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Buch „Himmelsstürmer“

Bilddokumentation erzählt die Geschichte der „Senderstadt“ Mühlacker

Der Verschönerungsverein Mühlacker gibt mit dem Buch „Himmelstürmer“ in zweiter Auflage eine Dokumentation der Geschichte der Sendeanlage auf der Illinger Höhe heraus, die auch nach der Rettung vor dem Abriss weitergeschrieben wird.

s/w Bild mit Türmen
Die ersten hölzernen Sendetürme, an denen die Antennen hing - aus dem Jahr 1930 Foto: Stadtarchiv Mühlacker / Repro: Jürgen Peche

Viele Städte tragen einen markanten Beinamen, der sie von anderen Orten klar abhebt. Neben Pforzheim als „Goldstadt“ reiht sich das benachbarte Mühlacker als „Senderstadt“ ein und hebt damit seinen Sendeturm als höchstes Bauwerk Baden-Württembergs hervor.

Nahezu jeder kennt den rot-weiß gestrichenen Stahlturm auf der Illinger Höhe vom Vorbeifahren oder als Gruß von Weitem. Das sich häufig wandelnde Bauwerk, vom kunstvollen Holzturm zur stählernen Nadel, trägt eine wechselvolle Geschichte in sich, die auch ein Stück Radiogeschichte ist.

Die erste Auflage des Buches war schnell vergriffen

Diese hat Ewald Scheytt vom Verschönerungsverein Mühlacker in einer aufwendigen Dokumentation und reich bebildert in dem Buch „Himmelstürmer“ festgehalten – in einer Geschichte lokaler Identität. Das Buch ist jetzt in der zweiten Auflage im Stieglitz Verlag erschienen, nachdem die erste Auflage binnen weniger Wochen vergriffen war. 

„Südfunk! Südfunk! Achtung! Achtung! Hier ist der erste Großsender Mühlacker!“ So begrüßte der Sender nach seiner Fertigstellung am 20. Dezember 1930 die ersten Hörer auf der Mittelwelle 833 Kilohertz. Vorangegangen war die Suche nach dem geeigneten Standort und der Bau von zwei jeweils 100 Meter hohen Holztürmen, zwischen denen ein Hanfseil gespannt war, an dem die Sendeantenne hing.

Türme
Blick auf die Sendetürme in Mühlacker bei Sonnenuntergang. Foto: Ewald Scheytt /Repro: Jürgen Peche

Detailliert geht das Buch auf den Bau der ersten Sendetürme und das Gebäude mit der Sendetechnik ein – alles vor dem historischen Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und des Fortschritts des Rundfunks und seiner Bedeutung für die Bürger. Es fehlt nicht das Lokalkolorit aus Ratsbeschlüssen, der Verleihung der Stadtrechte an Mühlacker, auch dank der mit dem Sender gewonnenen Bedeutung und der Lyrik von Karl Knöller, der den Turmbau vielfach dichterisch verarbeitete.

Ein Vierteljahr nach Fertigstellung verkaufte die Süddeutsche Rundfunk AG aus finanziellen Gründen die Sendeanlagen an die Deutsche Post, die bald einen neuen, 190 Meter hohen Sendeturm errichtete, um die Reichweite zu vergrößern. Diese schlug sich bis weit in die Nachkriegszeit nieder auf den Senderskalen alter Röhrenradios, wo der Sender Mühlacker neben Wien und Budapest verzeichnet war.

Vor und nach 1945 ändert sich alles für den Sender Mühlacker

Unter dem Hakenkreuz entwickelte sich der Sender Mühlacker zum Propagandamedium der Nationalsozialisten und der Süddeutsche Rundfunk, der sein Programm über den Sender Mühlacker ausstrahlte, wurde zum Reichssender Stuttgart.

Den Neuaufbau des Senders nach 1945 leiteten die Amerikaner ein – mithilfe deutscher Techniker. „Radio Stuttgart“ war zunächst ein Sender der US-Militärregierung, die hier auch das AFN-Programm für ihre Streitkräfte ausstrahlte. Es entstanden neue Masten, alte wurden abgerissen. 

Buchcover
Titelbild der Dokumentation zur Geschichte des Senders Mühlacker Foto: Manfred Läkemäker / Repro: Jürgen Peche

Der 2004 errichtete 93 Meter hohe Stahlfachwerkturm machte die Ausstrahlung des neuen digitalen Rundfunks DAB+ möglich. Der hohe Hauptsendemast diente ab 1950 dem SDR, später dem SWR für die Ausstrahlung der Mittelwelle. Der Mittelwellensender wurde schließlich 2012 abgeschaltet.

Der 273 Meter hohe Hauptsendemast mit aufgesetzter UKW-Antenne war seinerzeit das höchste Bauwerk Deutschlands. Die Montage der Stahlringe in schwindelerregender Höhe begann 1949 und ist in zahlreichen Bildern als Sensation nachzuvollziehen. Der Autor kramte in vielen Archiven und erlaubt mit alten Fotos Einblicke in die Sendetechnik der frühen Jahre des Rundfunks. Zu lesen ist jetzt alles über die Abspannung des Mastes, Blitzeinschläge und ob das Wetter durch den Sendemast beeinflusst wird.

2012 droht der Abriss des Senders in Mühlacker

Wagemutige Kletterer übernahmen Reparaturarbeiten und die Feuerwehr Stuttgart probte die Höhenrettung. Postkarten trugen früh den Ruf Mühlackers als Senderstadt hinaus in die Welt und die Chemische Fabrik Schäfer taufte ihren Furnier- und Fugenleim sogar „Senderleim“.

Nach der Abschaltung des Mittelwellensenders 2012 schien das Schicksal der Anlage besiegelt: Der Abriss drohte. Zeitgleich begann der Kampf um den Erhalt des denkmalgeschützten Senders. Den nahm 2014 der Förderverein Sender Mühlacker auf, sammelte Unterschriften und Spenden, publizierte jährlich einen Kalender und Postkarten und gab Gutachten in Auftrag.

Die langen Verhandlungen mit dem SWR und Entscheidungen des Mühlacker Gemeinderats führten zur Rettung: Eine Investorengruppe aus Mühlacker kaufte im Jahr 2020 das Areal und sicherte damit den Erhalt des lokalen Wahrzeichens.

Der Geist des Senders ist sehr rege und seine Geschichte geht weiter: Ein Naturkindergarten auf dem Gelände entstand, dieses Jahr gab es erste Open-Air-Veranstaltungen, ein Hip-Hop-Sender „funkt“ aus dem alten Regieraum übers Internet und ein Radio- und Rundfunkmuseum ist im Aufbau.

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