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Interview

Julius-Hirsch-Preis: Enkel des Karlsruher Nationalspielers spricht über Antisemitismus in Deutschland

Andreas Hirsch erklärt im Interview, wie es zum nach seinem Großvater Julius benannten Preis kam und warum Freiburgs Trainer Christian Streich ein würdiger Preisträger ist.

Julius Hirsch im Hintergrund auf einer Leinwand während der Laudatio von Werner Hansch bei der Preisverleihung im Oktober 2017.
Julius Hirsch im Hintergrund auf einer Leinwand während der Laudatio von Werner Hansch bei der Preisverleihung im Oktober 2017. Foto: GES/Marvin Ibo Güngör

Julius Hirsch spielte bereits als Kind für den Karlsruher FV, war später deutscher Nationalspieler. 1943 wurde er als jüdischer Sportler im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von den Nationalsozialisten ermordet.

Der Deutsche Fußball Bund erinnert mit einem nach ihm benannten Preis an das Schicksal jüdischer Sportler. Sein Enkel Andreas Hirsch erklärt im Interview, wie es zu diesem Preis kam und warum Christian Streich, der Trainer des Fußball-Erstligisten SC Freiburg, ein würdiger Preisträger ist. 

Herr Hirsch, hatten Sie schon Kontakt mit Christian Streich?
Hirsch
Nein. Ich kenne ihn persönlich auch gar nicht. Aber ich gehe davon aus, dass wir uns an diesem Montag in Berlin treffen werden.
Dort wird Streich den nach ihrem Großvater benannten Julius-Hirsch-Preis verliehen bekommen.
Hirsch
Stimmt. Und zwar den Ehrenpreis, der in unregelmäßigen Abständen verliehen wird. Außerdem werden noch die beiden Chemnitzer Vereine ASA-FF und Athletic Sonnenberg, der Frankfurter Traditionsverein SG Bornheim 1945 e.V. Grün-Weiss sowie der jüdische Sportverband Makkabi Deutschland mit dem jährlich verliehenen Julius-Hirsch-Preis bedacht.
Christian Streich nimmt kein Blatt vor den Mund und weist immer wieder auf Missstände im Fußball, aber auch in der Gesellschaft hin.
Ist Christian Streich ein würdiger Preisträger?
Hirsch
Auf jeden Fall. Herr Streich nimmt kein Blatt vor den Mund und weist immer wieder auf Missstände im Fußball, aber auch in der Gesellschaft hin – und das schon seit vielen Jahren.
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) vergibt den Julius-Hirsch-Preis seit 2005 an Personen und Organisationen, die in besonderer Weise ihre gesellschaftliche Position nutzen, um sich für Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit einzusetzen. Was bedeutet er Ihnen und Ihrer Familie?
Hirsch
Wir wurden 2005, bevor der Preis installiert wurde, gefragt, ob wir als Familie einverstanden seien, dass er nach meinem Großvater benannt wird. Wir haben dann im Familienkreis diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, der den Preis initiiert hat, und der DFB sehr ernsthaft darum bemüht waren, etwas gegen Antisemitismus und Rassismus im und um den Fußball zu unternehmen. Seitdem ist die jährliche Vergabe des Preises für mich und meine Familie eine wichtige Angelegenheit.
Es hat allerdings auch lange gedauert, ehe der DFB sich an die Aufarbeitung seiner Nazivergangenheit gewagt hat. Warum tun Verbände und Vereine sich immer noch so schwer damit?
Hirsch
Vereine und Verbände sind nichts anderes als das Spiegelbild unserer Gesellschaft. Was in der Gesellschaft schwer fällt, fällt auch dort schwer. Und wenn wir ehrlich sind, ist erst in den 80er- und 90er-Jahren der Blick auf die Nazizeit ein kritischerer geworden in Deutschland. Der Fußball war da, bei der Änderung seiner Eigenreflektion, zwar nicht vorne dran, aber auch nicht ganz am Ende. Juristen, Mediziner, etc. waren jedenfalls auch nicht schneller.
Für Andreas Hirsch, den Enkel von Julius Hirsch, und seine Familie ist die jährliche Vergabe des Preises „eine wichtige Angelegenheit“.
Für Andreas Hirsch, den Enkel von Julius Hirsch, und seine Familie ist die jährliche Vergabe des Preises „eine wichtige Angelegenheit“. Foto: dpa/Peter Steffen
Wie würden Sie die Situation im deutschen Fußball heute beurteilen?
Hirsch
Man fragt sich, ob die Menschen aus der Geschichte wirklich gelernt haben, denn es ist in den letzten Jahren nicht besser geworden. Ganz im Gegenteil: Die antisemitisch motivierten Gewalttaten in Deutschland haben zugenommen. Seit Jahren ist dem so. Nach dem 7. Oktober, also nach dem Angriff der Hamas auf Israel, dem größten Pogrom seit Ende des Holocausts, ist es noch schlimmer geworden. Das ist sehr besorgniserregend, auch deshalb, weil die Gesetze in unserem Land nicht mit der nötigen Härte angewendet werden. Offenbar muss das Bewusstsein erst noch wachsen, dass diese antisemitische Gefahr unsere Demokratie zerstören kann.

Julius-Hirsch-Preis: Größere mediale Aufmerksamkeit wünschenswert

Wie wichtig ist gerade in diesem Zusammenhang, dass es Preise wie den nach Ihrem Großvater benannten gibt?
Hirsch
Es ist schon deshalb wichtig, weil es alljährlich ins Bewusstsein rückt, dass es durchaus Menschen gibt, die sich ganz bewusst und im Sinne unserer Demokratie gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung von Minderheiten stellen und das im täglichen Leben beweisen. Für mich ist es immer wieder ermutigend zu sehen, wie viele Bewerber es jährlich für den Julius-Hirsch-Preis gibt. Manchmal würde ich mir eine größere mediale Aufmerksamkeit dafür wünschen.
Sie sind Jahrgang 1962. Als Sie geboren wurden, war Ihr Großvater bereits 19 Jahre tot. Wie hat man in der Familie über ihn gesprochen?
Hirsch
In der Kindheit hat man meinen Bruder und mich von dem Thema erst mal weitgehend frei gehalten. Viel wurde über meinen Großvater jedenfalls nicht gesprochen. Es war dann die Fernsehserie „Holocaust – die Geschichte der Familie Weiss“, die Ende der 70er-Jahre ausgestrahlt wurde, und Anlass dafür war, dass mein Vater sich geöffnet und wiederum von seinem Vater gesprochen hat. Das war recht intensiv. Als ich, damals 14, diese Bilder gesehen und dazu die Familiengeschichte gehört habe, bin ich am nächsten Morgen anders in die Schule gegangen als am Vortag. Mit einem anderen Bewusstsein, aber auch mit einer anderen Haltung.
Julius Hirsch
Julius Hirsch wurde am 7. April 1892 in Achern geboren und wuchs als Sohn eines Kaufmanns in Karlsruhe auf. Foto: red
Wie sind Sie als Jugendlicher damit umgegangen? Wie sehr hat Sie das geprägt?
Hirsch
Es hat mich schon dahingehend geprägt, dass ich zum Beispiel Leistungskurs Geschichte gewählt und Geschichte kurz auch studiert habe.
Es ist gerade mal drei Wochen her, dass der aus Marokko stammende Bayern-Profi Noussair Mazroui in den sozialen Netzwerken ein Video verbreitet hatte, in dem den Palästinensern im aktuellen Krieg mit Israel ein Sieg gewünscht wird. Mazroui teilte einen Clip, in dem eine Stimme im Stil eines Gebets sagt: „Gott hilf unseren unterdrückten Brüdern in Palästina, damit sie den Sieg erringen. Möge Gott den Toten Gnade schenken, möge Gott ihre Verwundeten heilen.“ Wie sehr hat Sie das getroffen?
Hirsch
Es hat mich vor allem besorgt. Und es zeigt, wie wichtig es ist, junge Menschen zu bilden und sie über die Konsequenzen ihrer Worte oder auch jene, die sie in den sozialen Netzwerken teilen, aufzuklären. Die Reaktion der Öffentlichkeit, die darauf folgte, war bitter nötig und zeigt auch, wie wichtig Bildungsarbeit ist. Ich kann für diesen jungen Mann nur hoffen, dass er das Video aus Unwissenheit geteilt hat. Wenn nicht, fände ich Konsequenzen unbedingt notwendig.
Herr Hirsch, eine letzte Frage: Braucht es im Fußball mehr Christian Streichs?
Hirsch
Es braucht mehr offene Kommunikation und mehr Eingreifen von allen Beteiligten im täglichen Leben. Zivilcourage ist bitter nötig, um den Fortbestand unserer Demokratie zu schützen.
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