In Berlin hatte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) genug von der rot-rot-grünen Koalition und zog es vor, Juniorpartnerin der CDU zu werden. In Hessen erteilte Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) einer Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition eine Absage und nahm mit der SPD Koalitionsverhandlungen auf. Und im Bund taumelt die Ampel dem Abgrund entgegen.
In einem ohnehin von schweren außen- wie innenpolitischen Krisen geprägten Umfeld treffen sich die Grünen in Karlsruhe zu einem viertägigen Parteitag. Formal geht es um die Aufstellung der Liste für die Europawahl und die Verabschiedung des Wahlprogramms. Doch das rückt in den Hintergrund angesichts der schweren Verwerfungen und Turbulenzen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse sowie den jüngsten Beschlüssen der Ministerpräsidenten zur Verschärfung der Zuwanderung.
Grüne stehen vor einem Trümmerhaufen
In zwei zentralen Themenfeldern, die zur DNA der Grünen gehören, stehen sie quasi vor einem Trümmerhaufen, sowohl beim Klimaschutz wie beim Asylrecht sind sie gezwungen, Abstriche hinzunehmen.
Dabei war alles ganz anders geplant. In Karlsruhe, wo die Grünen im Januar 1980 gegründet wurden, wollten sie 2020 ihr 40-jähriges Jubiläum feiern. Doch dem machte Corona einen Strich durch die Rechnung. Jetzt kann zwar wieder in Präsenz getagt werden, doch die nachgeholte Geburtstagsparty fällt aus. Zum Feiern ist niemandem zumute.
Der Zeitgeist hat sich gedreht
Die Grünen, die sich immer schon selber gerne als Avantgarde der Gesellschaft sahen und Politik mit hohen moralischen Ansprüchen verbanden, stehen im Gegenwind. Der Zeitgeist, der sie in die Regierung getragen hat, hat sich fundamental gedreht. So kann sich die Ökopartei zwar einer stabilen Unterstützung durch das eigene Milieu sicher sein, aber jenseits davon nimmt die Ablehnung eher zu. Das alte Image der Verbotspartei, die den Menschen vorschreiben will, wie sie zu leben haben, hält sich hartnäckig und wird von den politischen Wettbewerbern immer wieder gerne gepflegt.
In Karlsruhe, dem Ort ihrer Gründung, stehen die Grünen daher vor der Herausforderung, sich ihrer selbst neu zu vergewissern. Haben sie als Regierungspartei zu schnell zu viel gewollt und den Bürgern zu viel auf einmal zugemutet? Diese Frage ist unbequem, aber sie steht im Raum.
Die Angst vor Veränderungen ist groß. Die Menschen müssen überzeugt und auf dem schwierigen Weg der Transformation mitgenommen werden. Nicht wenige glauben, Regierungen ohne die Grünen würden ihnen die damit verbundenen Zumutungen ersparen. Das allerdings ist ein Irrtum. Wer auch immer regiert, muss diesen Weg gehen. Die anderen sagen es nur nicht so laut.