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Schicksale aufgearbeitet

Vortrag in Sternenfels: Deutsche Kinder kämpften ums nackte Überleben

Heinz Daferner beschäftigt sich mit Schicksalen deutscher Kinder, die im heutigen Litauen nach 1944 aus Furcht vor Soldaten wie Wölfe im Wald lebten.

Nach seinem Vortrag diskutiert Heinz Daferner mit den Zuhörern. Er hätte sich gerade zu diesem Thema mehr Besucher als nur rund 25 gewünscht.
Nach seinem Vortrag diskutiert Heinz Daferner mit den Zuhörern. Er hätte sich gerade zu diesem Thema mehr Besucher gewünscht. Foto: Eva Filitz

Als sowjetische Truppen 1945 Ostpreußen eroberten, begann unter der deutschen Bevölkerung ein Massaker. Befehl war, die Provinz von Deutschen zu „befreien“. Die siegreichen Soldaten metzelten Zehntausende Frauen und Kinder nieder.

Die überlebenden Kinder flohen allein in Richtung Litauen. Sie kämpften ums nackte Überleben. Teils lebten sie jahrelang wie Wölfe im Wald. Von 1945 bis 1947 sollen es insgesamt 10.000 bis 15.000 Kinder gewesen sein. Wolfskinder nannte man sie.

Vortrag zu Wolfskindern im Gemeindehaus in Sternenfels

Die schrecklichen Schicksale finden in der deutschen Öffentlichkeit kaum Beachtung. Für Heinz Daferner, Schulleiter im Ruhestand und Vorsitzender des Vereins Hilfe für Litauen, war dies eine nicht länger hinnehmbare Missachtung der Betroffenen. Er sieht in diesem Totschweigen ein Versagen deutscher Politik und begann deswegen zu recherchieren. Zudem führte er nach eigenen Angaben Gespräche zu dem Thema mit Spitzen der Regierungen in Litauen und der Bundesrepublik.

Er schätzt sich glücklich, dass er auch mit Wolfskindern in beiden Ländern sprechen konnte. Im evangelischen Christoph-Blumhardt-Gemeindehaus in Sternenfels berichtete er von seinen Gesprächen. Eine Bilderschau und ein Film unterstrichen seine Ausführungen, die den rund 25 Zuhörern sichtbar nahe gingen.

„Auf der Flucht verhungerten viele Kinder. Doch der Großteil überlebte dank der Hilfen durch Litauer Bürger. Für Bauern waren sie billige Arbeitskräfte, aber sie fanden auch Adoptiveltern, die Mitleid mit den Waisen hatten. Da es bei Strafe verboten war Nazi-Deutsche aufzunehmen, war diese Hilfe risikoreich. Die Kinder wurden versteckt, sie erhielten litauische Namen und sie durften kein Wort Deutsch mehr sprechen. Ihrer Eltern, ihrer Heimat und nun auch ihrer Identität beraubt – das alles in diesem Alter zu verkraften, hinterlässt lebenslange Wunden“, berichtete Daferner aus Gesprächen mit Wolfskindern.

Doch viele 1.000 Kinder seien doch noch von den sowjetischen Soldaten aufgespürt und ab 1948 in die damalige deutsche Sowjetische Besatzungszone abgeschoben worden, erläuterte Daferner. „Die in Litauen verbliebenen Wolfskinder versprachen sich vielleicht Vorteile. Oder es war ein Zeichen der Dankbarkeit für die erfahrenen Hilfen, als sie, als Litauen ein selbstständiger Staat wurde, die litauische Staatsbürgerschaft annahmen.

Anträge auf finanzielle Hilfe wurden abgelehnt

Ein Schritt, der unerwartete Nachteile bescherte. „Da sie keine deutschen Staatsbürger mehr waren, lehnten deutsche Behörden ihre Anträge auf eine finanzielle Hilfe ab.“

Fünf Jahre später durften sie die Einbürgerung beantragen. Für Daferner war dieser Bescheid eine Schande. „Mein Herzblut gilt der Hilfe für Litauen“, erklärte er. 1994 hatte er den Verein „Hilfe für Litauen“ gegründet, der bis heute sehr aktiv ist und zahlreiche soziale Projekte mithilfe von Spenden und Sponsoren auf den Weg gebracht hat.

„Was ist für Sie heute wichtig?“, habe Daferner bei einem Treffen das Wolfskind Dora Flak gefragt. „Es war alles viel schlimmer, als es hier geschildert wurde. Für mich wäre es ganz schlimm, wenn wir vergessen würden“, habe die Frau geantwortet, die Jahrzehnte als Onute Petniciene habe leben müssen, so Daferner.

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