Risiken: „Das betrifft insbesondere Berufsgruppen wie Lehrkräfte, Wissenschaftler, Mediziner und Journalisten.“

KIT-Expertin warnt vor Dramatisierung und fordert klare Kontrolle des KI-Einsatzes

Nierling arbeitet am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) und leitet dort die Forschungsgruppe „Digitale Technologien und gesellschaftlicher Wandel“. Typisch für die aktuelle Debatte ist aus ihrer Sicht eine sprachliche Dramatisierung. Mal erscheine Künstliche Intelligenz als Wunderwaffe, dann wieder als dämonische, zerstörerische Gefahr.

Von einem „digitalen Tsunami“ und einem „Tschernobyl der KI“ war schon die Rede. Nierling hingegen geht es darum, dass die Gesellschaft den Einsatz der Technologie nüchtern auf den Prüfstand stellt: Mit welchen Daten ist die KI gefüttert? Wie funktionieren Entscheidungsprozesse?

Wo droht Diskriminierung? Nierling nennt ein Beispiel: Wenn Künstliche Intelligenz für die Arbeitsagentur die Kandidaten für eine Weiterbildung auswähle – aber einer Mutter von drei Kindern womöglich kein Angebot mache, weil sie erschwerte Bedingungen hat.

Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz Foto: BNN-Infografik

Die Angst der Juristen – und ein peinlicher Fall aus den USA

Sorgen machen sich zurzeit manche Jura-Studenten und hochqualifizierte Volljuristen: Wie viele ihrer Art werden künftig noch gebraucht – wenn die KI innerhalb von wenigen Sekunden relevante Paragrafen, Argumente und Präzedenz-Urteile findet, nach denen Juristen aus Fleisch und Blut stundenlang recherchieren? Aufhorchen ließ da im Juni ein peinlicher Fall aus den USA: Ein Jurist hatte sich auf Kollege Kunsthirn verlassen und zitierte ein angebliches Präzedenz-Urteil – doch das hatte ChatGPT frei erfunden. Der Anwalt musste dann selbst vor Gericht vorreiten, weil er seine Sorgfaltspflicht verletzt hatte.

„Das ist ein ganz wichtiges Beispiel für ein falsches Vertrauen in die KI“, sagt Nierling. Es müsse immer noch Menschen geben, die entscheiden, was richtig sei – „gerade in verantwortungsvollen Berufen wie dem von Richterinnen und Richtern“. KI könne bei aufwändigen Aktendurchsuchungen einige Arbeit übernehmen, aber wichtig bleibe eine fundierte Ausbildung und die menschliche Urteilsfähigkeit, sagt die KI-Expertin.

Auch Buchhalter dürften nach ihrer Einschätzung nicht völlig verzichtbar werden, selbst wenn hochentwickelte Software riesige Datenmengen automatisiert managt. „Es entstehen neue Tätigkeitsfelder“, sagt Nierling. Der Mensch müsse Ergebnisse analysieren. Er müsse den Chatbot, der Anfragen bearbeitet, auch betreuen und dabei helfen, ihn weiterzuentwickeln.

Dazu passt die Ankündigung des Mannheimer Medienhauses von Radio bigFM: Es plant ein KI-Radio ohne menschliche Moderatoren. Und es kündigte vor einigen Tagen auch an, dadurch würden eher neue Stellen geschaffen: „Das zusätzliche Programm kostet ja eher mehr Betreuungskapazitäten.“

Wenn Jobs ersetzbar sind, werde das auch passieren, sagt Nierling – aber die Frage sei, wie viele neue Arbeitsplätze an anderer Stelle entstünden und zu wie viel Prozent einzelne Tätigkeiten durch KI ersetzbar seien. „Bei Bürotätigkeiten werden sich Aufgaben von der Texterstellung zur Textkontrolle hin verändern“, sagt Nierling. „Hier ist es wichtig anstehende Veränderungen aktiv zu gestalten.“ Auch Grafiker stünden vor einer „Herausforderung“, wenn Programme selbstständig Bilder und Grafiken generierten.

Aber die Top Ten der künftigen Arbeitslosen? An solchen Listen will Nierling nicht mitschreiben. Auch prozentgenaue düstere Prophezeiungen sollten aus ihrer Sicht nicht die öffentliche Debatte bestimmen: „Man sollte vielmehr über die Transformation von Berufsfeldern sprechen.“

Die Wissenschaftlerin erinnert an die Frey-Osborne-Studie, die schon 2013 eine Alarmstimmung ausgelöst hat: Die prognostizierte damals, dass in den USA die Jobs von 47 Prozent der Beschäftigten innerhalb von 10 bis 20 Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit automatisiert werden könnten. Bisher ist nicht in Sicht, dass sie sich bewahrheitet.

Fachkräfte betreuen eine Patientin auf der Intensivstation.
Auf der Intensivstation könnte Künstliche Intelligenz große Fortschritte bringen: Mediziner erhoffen sich eine bessere Früherkennung und individuellere Betreuung der Patienten. Foto: Peakstock/Adobe Stock

Intensivmediziner sehen große Chancen in Künstlicher Intelligenz

Vor allem Chancen sieht ein Berufsstand im KI-Einsatz: die Intensivmediziner. „Vielleicht ist es schon bald möglich, einen digitalen Zwilling für Intensivpatienten zu entwickeln, an dem wir bestimmte Dinge vorhersagen könnten, zum Beispiel die Entwicklung einer Sepsis oder eines akuten Lungenversagens“, erklärte der Aachener Klinik-Chef Gernot Marx jüngst.

Der designierte Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) beteuert gegenüber dieser Zeitung: „Es geht nicht darum, dass ein Computer dann über Leben und Tod entscheidet.“

Es gehe vielmehr um eine Unterstützung des Menschen, um eine bessere Ausgangsbasis für seine Entscheidungen. Die Künstliche Intelligenz könne permanent Gesundheitsdaten messen und auswerten – und so womöglich manche akute Krise vermeiden, zum Beispiel bei einer Blutvergiftung: „Wenn wir die früh diagnostizieren, können wir früh Antibiotika geben.“ Der Faktor Mensch aber bleibe in der Pflege und in der Medizin elementar wichtig. Da auch hier aber Kräfte fehlen, könne die KI helfen, die Versorgung zu sichern.

ChatGPT sieht Fabrikarbeiter, Kassierer und Statistiker bedroht

Und was meint eigentlich der bewunderte und gefürchtete Chatbot ChatGPT: Welche Berufe gefährden Typen wie er? Da nennt er an erster Stelle Fabrikarbeiter, Kassierer und Lagerarbeiter. An zweiter Stelle kommen Datenanalysten und Statistiker. Auf Platz drei: Lkw-Fahrer, Taxi- und Kurierfahrer, die durch autonome Fahrzeuge überflüssig werden könnten.

Rang vier nimmt die Kundenbetreuung ein. Allerdings schickt ChatGPT auch umgehend hinterher: Für komplexe Anliegen, für die Daten-Interpretation und die Überwachung der KI-gesteuerten Fahrzeuge und Systeme sei menschliche Expertise weiterhin erforderlich. Für den diplomatischen Dienst ist die KI offenbar auch geeignet.

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