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Beklemmend aktuell

Alle Macht dem Chor: Verdis „Nabucco“ in Karlsruhe

Brennende Fragen und glühende Musik: Nur selten spielen gut 80 Menschen die Hauptrolle. Dirigentin Yura Yang lässt Verdis Prachtwerk für Chöre in der politischen Regie lodern.

Szene aus der Oper „Nabucco“ am Staatstheater Karlsruhe 2023 mit dem Sänger Konstantin Gorny als Zaccaria, rechts neben ihm Aleksandra Domaschuk (Anna) sowie Mitglieder des Chores.
Fanatische Mächte manipulieren das Volk und ersticken jeden Frieden im Keim. So lässt sich die Inzenierung der Oper „Nabucco“ am Staatstheater Karlsruhe deuten. Im Bild der Sänger Konstantin Gorny als Zaccaria und Aleksandra Domaschuk (Anna) sowie der ebenso fantastische Chor. Foto: Felix Grünschloß

Mehr als 30 Jahre war Giuseppe Verdis politische Oper „Nabucco“ in Karlsruhe nicht auf dem Spielplan. Zwei Wochen nach dem Massaker im Nahen Osten ist ihre Neuinszenierung am Staatstheater beklemmend aktuell.

Die Dramaturgie ließ jedoch die Finger davon, aktuelle Bezüge noch einmal zu schärfen oder auch zu entschärfen. Und tat gut daran. Die Botschaft des italoamerikanischen Regisseurs Thaddeus Strassberger ist ohnehin hart und düster: Fundamentalismus erstickt jeden Frieden im Ansatz.

Der Vergleich liegt auf der Hand: In einem Konflikt zwischen zwei Völkern nutzen radikale Gruppen die angespannte Lage und schieben unter dem Deckmantel des Glaubens einen Keil zwischen die Religionen und die Menschen. 

Verdis politische Oper endet in Karlsruhe unversöhnlich

Der letzte Teil im neuen Karlsruher „Nabucco“ macht diese pessimistische Sicht auf die Folgen von Terror-Regimen deutlich. Die Oper mündet nicht wie bei Verdi und seinem Librettisten Temistocle Solera in die Befreiung des israelischen Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft.

Kaum sind nach langem Ringen um die Macht selbst die Anführer der verfeindeten Religionen und Völker offen für eine Annäherung, rufen vermummte Fundamentalisten zur Rache. Sie haben Nabucco erhängt und fordern den Tod seiner Tochter Abigaille durch Steinigung. Der Chor, das Volk also, ist bewaffnet mit Steinen und bereit zum Wurf. Der Vorhang fällt.

Ein Text aus dem Buch des Jeremia im Alten Testament, auf dem die erste erfolgreiche Oper des jungen Verdi aus dem Jahr 1842 basiert, bremst den Applaus bei der Premiere zunächst. „Weinet nicht über die Toten und grämet euch nicht darum; weinet aber über den, der fortgezogen ist, denn er wird sein Vaterland nicht wieder sehen.“

Das Schicksal der Juden damals und heute ist die Achse der Inszenierung

Das Schicksal der Juden damals und heute bildet die Achse der Inszenierung. Mehr denn je beschäftigt uns die Lage im Nahen Osten, aber sehen wir wirklich hin? Wie schnell macht Propaganda in einem solchen Konflikt Menschen zu Mitläufern? Wen oder was hinterfragen wir? Welche Verantwortung tragen wir?

Diese Fragen stellt Regisseur Strassberger subtil. Denn er bindet den von Ulrich Wagner vorzüglich einstudierten Chor und Extrachor, der einen Großteil dieser Oper singt, eng und präzise in das Geschehen ein. Sehr zur Freude des immer wieder jubelnden Publikums. Ein Chor in der Verantwortung – auch inhaltlich.

Ouvertüre erklingt erst vor dem zweiten Teil

Zu Beginn der Oper gibt es in Karlsruhe statt der Ouvertüre, die erst vor dem zweiten Teil gespielt wird, heulende Sirenen, Lichtblitze und das Video eines Raketenangriffs auf Jerusalem. Ansonsten werden aktuelle Parallelen zum Nahen Osten nicht über die Maßen bemüht.

Vielmehr zeigt Strassbergers Bühnenbild mit den schillernden Kostümen von Giuseppe Palella Schönheit und Schrecken in der Welt eines jahrtausendealten Konfliktes. Strassberger, der schon einige Produktionen im Nahen Osten realisierte, zaubert Ornamentik und Farbenpracht des Orients und kontrastiert sie zu Maschinengewehren, Schwertern und bedrohlichen Flügelwesen.

Regie rückt musikalisch starke Chöre ins Zentrum der Aufmerksamkeit

Dazwischen stehen die Volksmassen, das von radikalen Herrschern manipuliert wird.

Diese treten entsprechend dominant auf. Allen voran Abigaille, eine schwer gekränkte Frau, die sich um ihr Erbe und ihre Liebe betrogen fühlt. Keiner mag sie, aber sie ist neben dem Chor auch musikalisch die Macht des Abends. Was Spannweite und Beweglichkeit betrifft, fordert Verdi sie stark. Rebecca Nash wirft sich wütend, vehement und glühend in ihr Rollendebüt, beeindruckend und lediglich in den Spitzentönen etwas eng.

Szene aus der Oper „Nabucco“ am Badischen Staatstheater 2023 mit großem, goldenen Flügelwesen und der Sängerin Rebecca Nash vor Chormitgliedern
Abigaille ist neben dem Chor die musikalische Macht des Abends. Rebecca Nash wirft sich wütend, vehement und glühend in ihr herausforderndes Rollendebüt. Foto: Felix Grünschloß

Die zwei Seiten ihres berserkerhaften, dann gebrochenen Vaters Nabucco zeichnet der ebenfalls gastierende Lucian Petrean mit dunklen Farben fulminant und nuancenreich. In der Rolle seines Gegenspielers Zaccaria beweist Konstantin Gorny abermals, zu welch beeindruckenden Interpretationen und darstellerischem Können der erfahrene Bass fähig ist.

Nutthaporn Thammathi (Ismaele) und Dorothea Spilger (Fenena), Lianliang Zhao (Oberpriester des Baal), Klaus Schneider (Abdallo) und Aleksandra Domaschuk (Anna) bieten jeweils wunderschöne Akzente.

Der Abend durchlebt einen betörenden Stimmen- und Farbenrausch. Im Orchester lässt Yura Yang die Glut glimmen, das Verdi-Feuer züngeln und lodern. Selbst die schroffen Passagen dieser Oper brennen in Leidenschaft, die zarten rühren tief.

Buhs für Wetterbericht in der Umbaupause

Buhs gibt es nur kurz für die Regie nach einem über Bühnenbreite ausgestrahlten Wetterbericht im arabischen Fernsehen während einer Umbaupause. Oder ist die Tatsache, dass eine fanatische Despotin wie Abigaille sich fragt, woher der Wind in Europa weht, bittere Ironie? Ebenso wie der Sportbericht, den sich zuvor Nabucco zu Gemüte geführt? Als gäbe es keine wichtigeren Nachrichten als Tribünen voller weinender Brasilien-Fans.

Blut wird vergossen und das Leben geht weiter. Seit Jahrtausenden lebt das jüdische Volk in Unsicherheit. Während der Chor sein gefälligstes Lied singt und im berühmten „Gefangenenchor“ die Illusion der Freiheit träumt, hält er uns Scherben als Spiegel vor. Damit spielt Strassberger auf die als „Reichskristallnacht“ bezeichnete NS-Pogromnacht an.

Blendende Scherben zum berühmten „Gefangenenchor“

Dass die Scherben das Publikum empfindlich blenden, ist nicht unbedeutend: Nur wer die Augen verschließt, kann sich im Wohlklang suhlen.

Noch einmal wird der Chor das Lied anstimmen, als Zugabe. Strassberger bewegt das im Rhythmus applaudierende Publikum zum Schweigen. Er geht mit den Solistinnen und Solisten an den Bühnenrand und überlässt Ulrich Wagner mit seinem Chor die Bühne. Ein denkwürdiger Augenblick.

Nächste Aufführungen

27. Oktober (B-Premiere), 11. November, 1. und 17. November sowie weitere Termine 2024 am Staatstheater Karlsruhe.

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