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Flucht aus der Ukraine

Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer in Karlsruhe sind desillusioniert

Bei der Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen ging Karlsruhe einen landesweit beachteten Sonderweg: Ehrenamtliche arbeiteten Tag für Tag in der Rathaus-Behörde mit. Nun endet dieses Engagement. Und die Helfer finden klare Worte.

Ehrenamtliche Helfer fuer Ukrainer im Rathaus an der Alb machen Schluss, Foto: v.l.n.r.: Valeriia Riabtseva, Lueppo Cramer, Christa Zemke
Der harte Kern: Valeriia Riabtseva, Lüppo Cramer und Christa Zemke (von links) gehören im Rathaus an der Alb zum Führungsteam der ehrenamtlichen Hilfe für Ukrainer. Foto: Jörg Donecker

Genau 16 Wochen lang haben ehrenamtliche Helfer im Rathaus an der Alb die Stadt massiv bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge unterstützt.

Jetzt endet dieses Engagement. Und mit Lüppo Cramer findet einer der Hauptverantwortlichen klare Worte: „Ich bin zutiefst desillusioniert.“ Der langjährige Stadtrat der Karlsruher Liste (KAL) ist in der Flüchtlingshilfe engagiert. Die zögerte nicht, als an einem Freitag Anfang März der Hilferuf aus dem Rathaus kam: Schon vom nächsten Montag an machten sich jeden Tag Menschen in ihrer Freizeit auf in die Sozial- und Jugendbehörde, um den zahlreichen Neuankommenden zu helfen.

Schnell war klar und von der Stadt anerkannt: Diese Arbeit erleichtert auch der Verwaltung das Geschäft. „Die ersten zehn Wochen waren relativ gut zu meistern“, bilanziert Cramer. Die Helfer, von denen viele Ukrainisch oder Russisch sprechen, gingen den Menschen in erster Linie beim Ausfüllen von Formularen zur Hand. „Die Abläufe waren immer gleich.“ Für das Sozialamt und später zudem für das Anwohnermeldeamt und das Jobcenter wurden Daten aufgenommen.

Seit Juni bekommen viele Ukrainer Sozialleistungen nicht mehr von der Stadt, sondern Hartz IV vom Jobcenter, was aus Sicht der Ehrenamtlichen die Arbeit kompliziert. „Die Leute werden hin- und hergeschickt, jede Abteilung erklärt sich als nicht zuständig“, beobachtet Helferin Valeriia Riabtseva.

Bezahlt das Sozialamt oder das Jobcenter und welche Summe muss als Kindergeld von der Familienkasse dagegen gerechnet werden? „Dieser Streit wird auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen“, so Cramer. Und die Ehrenamtlichen seien mittendrin, „wir stehen auf der Seite der Ukrainer“. Cramer und seine Mitstreiter wünschen sich, dass eine Stelle unbürokratisch in Vorleistung geht und später die Behörden unter sich abrechnen.

Jetzt schlägt die Bürokratie voll zu.
Lüppo Cramer, Helfer im Rathaus an der Alb

Der Stadtrat berichtet von einer 17-Jährigen, die hochschwanger in Karlsruhe ankam. „Tagelang saß sie hier im Rathaus an der Alb“, berichtet Helferin Christa Zemke. Erst nach zähem Ringen seien vom Jobcenter Geld, eine Erstversorgung und die Krankenversicherung gekommen.

Cramer hat inzwischen an Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) geschrieben, ihm vom Gerangel über Zuständigkeiten berichtet. „Wir arbeiten lösungsorientiert, kommen in 80 bis 90 Prozent auch zum Ziel“, erklärt der Stadtrat. „Aber jetzt schlägt die Bürokratie voll zu.“

Helfer in Karlsruhe rechnen mit weiteren Flüchtlingen aus der Ukraine

Riabtseva sagt: „Offenbar denken einige, dass die Flüchtlinge vor ihrer Ankunft hier erst das Bundesgesetzbuch durchgelesen haben und über einen eigenen Dolmetscher verfügen.“ Erhalten die Menschen Briefe, die sie nicht verstehen, wenden sie sich wie selbstverständlich ans Rathaus an der Alb. „Es hat sich bis Stuttgart herumgesprochen, dass wir hier helfen.“

Gleichzeitig sehen sich die Ehrenamtler mit immer individuelleren Problemen konfrontiert. Gerade kam eine Rentnerin, der vom Amt gut 30 Euro von ihren 449 Euro an Sozialleistungen abgezogen wurden. Das war der Energieanteil, weil die Frau in einer städtischen Unterkunft lebt und somit nicht selbst Heizkosten bezahlt, finden die Ehrenamtler nach Studium der Unterlagen heraus. Schnell ist ebenfalls klar: Andere Frauen in der gleichen Einrichtung haben diesen Abzug nicht. „Die Sachbearbeiter haben Ermessensspielräume, das Ermessen ist nicht immer gleich“, so Cramer.

Ehrenamtliche müssen wieder ihrer normalen Arbeit nachgehen, aber Bedarf besteht weiter

Er und seine Mitstreiter kennen auch viele positive Beispiele: Sozialamtschef Torsten Klein habe schnell für Abhilfe gesorgt, als zunächst sieben Personen in einem Zimmer untergebracht waren oder eine Frau aufgrund eines fehlenden Bettes auf dem Boden schlief.

Doch es sind zunächst die Ehrenamtlichen, die zuhören, sich in das Problem hineindenken und dann zum Hörer greifen. Die Helfer sind sicher, dass der Bedarf an Unterstützung noch länger besteht. Für jene, die schon da sind. Und für andere, die wohl noch kommen. „Wir müssen uns auf weitere Flüchtlinge einstellen“, so Cramer. Er rechnet in Anbetracht von gezielter Zerstörung durch die russischen Truppen mit Hungersflüchtlingen aus der Ukraine.

Vier Dolmetscher bleiben im Karlsruher Rathaus an der Alb

Ab Montag sind noch vier Dolmetscher im Rathaus an der Alb. Sie werden von der Sozialbehörde bezahlt, die Verträge laufen drei Monate. Die übrigen Helfer könnten nicht ewig im Ehrenamt weitermachen, „wir müssen unserer normalen Arbeit nachgehen“, sagt Cramer. Er selbst will sich wieder stärker kommunalpolitisch einbringen.

Dennoch kann er sich gut vorstellen, dass ein Großteil des Teams auch künftig bereitsteht, „dann muss das aber angemessen finanziert werden“. Ab September soll ein früheres Schwesternwohnheim beim Vincentiuskrankenhaus zur Unterkunft für Flüchtlinge werden. „Im Erdgeschoss soll es eine Beratung geben“, sagt Cramer. Ob dort dann sein Team einzieht, werde man sehen.

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