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Sportlich-cineastischer Open-Air-Abend

Radaktivisten bringen Pforzheim und die Welt zusammen

Mit einem Massenstart beginnt in Pforzheim eine Radreise über sechs Kontinente. Die Critical-Mass-Bewegung bewältigt an diesem Abend allerdings nur wenige Kilometer davon mit Muskelkraft. Die anderen legte Dennis Kailing zurück, der seinen Film „Besser Welt als nie” im Open-Air-Kino persönlich vorstellt.

Open-Air-Kino im Hof des Kulturhauses Osterfeld in Pforzheim mit dem Film „Besser Welt als nie”, der eine Weltumrundung mit dem Fahrrad beschreibt.
Mit dem Fahrrad zum Film: Beim Open-Air-Kino im Hof des Kulturhauses Osterfeld war jetzt der zweite von vier Filmen zum Thema „Dialog (Rad-)Verkehr” zu sehen. Foto: Björn Fix

Helm auf, je nach Ausstattung einen leichteren oder schwereren Antritt und los geht’s. Rund 40 Frauen und Männer legen mit ihren Rädern einen Massenstart hin. Vom Waisenhausplatz geht es in Richtung Kupferhammer. Wie immer bei den Pforzheimer Aktiven der globalen Bewegung Critical Mass stehen dabei nicht Superlative im Vordergrund. Bessere Radfahrwege sind gefragt, auch an diesem Freitagabend.

Und doch ist manches anders bei der vierten Ausfahrt nach der Corona-Pause. Dieses Mal nehmen die Radlerinnen und Radler die ganze Welt in den Blick, während sie rund eine Stunde lang durch Pforzheim rollen. Es geht auf Umwegen zum Kulturhaus Osterfeld und dort dann ganz ohne Treten über sechs Kontinente.

In zwei Jahren fast 44.000 Kilometer geradelt

„Besser Welt als nie“ macht es möglich. Der Film beförderte Dennis Kailing quasi über Nacht zu einem ausgesprochen bekannten Mann in Deutschland. Auch Leute, die sich eher wenig für Dokumentar- oder Reisefilme interessieren, streiften bereits mit dem heute 29-Jährigen durch 41 Länder. Er legte nach seinem Bachelorabschluss binnen zwei Jahren 43.600 Kilometer zurück, packte seine Eindrücke in ein dokumentarisches Roadmovie, wie er selbst beschreibt, und außerdem in ein Buch.

Am Freitagabend sitzt er im Innenhof des Kulturhauses Osterfeld und erörtert all das im Gespräch mit Peter Heissenberger, den die Geschichte des jungen Hessen auch ganz persönlich fasziniert, wie er im Vorfeld erzählt. Dass man so einfach losfahren kann, kennt der Sprecher der Critical-Mass-Gruppe Pforzheim aus eigener Erfahrung.

Bei ihm selbst setzte das Abitur die Zäsur, nach der er von Oberschwaben aus bis ans Mittelmeer fuhr. Winfried Thein vom Programmrat des Kommunalen Kinos (Koki) moderiert die Begegnung der beiden Rad-Enthusiasten, die es dank der Corona-Herausforderungen ins Open-Air-Programm geschafft hat. Sie gehört zu einer vierteiligen Filmreihe unter dem Titel „Dialog (Rad-)Verkehr“, die Thein besorgte.

Musik und Demo-Auftakt passen nicht zusammen

Rund 240 Zuschauer verfolgen das Gespräch. Nicht jeder davon hat vorher selbst erlebt, wie Radfahren neue Horizonte eröffnet. Umgekehrt sitzt nicht jeder Radverkehraktivist vor der Leinwand im Innenhof, auch wenn ziemlich viele Rennräder, E-Bikes, Tourenräder und andere Zweiradvarianten im eigens eingerichteten Parkraum stehen. Der Service lässt die Besitzer zumindest in diesem Punkt ziemlich entspannt auf die Leinwand blicken. Die Räder stehen diebstahlsicher.

Eine Tücke bringt der nur wegen Corona zustande gekommene Open-Air-Auftritt der Radler übrigens in musikalischer Hinsicht mit sich. Zum einen passt die Demonstration für mehr Radwege in Pforzheim und ein gleichberechtigteres Miteinander im Straßenverkehr zeitlich nicht perfekt zum musikalischen Auftakt. Zum anderen ist es für das Morisot-Quartett durchaus eine Herausforderung, im klassischen Musikrepertoire etwas zum Thema Radfahren zu finden.

Auch Weltreisen werden im Bereich der Kammermusik eher selten unternommen, ergänzt Ensemble-Mitglied David Raiser aus Neuenbürg. Aber es gibt ja noch das Leben der Komponisten selbst. Und so erklingt denn an diesem sportlich-cineastisch bewegten Abend von Felix Mendelssohn-Bartholdy das Streichquartett Nr. 3 D-Dur op. 44 aus dem Jahr 1838, als sich die Critical-Mass-Leute unters Publikum mischen. Das Stück entstand, als der Komponist nach vielen Reisen im In- und Ausland familiär und damit etwas sesshafter wurde.

Regisseur und Autor des Dokumentarfilms Besser Welt als nie
Dennis Kailing Foto: Dennis Kailing

Bleibt die Frage, was Regisseur und Rad-Globetrotter Dennis Kailing selbst über seinen Film und seine Reise sagt. Unserer Redaktion hat er am Rande der Veranstaltung ein kleines Interview gegeben:

Ihre Filmnacht in Pforzheim wird mit einer verkehrspolitischen Ansage verbunden. Was halten Sie davon?
Kailing

Es gibt in meinem Film keine politischen Stellungnahmen. Außer an einer Stelle – da lehne ich mich bewusst aus dem Fenster. Das ist die Szene, in der ich in Los Angeles dem sogenannten CRANK Mob, also einer Bewegung wie die Critical Mass begegnet bin. Hier kommentiere ich, dass Städte so schön sein könnten, wenn Leute nur Fahrrad fahren würden.

Es wird erzählt, Sie seien vor vier Jahren einfach losgefahren und es sei dann daraus eine Weltreise geworden.
Kailing

„Einfach“ klingt ein bisschen einfach. Ich habe ein halbes Jahr davon geträumt, es zu tun, und dann nach dem Entschluss die Tour über eineinhalb Monate intensiv vorbereitet. Aber es war ein Start mit null Erfahrung im Hintergrund – alles was ich wusste war theoretischer Natur.

Gilt das auch für den Dokumentarfilm und das Buch, das sie geschrieben haben?
Kailing

Ich war immer schon ein bisschen medienaffin, auch wenn ich Bauingenieurwesen studiert habe – was einem da nicht weiterhilft. Aber ja, auch der Film und das Buch waren ein Sprung ins kalte Wasser und ganz viel learning-by-doing.

Wie geht es weiter mit Ihnen?
Kailing

Noch habe ich keinen genauen Plan. Ich will mich etwas „berieseln“ lassen – hoffe also, dass von ganz alleine eine neue schöne Idee auf mich zukommt. Mir ist bei den zwei Jahren Radtour und allem, was danach kam, aber bewusst geworden, dass ich mein eigenes Ding machen kann, wenn ich wirklich für mein Vorhaben „brenne“. Es muss nicht unbedingt Fahrradfahren sein, aber wahrscheinlich werde ich wieder irgendwo in der großen weiten Welt unterwegs sein.

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