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Fragen und Antworten

Karlsruhe will Schwarzfahren nicht mehr anzeigen – andere Städte warnen

Ist der Ehrliche der Dumme, wenn Schwarzfahrer nicht mehr bestraft werden? Der Karlsruher Gemeinderat ist für eine Entkriminalisierung. Der Bundesjustizminister auch. Doch Städte warnen.

Mitarbeiter des Fahrausweis-Prüfdienstes überprüfen Fahrscheine in einer Stadtbahn.
Wer dreimal in drei Jahren ohne gültigen Fahrschein erwischt wird, muss mit einer Strafanzeige rechnen. Das könnte sich bald ändern. Foto: Holger Hollemann/dpa

Für die einen ist es ein Kavaliersdelikt, für die anderen bleibt es eine Straftat: Schwarzfahren in Bussen und Bahnen. Der Karlsruher Gemeinderat ist dafür, das Fahren ohne Ticket zu entkriminalisieren.

Das plant auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Rahmen der geplanten Reform des Strafgesetzbuches. 

Schwarzfahren: Karlsruher Stadtverwaltung will bisherige Praxis beibehalten

Beim baden-württembergischen Städtetag und den Verkehrsverbünden stößt das aber auf Ablehnung. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer warnt: „Eine Bagatellisierung des Schwarzfahrens ist ein falsches Signal. Der Ehrliche ist dann der Dumme.“

Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengetragen.

Wie ist der Status quo?
Wer sich eine Fahrt ohne Ticket „in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten“, muss nach Paragraf 265a Strafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe rechnen. 
Ins Gefängnis kommen jedoch die wenigsten. Nach Angaben des baden-württembergischen Justizministeriums verbüßten zum Stichtag 25. Mai 2023 im Land zwölf Gefangene eine Freiheitsstrafe wegen Erschleichens solcher Leistungen. Nach einer älteren Erhebung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) verbüßen um die drei Prozent der angezeigten Personen eine Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafe wegen Schwarzfahrens.
Verstöße werden vor Ort unterschiedlich umgesetzt: In Karlsruhe wird erst dann jemand angezeigt, wenn er innerhalb von drei Jahren dreimal ohne gültigen Fahrschein erwischt wird. In Mannheim setzt man auf Fingerspitzengefühl: „Niemand muss die Sorge haben, dass er strafrechtlich verfolgt wird, wenn er einmal seinen Fahrschein vergessen hat.“ Wer wiederholt oder vorsätzlich betrügt, muss jedoch mit Strafe rechnen – schon im Sinne der großen Mehrheit der Fahrgäste, die sich korrekt verhält, so die Stadt.
Was könnte sich ändern?
Das Bundesjustizministerium will Schwarzfahren zu einer Ordnungswidrigkeit herabstufen. Ein Entwurf soll noch in diesem Jahr vorgelegt werden. Eine Mehrheit von Linken, Grünen und SPD im Karlsruher Gemeinderat will schon vorher auf Anzeigen verzichten. 
Schwarzfahren wäre dann zwar noch immer rechtlich eine Straftat. Wenn die Karlsruher eine solche nicht mehr verfolgen, wäre das aber eine „faktische Entkriminalisierung“, sagt Susanne Nusser, Verkehrsdezernentin des baden-württembergischen Städtetags. Auch in Düsseldorf, Bremen und Bremerhaven gibt es ähnliche Überlegungen. 
In Karlsruhe pochen die Stadtverwaltung und die Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK) auf die bisherige Praxis. Bis zur Entscheidung des VBK-Aufsichtsrats im Mai ändert sich für Fahrgäste erst mal nichts. Selbst wenn es künftig keine Anzeigen mehr geben würde, könnte ein Schwarzfahrer dennoch zur Kasse gebeten werden – im Rahmen einer Ordnungswidrigkeit.
Was spricht für eine Entkriminalisierung?
Niemand dürfe wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis kommen, argumentieren die Befürworter. Wer ohne gültigen Fahrschein unterwegs ist, sei häufig arm oder in einer schwierigen Lebenssituation, betonen die Karlsruher Linken, deren Antrag im Gemeinderat erfolgreich war. Eine Freiheitsstrafe für Menschen, die nicht zahlen könnten, stehe dem Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts entgegen. 
Befürworter führen auch an, dass ein Verzicht auf Strafanzeigen Justiz und Ermittlungsbehörden entlasten würde. 
Das jedoch könnte aus Sicht des CDU-geführten Stuttgarter Justizministeriums ein Trugschluss sein: Bei einer Ordnungswidrigkeit würden Zuständigkeiten nur auf die Verwaltungsbehörden verlagert – und für Generalstaatsanwaltschaften und Oberlandesgerichte könnte es bei Rechtsbeschwerden sogar Mehrbelastung bedeuten.
Was spricht dagegen?
Aus Sicht des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und des Städtetags sollte Schwarzfahren ein Straftatbestand bleiben. „Sonst zahlen die Rechtschaffenen für die mit, die gegen Regeln verstoßen. Jeder, der schwarz fährt, tut dies auf Kosten desjenigen, der neben ihm sitzt und gezahlt hat“, so Dezernentin Nusser. Oder, wie es der Tübinger OB Palmer ausdrückt: „Der Ehrliche ist dann der Dumme.“
Bei einer Nichtverfolgung von Schwarzfahrern würden den Städten im Land nach Schätzung Nussers hohe zweistellige Millionenbeträge entgehen – Geld, das nach Ansicht des Landkreistags dringend gebraucht wird, um die Verkehrswende voranzutreiben. 
Auch würde die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit den Kommunen den Schwarzen Peter zuschieben. Statt Staatsanwaltschaften und Gerichten müssten dann Bußgeldstellen Verfahren führen. 
Die Verkehrsbetriebe und der Landkreistag gehen zudem davon aus, dass bei einem Anzeigenverzicht die Schwarzfahrerquote steigt. Fehlende Einnahmen müssten dann von der Allgemeinheit bezahlt werden – über höhere Ticketpreise oder über den städtischen Haushalt. Bei den unterlegenen Fraktionen im Karlsruher Gemeinderat wie CDU und Freie Wähler stößt eine Entkriminalisierung deshalb auf Unverständnis.
Wie groß ist das Problem? 
Ohne Ticket ist zwar nur eine kleine Minderheit in Bussen und Bahnen unterwegs, doch die Folgen sind immens: So bedeutet eine Beanstandungsquote von etwa drei Prozent bei den Verkehrsbetrieben Karlsruhe (VBK) schon jetzt ein Einnahmeverlust von mehreren Millionen Euro. Bei einem Anzeigenverzicht würde nach Befürchtung der VBK die Zahl der Verstöße deutlich steigen. Der säumige Fahrgast könnte einfach türmen, weil Kontrolleure ihn dann nicht mehr zur Feststellung der Personalien festhalten dürften. 
„Als Verkehrsunternehmen raten wir davon ab, die Sanktionsmöglichkeiten zu stark zurückzufahren“, heißt es aus Mannheim. Fahrgeldeinnahmen seien eine wichtige Finanzierungssäule des ÖPNV. Die Beanstandungsquote bei Kontrollen liegt in Mannheim bei einem Prozent. 
In Heilbronn liegt die Schwarzfahrerquote bei etwa 3,5 Prozent. Dort befürchtet man, dass bei einer Entkriminalisierung die Hemmschwelle deutlich sinken und sich die Quote verdoppeln könnte. „Ein Ausfall von Fahrgeldeinnahmen in Höhe von rund 1,2 Millionen Euro scheint realistisch.“
Ein Kontrolleur des Karlsruher Verkehrsverbunds (KVV) überprüft mit einem Handlesegerät die Fahrkarte eines Fahrgastes.
Ein Großteil der Schwarzfahrten wird nach Vermutung des Städtetags nicht aufgedeckt. Foto: Uli Deck/dpa
Was hat das Ganze mit dem Deutschlandticket zu tun?
Ein Großteil der Schwarzfahrten wird nach Vermutung des Städtetags nicht aufgedeckt. Angesichts des Erfolgs vom Deutschlandticket fragen sich manche Städte auch, inwiefern sich Kontrollen überhaupt noch lohnen, wenn fast jeder eine Fahrkarte hat. 
Andererseits: Wenn Fahren ohne Ticket nicht mehr verfolgt werden, könnten sich nach Befürchtung des Kommunalverbands Fahrgäste schon fragen, warum sie überhaupt noch ein Deutschlandticket kaufen sollen.
Die Stadt Mannheim führt den Rückgang bei Beanstandungen auch auf das Deutschlandticket zurück. Es sei ein sehr günstiges ÖPNV-Angebot. Tübingens Rathauschef Palmer findet: „Das Deutschlandticket ist so günstig, dass wirklich jeder das Schwarzfahren einfach vermeiden kann.“ Für seine Bürger gibt es das Deutschlandticket zum rabattierten Preis von 34 Euro, Menschen mit KreisBonusCard zahlen 15 Euro. Die Differenz trägt die Stadtverwaltung.
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