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Erinnerung an NS-Zeit

Welches Geheimnis ein Holzkoffer in Karlsruhe-Rüppurr verbirgt

Die rot-braune Farbe des Koffers ist bereits verblichen. Seit bald 80 Jahren wird er von der Besitzerfamilie in Karlsruhe-Rüppurr gut gehütet. Denn er hat eine berührende Geschichte.

Hände zeigen Holzkoffer
Seit bald 80 Jahren ist der Holzkoffer im Besitz einer Familie aus Karlsruhe. Die Inschrift „M. Rozental s.“ ist mittlerweile stark verblasst. Foto: Jörg Donecker

Er ist geräumig, aber leer und er steht seit vielen Jahren auf dem Dachboden eines Hauses in Karlsruhe. Er wirkt verlockend, gerade für Kinder, und doch durften weder die aktuellen Besitzer noch später die Enkel jemals ihre Spielsachen darin verstecken.

Das war und ist einem Ehepaar aus Karlsruhe-Rüppurr wichtig. Denn der Koffer soll in Ehren gehalten werden. Die Rede ist von einem schlichten rötlich-braunen Holzkoffer, der die Familie seit vielen Jahren stumm begleitet.

Und dieser Koffer löst Emotionen und Erinnerungen an eine sehr dunkle Zeit in der deutschen Geschichte aus. Der Name der einstigen Besitzerin ist auf der Rückseite schon verblasst, doch auf der Innenseite des Deckels steht deutlicher lesbar „M. Rozental s.“.

Besitzer erinnert sich noch gut

Das Rentnerehepaar, das den Koffer seit vielen Jahren hütet und sich nun an diese Redaktion gewandt hat, möchte seinen Namen nicht nennen. Zu groß sind ihre Bedenken, aufgrund der Vorkommnisse vor bald 80 Jahren Anfeindungen ausgesetzt zu werden.

Eine Angst, die nachdenklich stimmen muss. Doch die Geschichte, die die beiden erzählen, ist durch die Erinnerung und die lange Zeit nicht verblasst – so wie der Name auf der Rückseite.

Im Jahr 1944 lebte der Vater des heutigen Kofferbesitzers in Weil-Haltingen bei Basel, arbeitete als Eisenbahnbeamter. Seine familiären Wurzeln lagen allerdings in Karlsruhe. Fünf Kinder gehörten auch zur Familie, wofür nach damaliger Sitte das Mutterkreuz in dritter Stufe verliehen wurde.

Jüdin flüchtete in die Schweiz

Eines Abends, so erinnert sich der Besitzer, stand die verzweifelte Frau eines Arbeitskollegen vor der Tür. Mit zwei kleinen Mädchen etwa in seinem Alter, so erinnert sich der Rentner noch, war sie heimlich gekommen. Denn sie war auf der Flucht.

Die drei aßen mit der Familie, übernachteten auch im Haus. Ein damals lebensgefährliches Unterfangen, denn die Besucherin war Jüdin und lebte mit dem „arischen“ Kollegen, der den Namen Sauer trug, in Mulhouse, was damals zum Deutschen Reich gehörte. Sie wollte vor der Verfolgung in die Schweiz fliehen.

Und ihre Habseligkeiten hatte sie in dem Koffer aus rotem Holz, den sie mit sich trug. Die Bahnmitarbeiter kannten üblicherweise Schleichwege über die Grenze, die anderen nicht bekannt waren.

So gelang mithilfe des Vaters des heutigen Besitzers die Flucht in die verhältnismäßig sichere Schweiz. Der Kollege des Vaters erschien noch mehrmals, um in kleinen Portionen die Habe seiner Frau herauszuschmuggeln. Und immer hielten die Eltern des heutigen Rüppurrers dicht und retteten so drei Menschenleben.

Schicksal der Frau Rozental aus Karlsruhe-Rüppurr im Nationalsozialismus ist ungeklärt

Was aus Frau Rozental und ihren Kindern geworden ist, wissen die Rüppurrer Rentner nicht. Und doch ist es ihnen ein Bedürfnis, dass der Koffer, der so viel erlebt hat, nicht nutzlos auf dem Speicher steht.

Gerade in den heutigen Zeiten trägt er aus ihrer Sicht eine Botschaft: gegen Rassismus, gegen Intoleranz. So möchte das Ehepaar den Koffer zur Verfügung stellen.

Entweder würden sie ihn gerne den Nachkommen der Familie Rozental überlassen, sollte man diese auffinden. Der Vorname ist auf dem Koffer mit M angegeben. Der Buchstabe s am Ende des Namens könnte auf das von den Nationalsozialisten zwangsweise verordnete Namenszusatz „Sara“ hindeuten.

Es wäre auch im Sinne des Ehepaars, ihn der jüdischen Gemeinde oder einem Museum zu übergeben, die ihn als Zeitzeugen zeigen kann. Auch denkbar wäre eine Vorführung in Schulen mit der Fragestellung: Wie wenig kann ein Mensch nur mitnehmen, wenn er flüchten muss?

Hinweise erbeten

Wenn Sie etwas über den Verbleib oder das Schicksal von M. Rozental wissen, melden Sie sich bei der Karlsruher Lokalredaktion der BNN unter dem Stichwort „Koffer“. redaktion.karlsruhe@bnn.de.

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