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Trautes Heim im Wandel

KIT-Professor: „Auch Einfamilienhäuser haben eine Zukunft“

Einfamilienhäuser sind in die Kritik geraten. Weisen ausgerechnet sie nun einen Weg aus der Wohnungsnot? Das sagen zwei Experten aus Karlsruhe.

Einfamilienhäuser sind die bevorzugte Wohnform im Südwesten. Sie sind wegen ihres Flächenverbrauchs umstritten. Doch sie können auch eine stille Reserve für Nachverdichtung sein.
Einfamilienhäuser sind die bevorzugte Wohnform in Baden-Württemberg. Sie sind wegen ihres Flächenverbrauchs umstritten. Doch sie können auch eine stille Reserve für Nachverdichtung sein. Foto: Uli Deck/dpa/Symbolfoto

Der Traum vom Häuschen im Grünen einerseits, immer weniger Platz andererseits: Einfamilienhäuser sind beliebt, gelten wegen ihres hohen Verbrauchs an Fläche und Energie perspektivisch aber eher als Auslaufmodell.

Statt die vor allem seit den 1960er Jahren entstandenen Siedlungen als Problem zu sehen, betrachten Bauplaner in Zeiten von Klimawandel und Wohnungsnot sie nun durchaus als Chance. Sie haben Eigenheime als stille Reserve im Blick. Es gibt viele Ideen. Aber auch viel zu tun. Im Kreis Ravensburg hat die Zukunft schon begonnen.

Das Einfamilienhaus ist prägend für Baden-Württemberg: Nach Angaben des Statistischen Landesamtes sind unter den 2,5 Millionen Wohngebäuden in Baden-Württemberg über 60 Prozent Einfamilienhäuser. Den höchsten Anteil an Einfamilienhäusern hat der Zollernalbkreis (78 Prozent), den niedrigsten der Stadtkreis Stuttgart (35 Prozent.)

In der Corona-Pandemie stieg nach Beobachtung des Immobilienportals ImmoScout24 der Wunsch nach dem eigenen Häuschen im Grünen. Gleichzeitig sank aber die Zahl der Baugenehmigungen im Südwesten. Laut Statistischem Landesamt waren Einfamilienhäuser im vergangenen Jahr vom Rückgang am stärksten betroffen: Mit 9000 Genehmigungen wurde ein Minus von 15 Prozent gegenüber 2021 verzeichnet. Ein historischer Tiefstand.

KIT-Professor kritisiert Förderung von Einfamilienhäusern außerhalb von Städten

Viel Platz und Abstand zum Nachbarn ist schön für den, der im eigenen Haus wohnt. Doch Wohnraum ist knapp. Einfamilienhäuser beanspruchen nach Feststellung von Experten zu viel Raum und eine aufwendige Infrastruktur, sie sorgen für mehr Verkehr, und ihre Oberfläche gilt als energetisch ungünstig.

Das vor allem in den 1960er Jahren aufgekommene Modell des Einfamilienhauses außerhalb der Städte sollte nach Meinung von Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Mitteleuropa nicht mehr gefördert werden.

Das sieht auch der Stuttgarter Bauingenieur und Architekt Werner Sobek so: „Ich muss davon abraten, Neubausiedlungen aus Ein- und Zweifamilienhäusern zu errichten.“ Sobek, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, bemängelt eine zu große Flächenversiegelung. Auch mache der größere Abstand zwischen den Gebäuden längere Straßen und Leitungen für Strom, Kommunikation und Wasserversorgung nötig.

Der ökologische Fußabdruck eines Eigenheimbewohners auf dem bayerischen Land sei doppelt so hoch wie der einer Person, die in der Münchner Innenstadt wohnt, haben die Münchner TU-Professoren Andreas Hild und Thomas Auer kürzlich in einem „Spiegel“-Gespräch erklärt. Nicht gut in Zeiten des Klimawandels.

Ungenutztes Potenzial bei Eigenheimen

Dennoch sehen die beiden ausgerechnet bei Eigenheimen große Chancen: Von der aufgestockten Garage über kleinere Umbauten bis hin zum erweiterten Reihenmittelhaus – würden nur zehn Prozent der bundesweit 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser umgebaut, würden demnach 1,6 Millionen neue Wohnungen geschaffen.

„Die beiden Professoren rennen bei uns offene Türen ein. Wir haben genau mit Blick auf diese Thematik diesen April eine Beratungsprämie ins Leben gerufen“, heißt es aus dem Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg. Denn eine Verdichtung des Bestands ist alternativlos, sagt KIT-Experte Neppl. „Flächen werden knapp, Grundstücke werden immer teurer. Im Moment ist jede Idee willkommen, die uns davor bewahrt, mehr Fläche zu versiegeln.“

Technisch wäre ein Anbauen oder Dazwischen-Bauen in vielen Fällen möglich, sagt Bauingenieur Sobek. Eine solche Nachverdichtung erfordere aber höchste städtebauliche und architektonische Sorgfalt. Der Städtetag begrüßt Möglichkeiten der Nachverdichtung – wenn sie zur planerischen Struktur des Gebiets passen. Wenn man Aufstockungen oder Anbauten pauschal zulasse, schaffe das Folgeprobleme.

Eigenheim als Retter gegen die Wohnungsnot?

Praktiker finden das interessant. „Es ist eine Möglichkeit, mehr Wohnraum zu schaffen“, sagt Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer des Verbands Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Ihm zufolge wäre es aber eher ein Nischenprodukt. Das sieht KIT-Professor Neppl ähnlich: Es könnten neue Einliegerwohnungen und Mehrgenerationenmodelle entstehen. „Aber das Wohnungsproblem löst das nicht.“

Die größte Hürde dürfte das Baurecht sein, meint Ottmar H. Wernicke, Sprecher der ARGE Haus & Grund Baden-Württemberg. Damit solche Vorhaben nicht scheitern, müsse die öffentliche Hand mitspielen. Und der Nachbar. „Es kann schon heute Streit um jede neue Gaube des Nachbarn geben“, meint Bauwirtschaftschef Möller. Hinzu kommt, dass manch älterer Eigentümer ein solches Projekt nicht mehr angehen will.

Wir können uns nicht mit Gesetzen und Vorschriften der letzten Jahrzehnte aufhalten, wenn uns die Welt um die Ohren fliegt.
Susanne Dürr
Professorin an der Hochschule Karlsruhe

„Um die vor uns liegenden Probleme meistern zu können, müssen wir alte Denk- und Verhaltensweisen überwinden sowie überkommene Regelungen abschaffen. Wir benötigen für unser Handeln viel größere Freiräume. Sonst schaffen wir die notwendige Wende im Bauen nicht. Die derzeitige Regelungsdichte in Deutschland nimmt jedweder Innovation den Atem. Sie muss dringend reduziert werden“, sagt Architekt Sobek.

Susanne Dürr, Professorin für Städtebau und Gebäudelehre an der Hochschule Karlsruhe, meint: „Wir können uns nicht mit Gesetzen und Vorschriften der letzten Jahrzehnte aufhalten, wenn uns die Welt um die Ohren fliegt.“

Schon der Begriff „Einfamilienhaus“ sei aus der Welt gefallen: Dem verheirateten Paar mit zwei Kindern stünden heute Patchworkfamilien, Alleinerziehende oder gleichgeschlechtliche Paare gegenüber. „Es gibt nicht die eine Lösung für diese großen Probleme. Es braucht einen riesigen Werkzeugkasten und Flexibilität auf allen Ebenen. Auch die Kommunen müssen überprüfen, was an Vorgaben veränderbar ist – angesichts von bundesweit 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäusern rentiert es sich nachzudenken“, sagt Dürr.

KIT-Professor Neppl warnt vor Schwarz-Weiß-Denken: „Nur noch Geschosswohnungsbau zu schaffen, wäre ebenso Quatsch. Auch Einfamilienhäuser haben eine Zukunft.“ Der Wohntyp sei interessant etwa für Besitzer von E-Autos, die vom Hausdach Solarenergie tanken.

Grün-schwarze Landesregierung will nichts vorschreiben

Wenn im Alter Haus und Garten zu groß werden und noch eine teure energetische Sanierung droht, könnte durch An- oder Umbau aus Sicht von Professorin Dürr eine „Win-Win-Situation“ entstehen: Wohnraumsuchende könnten sich an Kosten beteiligen; auch eine Koppelung von Pflege und Wohnen sei denkbar. Es gebe viele Optionen. Dass man von der Geburt des ersten Kindes bis zum Tod im Haus bleibt, müsse auch nicht sein.

Bei allen Überlegungen zur Nachverdichtung darf es eines nach Meinung von Haus & Grund-Sprecher Wernicke nicht geben: Zwang. „Damit erreicht man das Gegenteil. Man muss die Leute motivieren.“

Wenn aus einem Einfamilienhaus zwei Wohnungen werden, kann dies für alle ein Gewinn sein
Nicole Razavi
Wohnbauministerin

Vorschreiben will die grün-schwarze Landesregierung nichts. Denkanstöße geben schon. „Wenn aus einem Einfamilienhaus zwei Wohnungen werden, kann dies für alle ein Gewinn sein“, sagt Wohnbauministerin Nicole Razavi (CDU). In einem vom Land geförderten Projekt geben Architekten Hausbesitzern eine Einschätzung, wie ungenutzter Wohnraum aktiviert werden kann.

Vorbild für die Beratung mit 400-Euro-Prämie ist das Modell „Aus Alt mach 2 und mehr“ der Gemeinden Bodnegg, Schlier, Waldburg und Grünkraut (Kreis Ravensburg). Interesse war da, sagt eine Mitarbeiterin der Gemeinde Bodnegg. Unsicherheit durch den Ukraine-Krieg und Teuerungen im Baubereich machten einen Strich durch manche Rechnung. Nur kleinere Umbauten sind bislang realisiert. Sie hatte sich mehr erhofft.

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