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Gehsteig-Belästigung

Eine Bannmeile gegen Abtreibungsgegner vor Pforzheimer Pro Familia

Die Proteste der Abtreibungsgegner bei Pro Familia haben weiterreichende Folgen, als es ihnen wohl selbst bewusst ist. Sie stellen alle Frauen, die zur Beratung kommen, unter einen Generalverdacht.

Pro Familia in Pforzheim
Am Welttag der sozialen Gerechtigkeit machen Vertreterinnen des Paritätischen Wohlfahrtsverband und von Pro Familia in Pforzheim auf die zunehmende Not vieler Familien aufmerksam, die in die Beratungsstelle kommen. Foto: Claudia Kraus

Einen Abstand von 100 Metern sollen Abtreibungsgegner in Zukunft vor Schwangeren-Beratungsstellen und Arztpraxen einhalten. Andernfalls drohen Bußgelder in Höhe von bis zu 5.000 Euro.

So sieht es ein Gesetzentwurf vor, der kürzlich im Bundeskabinett beschlossen wurde. Grundsätzlich könne das ein guter Kompromiss zwischen Selbstbestimmungs- und Informationsrecht der Schwangeren einerseits und dem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Protestierenden andererseits sein, erklärte Uta-Micaela Dürig vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg beim Pressegespräch in der Pforzheimer Beratungsstelle Pro Familia.

Auch Armutsberatung in Pforzheim ist betroffen

Dennoch hofft Dürig, dass sich die Entscheidungsträger in Berlin bei der Sanktionierung von Gehsteig-Belästigungen auf eine noch größere Distanz einigen werden, wenn das Gesetz in Kraft tritt.

Die Vorständin Sozialpolitik beim Paritätischen wünscht sich eine Bannmeile um Pro Familia – und eine Erweiterung des Gesetzentwurfs um einen Personenkreis, der darin nicht berücksichtigt ist.

Die Mahnwache der fundamentalistischen Abtreibungsgegner von „40 Days for Life“ beeinträchtige nämlich nicht nur die Beratung von Schwangeren, sondern auch die Armutsberatung.

Familien mit kleinem Einkommen, die teils verschuldet sind, von Armut betroffene alleinerziehende oder werdende Mütter – sie stellen in Pforzheim rund 80 Prozent der Ratsuchenden.

In Pforzheim leben mehr Kinder in Armut als im Landesschnitt

Es sind Menschen, die sich für ihre Lage oft schämten, führte Dürig aus. „Wenn sie den Mut aufbringen, eine Beratungsstelle aufzusuchen, ist das für viele von ihnen ein Kraftakt.“ Und wenn sie dann noch angepöbelt oder entsprechend gemustert werden, kehren sie wieder um.

Wie sehr sie diesen Menschen schadeten, sei den Aktivisten von „40 Days“, die gerade jetzt wieder täglich vor Pro Familia demonstrieren, vielleicht gar nicht klar, mutmaßt Dürig.

Pro Familia-Geschäftsführerin Edith Münch und ihr Team kennen die weitreichenden Folgen mangelnder Information nur zu gut: Bedürftige Familien oder Alleinerziehende erhalten die ihnen zustehende Fördermittel nicht, weil es eine staatlich anerkannte Beratungsstelle wie Pro Familia braucht, um sie zu beantragen.

Von einer Goldstadt kann hier schon lange keine Rede sein.
Uta-Micaela Dürig
Paritätischer Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg

Das Gespräch hatten der Paritätische und die Beratungsstelle gezielt auf den Dienstag gelegt, den Welttag der sozialen Gerechtigkeit, um für ihre Klienten die Lage zu verbessern.

Wie prekär diese für viele ist, zeigt ein Vergleich: 2019 lebte jedes fünfte Kind in Pforzheim in Armut – fast doppelt so viele wie im Landesdurchschnitt.

Die Quote sei mit 18,1 Prozent fast viermal so hoch wie im Enzkreis, wo 5,2 Prozent der Kinder betroffen seien, führte Dürig aus. „Von einer Goldstadt kann hier schon lange keine Rede sein.“

Neuere Zahlen liegen zwar nicht vor, aber bei Pro Familia haben die Beratungstermine zugenommen. „Wir sind eigentlich immer ausgebucht“, sagte Münch.

2022 hatte ihr Team 3.000 Beratungsgespräche, davon fanden 2.000 vor Ort in der Parkstraße statt. Um so schwieriger sei es, Termine wegen der Abtreibungsgegner umzulegen.

Schwangerschaftsberatung ist nur ein kleiner Bereich des Spektrums

Neben dem eher geringen Bereich der Schwangerschaftskonfliktberatung deckt Pro Familia ein Spektrum ab, das von der Hebammenstunde über Paar- beziehungsweise Familienberatung, Beratung bei Gewalt in der Partnerschaft, sozialpädagogischer Familienhilfe bis zur Beratung zu monetären Leistungen reicht.

Es gibt auch Kurse für Kinder. „Warum stehen die da und warum gucken die so?“ Auch derlei Kinderfragen muss das Team jetzt wieder beantworten.

Pro Familia-Ärztin Regine Arlt erzählte von Reaktionen schwangerer Frauen auf die Protestaktionen. Eine 36-jährige Witwe mit drei Kindern sei mit einem vierten Kind des neuen, noch verheirateten Partners schwanger, mit dem sie in einer Fernbeziehung lebe. Sie sei sehr wütend gewesen. „Die wissen nichts über mein Leben, die sind nicht da, wenn ich sie brauche“, habe diese sich empört.

Warum dürfen die mich belästigen?
Schwangere
bei Pro Familia

Die Ärztin musste sie dann erst einmal beruhigen, genau wie die junge Frau, die in der siebten Woche schwanger war und sich zum Abbruch gezwungen sah. Ihre Ausbildung hätte sie sofort beenden müssen. „Warum dürfen die mich belästigen?“, habe sie gefragt.

Arlt betonte, dass nicht auf jede Bescheinigung ein Abbruch erfolge. Aber wie auch immer sich Schwangere in Konfliktsituationen entscheiden: Den Gehsteig-Belästigungen sind alle ausgesetzt.

Seit sieben Jahren versammeln sich die Aktivisten zu zwei jeweils 40-tägigen Aktionen. Zwischenzeitlich mussten sie auf die Westliche ausweichen. Doch das Bundesverwaltungsgericht erlaubte ihnen die Rückkehr in die Nähe der Beratungsstelle. „Damals waren das etwa 100 Meter Entfernung“, erklärte Münch. „Und mit dem Gesetzentwurf wollen wir wieder dahin kommen.“

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