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Ausstellung in Bretten „1933–1945“

Wie es zur NS-Diktatur in der badischen Kleinstadt Bretten kam

Die Brettener wussten, was geschah und wählten 1933 trotzdem die NSDAP, sagt Museumsleiterin Linda Obhof. Eine Ausstellung thematisiert das Geschehen bis 3. Oktober.

Eine Menschengruppe lauscht im Museum Schweizer Hof den Worten von Alexander Kipphan, Stadtarchivar aus Bretten. Er ist einer der Kuratoren der jetzt endenden Ausstellung „1933 - 1945 Diktatur in einer badischen Kleinstadt“.
Schmerzhaft spürbar macht die Ausstellung „1933 - 1945 Diktatur in einer badischen Kleinstadt“ das Geschehen dieser Jahre. Catherine Fournell , Stadtarchivar Alexander Kipphan und Brettens Museumsleiterin Linda Obhof (von links) bei der letzten öffentlichen Führung. Foto: Irmeli Thienes

Das Kuratoren-Trio hat mit der Ausstellung „1933–1945 Diktatur in einer badischen Kleinstadt“ seit Mai rund 1.400 Besucher erreicht. Bei der letzten öffentlichen Führung durch das Museum Schweizer Hof gelingt es Linda Obhof, Alexander Kipphan und Catherine Fournell, schmerzhaft klar vor Augen zu führen: Die Machtergreifung der Nazis 1933 fand, wie „durch ein Brennglas betrachtet, auch in Bretten statt“, formuliert Obhof. Die Ausstellung läuft noch bis 3. Oktober. Bis dahin gibt Linda Obhof noch Führungen für Schulklassen.

„All die Ereignisse haben nicht nur irgendwo stattgefunden, sondern genauso hier bei uns“, sagt die Museumsleiterin der Stadt. Vier Wochen nach der Machtergreifung kam es zum Boykott jüdischer Geschäfte. Im Juni 1933 wurden auch in Bretten Bücher verbrannt.

Was wusste man in Bretten vor 1933?
Linda Obhof
Museumsleiterin der Stadt Bretten

Am Morgen des 10. November 1938 brannte auch in Bretten die Synagoge nieder. Die Ausstellungs-Kuratoren haben eine Rechnung der Brettener Tankstelle Ernst Mayer genau geprüft. Sie führt Benzin auf. Wörtlich heißt es in der zweiten Zeile: „50 ltr. Shell f. Brand v. Synagoge“, dahinter 19,50 Reichsmark.

Was wusste man in Bretten vor 1933? Auf ihre Frage sieht Linda Obhof in die Gesichter von einem guten Dutzend Teilnehmer der Führung. Die Kuratoren haben ihre Arbeit für die Ausstellung vor fünf Jahren begonnen und in den beiden vergangenen Jahren intensiviert.

Ein Ausstellungsstück: Die Rechnung einer Tankstelle weist Benzin für den Synagogenbrand aus.
Die Kuratoren prüften das Ausstellungsstück genau: Eine Rechnung weist Benzin für den Brand von der Synagoge aus. Foto: Irmeli Thienes

Inzwischen haben sie mit mehr als 20 Zeitzeugen gesprochen und setzen das fort. Ein zweiter Ausstellungsteil ist geplant. Es melden sich weitere Menschen, aktuell einige von 1920er Jahrgängen. Auch wurde bislang manches zu knapp beleuchtet, wie die Euthanasie.

Jetzt ist es mit Weimar vorbei, zitiert eine Brettener Zeitzeugin ihren Vater

Eine Zeitzeugin berichtete, ihr Vater erlebte im Gasthaus Schwanen an der Pforzheimer Straße, wie Braunhemden aus dem ganzen Gau zusammengezogen wurden. „Es war wohl ein sehr großer Trauermarsch mit Kapelle“, so Obhof. Sie zogen zu Ehren eines NSDAP-Mannes durch die Stadt. Er war beim Hochwasser von 1931 ertrunken. „Die Worte ihres Vaters auf die Aufforderung von NSDAP-Leuten, die Hakenkreuzfahne zu grüßen, haben sich ihr eingebrannt: Ade, Weimarer Republik.“

Obhof sagt: „Man wusste vorher, was passiert oder hätte es wissen können. Trotzdem haben 47 Prozent der Brettener 1933 die NSDAP gewählt.“ Von da an folgten im Wochentakt Gesetzesänderungen, Verfolgungen von Mitgliedern der SPD oder KPD. „Ihre Wohnungen wurden durchsucht, sie selbst ins KZ Kislau gebracht“, so Obhof.

Uns geht es heute so viel besser.
Linda Obhof
Museumsleiterin

Sie erinnert an die Weltwirtschaftskrise 1929, die Hyperinflation 1923 und den Frust über die Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg. Auch die Brettener trauten der zersplitterten Weimarer Politik nicht mehr zu, die Misere zu ändern. Zu heutigen Parallelen angesichts der Politikverdrossenheit und der Inflation sagt Obhof: „Uns geht es heute so viel besser.“ Damals hätten sehr viele Menschen Hunger gelitten.

Die Ausstellung rückt auch Wilhelm II. Gillardon in den Fokus. Er beschäftigte keine Zwangsarbeiter und trat erst 1944 unter extremem Druck der NSDAP bei. Im Gemeinderat wehrte man sich gegen den Anwalt und Bürgermeisterstellvertreter Otto Heinrich Schmidt von der Partei DNVP, der den Pfarrer Otto Leiser wegen Überschreitung der Badezeit anklagen wollte und später NSDAP-Mitglied wurde.

Fotos von Deportierten und der Plünderung ihres Hauses an der Melanchthonstraße

Oder das Ehepaar Erlebacher: Es besteigt am Tag ihrer Deportation im Oktober 1940 auf einem Foto einen Wagen mit wenigen Habseligkeiten. Ein Bild darunter zeigt, wie Brettener tags darauf in ihr Haus an der Melanchthonstraße einsteigen, um zu plündern.

Auch Christian Müller, Bürstenmacher aus Gölshausen, ist abgelichtet, wie er die Hakenkreuzfahne am Rathaus hisst. Am selben Tag, dem 6. März 1932, wird auch der Pfeifferturm rot-weiß-schwarz beflaggt. Müller wurde vom Kuratoren-Trio als der erste NSDAP-Ortsgruppenleiter identifiziert. Er wurde als solcher zum Vorstand der AOK gemacht.

Kipphan zufolge wehrte sich der Brettener Gemeinderat im Januar und Februar 1933 mehrmals gegen die Beflaggung. „Aber Bürgermeister Schemenau musste dem Druck nachgeben, als vor dem Rathaus SA aufmarschierte und er Straßenkämpfe zwischen SA und Schutzpolizei fürchtete.“

Die Brettener Ausstellungs-Kuratoren haben eine Hoffnung

Die Kuratoren hoffen, dass die Ausstellung digitalisiert wird. Sie hätten damit „Pionierarbeit geleistet“, so Kipphan, im Übrigen auf Basis der Staatsexamensarbeit aus 1984 von Hansjörg Ebert, BNN-Autor aus Bretten. Noch lieber wäre dem Trio, es fänden sich sowohl ein Doktorand als auch Fördermittel hierfür.

Öffnungszeiten Museum Schweizer Hof

Die Ausstellung „1933–1945 Diktatur in einer badischen Kleinstadt“ ist noch bis einschließlich 3. Oktober zu sehen, samstags, sonntags und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr. Dazu jeden Mittwoch von 15 bis 19 Uhr.

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