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Pilotprojekt gegen Misteln

Wie Ölbronn-Dürrn den lästigen Baum-Parasiten den Kampf ansagt

Misteln stellen eine große Gefahr nicht nur für Streuobstwiesen dar. Im Enzkreis ist ein landesweit einzigartiges Projekt gegen die Schmarotzer angelaufen.

Menschen auf Wiese mit Bäumen und Schneidgeräten
Obstbauberater Bernhard Reisch (rechts) und Fachwart Egon Notz (links) erklären Inga Schraud vom Landschaftserhaltungsverband, Landwirtschaftsdezernent Holger Nickel und Bürgermeister Norman Tank (von links) die Mistelbekämpfung. Foto: Nico Roller

Mit einem kreischenden Geräusch fressen sich die Sägezähne des Hochentasters durch das Holz des Apfelbaums, der am Dürrner Ortsrand auf einer Wiese steht. Ein Ast nach dem anderen fällt auf den Boden, bis nach wenigen Minuten von dem Baum nicht viel mehr als der Hauptstamm mit einigen Seitenstummeln übrig ist.

Die Äste müssen entfernt werden, weil sie von Misteln befallen sind, die große Schäden anrichten: Als Halbschmarotzer entziehen sie den Bäumen die Nährstoffe und das Wasser, auch jetzt im Winter. Zudem beeinträchtigen sie die Statik der Bäume und sorgen durch eine Verdichtung der Krone dafür, dass sie Wind und Schnee schlechter standhalten kann.

Die Mistel zerstört unsere Streuobstwiesen.
Hartmut Filsinger
Vorsitzender Obst- und Gartenbauverein Dürn

„Die Mistel zerstört unsere Streuobstwiesen“, sagt Hartmut Filsinger. Der Vorsitzende des Dürrner Obst- und Gartenbauvereins (OGV) ist nur einer von zahlreichen Engagierten, die sich ihre Bekämpfung auf die Fahne geschrieben haben.

Seit kurzem läuft in Ölbronn-Dürrn ein landesweit einzigartiges Pilotprojekt, bei dem Bäume entweder von ihren Eigentümern oder professionellen Pflegeteams von den Schmarotzern befreit werden.

Bürgermeister von Ölbronn-Dürrn ermutigte die Initiatoren

Die Initiative dazu ging vom Dürrner OGV aus, der die zunehmende Verbreitung der Misteln schon seit einigen Jahren mit Sorge beobachtet und daher zu diesem Thema eigentlich einen Schnittkurs anbieten wollte. Eigentlich, wohlgemerkt, denn als Vertreter des Vereins sich nach dessen Amtsantritt mit dem neuen Bürgermeister Norman Tank trafen, fanden sie bei ihm ein offenes Ohr.

Gemeinsam entschied man, das Ganze ein paar Nummern größer aufzuziehen und ein Pilotprojekt zu starten, für das man auch das Landratsamt und den Landschaftserhaltungsverband (LEV) gewinnen konnte. „Nur durch das Zusammenspiel der vier Partner und ihrer Expertise gelingt es uns, auf der Fläche eine signifikante Wirkung zu erzielen“, sagt Filsinger und erklärt, dass das Projekt in dieser Form in ganz Baden-Württemberg einzigartig sei.

Ölbronn-Dürrner Projekt erhält Förderung

Deswegen gibt es dafür auch eine Förderung vom Land, das neben der Gemeinde Ölbronn-Dürrn und dem Enzkreis die anfallenden Kosten trägt. Allen Beteiligten ist es wichtig, die Bevölkerung nicht nur für das Thema zu sensibilisieren: Sie wollen die Menschen auch zu eigenem Handeln motivieren und anleiten.

Deshalb gab es im vergangenen Jahr für interessierte Obstbaumbesitzer zunächst eine Informationsveranstaltung, dann einen Schnittkurs. Weil allerdings nicht alle Eigentümer die Misteln selbst bekämpfen können, hat man zehn professionelle Pflegeteams ins Leben gerufen, die noch bis Ende Februar im Einsatz sind.

Alle bestehen aus zwei Fachwarten für Obstbau, Garten und Landschaft und haben vor einer Woche in einem Kurs alles über die Mistelbekämpfung gelernt. „Wir gehen so schonend wie möglich vor“, erklärt Bernhard Reisch. Der Obstbauberater des Enzkreises weiß, dass man kleine Keimlinge noch mit einer Bohrung entfernen kann, weil sie in diesem Stadium nur eine in die Tiefe gehende, sogenannte Senkwurzel ausgebildet haben.

Später breitet sich die Wurzel auch seitlich im befallenen Ast aus – und zwar direkt unter der Rinde. Ist das passiert, kann man laut Reisch oft nur noch den kompletten Ast absägen.

Kartierungsapp hilft, den Mistel-Befall zu ermitteln

Doch auch in einer stark beschnittenen Form kann der Baum laut Reisch weiterleben und Heimat für Insekten, Vögel und Kleintiere sein. Welche Bäume von Misteln befallen sind, haben Ehrenamtliche des Dürrner OGV und engagierte Bürger vor einigen Wochen ermittelt – und zwar mithilfe einer vom Landschaftserhaltungsverband zur Verfügung gestellten Kartierungsapp.

Wenn sie einen Befall feststellen, markierten sie den Baum mit einem roten Punkt und hinterlegten weitere Informationen, etwa zur Stärke des Befalls, zur Höhe des Baums und zur Nummer des Flurstücks. Etwa ein Drittel der Gemarkung haben die Ehrenamtlichen bereits geschafft und dabei 179 befallene Bäume ermittelt, davon 29 mit einem starken und 67 mit einem mittleren Befall.

Bei 115 kümmern sich die Pflegeteams um die Entfernung der Misteln, bei 43 die Eigentümer selbst. „Das ist eine gute Quote“, sagt Landwirtschaftsdezernent Holger Nickel, der davon ausgeht, dass damit eine spürbare Eindämmung des Befalls erreicht werden kann. Er findet es erfreulich, dass sich so viele Eigentümer beteiligt haben und nur bei 21 Bäumen keine Rückmeldung kam oder eine Bekämpfung abgelehnt wurde.

Bislang sind nur Apfelbäume die Opfer

Nickel weiß, dass sich die Mistel im nordöstlichen Teil des Enzkreises besonders stark ausbreitet. Sorge bereitet ihm diese Entwicklung auch vor dem Hintergrund, dass der Enzkreis in Baden-Württemberg der Landkreis mit den fünftmeisten Streuobstbäumen ist.

Unter ihnen sind in der Region laut Reisch bislang nur Apfelbäume von Misteln betroffen. „Aber die Mistel ist anpassungsfähig.“ Reisch weiß, dass man auf der Hut sein muss – nicht nur bei Streuobstbäumen, sondern auch beim innerörtlichen öffentlichen Grün und bei Bäumen am Straßenrand.

Denn die Mistel befällt auch andere Arten wie Pappel, Weide und Linde. In Ölbronn-Dürrn geht das Pilotprojekt im kommenden Winter weiter. Dazu sind die Ehrenamtlichen momentan dabei, auch den Rest der Gemarkung zu kartieren.

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