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Städter lieben den schlanken Steg über die Gleise

Die neue Wasserwerkbrücke in Karlsruhe ist nach einem Jahr beliebter denn je

Seit einem Jahr kommen Fußgänger und Radfahrer über die neue Wasserwerkbrücke wieder direkt zwischen der Südstadt und dem Oberwald hin und her. Der schlanke Steg kommt bestens an, die Wegverbindung wird gut genutzt.

Jogger, Radfahrer und Passanten im Juli 2020 auf der Wasserwerkbrücke.
Beliebte Verbindung: Die neue Wasserwerkbrücke bietet den Karlsruhern zu Fuß und per Rad den kurzen, direkten und autofreien Zugang von der Südstadt in den Oberwald. Und sie erlaubt Tiefblicke auf Rangiergleise, Züge und Loks. Foto: Jörg Donecker

Erst Abschiedsschmerz, dann Neubau in Rekordzeit mit spektakulären Momenten, schließlich ein Happy End: Ein Jahr ist es her, dass der Neubau der Wasserwerkbrücke wieder den direkten Weg für Fußgänger und Radfahrer zwischen Südstadt und Oberwald öffnete.

Der schlanke Steg ist inzwischen beliebter denn je. Eltern mit kleinen Kindern und Kita-Gruppen pilgern bei schönem Wetter über die Brücke in den Oberwald. Pendler und andere Radfahrer benutzen die Piste. Rüstige Senioren laufen aus dem Wohnstift Rüppurr über den autofreien Weg in die Innenstadt. Werdende Mütter und Hundebesitzer genießen den Spaziergang. Oft lehnen Passanten an der blanken Balustrade und blicken auf Eisenbahngleise, Güterzüge und Rangierloks.

In sieben Wochen erwartet eine 33-Jährige ihr erstes Kind. „Ich liebe diese direkte Verbindung zum Wald”, sagt sie. „Ich bin sehr naturverbunden. Im Oberwald spazieren zu gehen, auch die Tiere anzuschauen, das ist für mich die beste Erholung.” Aus der Südstadt will sie auch den Kinderwagen bald oft über die Wasserwerkbrücke schieben.

Brücke als Fitness-Strecke für Rentner

Angelo Bellanova radelt vorbei. Er überquert die Brücke jeden Morgen. Denn nach 43 Jahren als Metallarbeiter ist er seit Februar in Rente und achtet nun auf seine Fitness. „Die neue Brücke ist schön”, findet er. „Ich mag das Material.”

Die flotte Mama des dreijährigen Moritz, der in seinem Wagen schlummert, erinnert sich mit Freude an die Eröffnung des neuen, modern gestalteten Stegs. Nur der Belag gefällt ihr nicht so: „Da ist das Schieben schwierig.”

Ein Jogger zieht auf dem Anstieg zum Scheitelpunkt der Brücke das Tempo an. Elf Kleinkinder mit Hüten kommen ihm in der Sommersonne entgegen. Die Begleiterinnen haben es nicht leicht, die quicklebendige Gruppe der bilingualen Kindertagesstätte Polyglott zusammenzuhalten. Deutsche und französische Zurufe fliegen. 600 Meter vor dem Oberwald reiht sich die kleine Schar über der Südtangente auf. Von sicherer Warte winken einige Kinder zur Südtangente hinunter.

Der Abschied von der alten Brücke war sentimental

Ein sentimentaler Countdown begleitet im Juli und August 2018 die letzten Tage der alten Wasserwerkbrücke. Generationen von Karlsruhern erinnern sich an das markante Brückengeländer der Konstruktion, die 124 Jahre lang die Gleisstränge des Rangierbahnhofs überspannt.

März 1955: Blick von der Wasserwerkbrücke durch schräge Metallstreben über das Gelände des Rangierbahnhofs Karlsruhe.
Schräge Sache: Metallstreben fassen von 1895 bis 2018 den Blick von der Wasserwerkbrücke über das Gelände des Rangierbahnhofs, wo im Jahr 1955 noch Dampfloks fahren. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe/Horst Schlesiger

Der Blick durch die schrägen Metallstreben der Stahlbrücke Baujahr 1894/1895 fasziniert große und kleine Leute. Seit 1981 verlängert ein angesetztes Stahlbetonstück über die Südtangente den Brückenschlag zwischen Südstadt und Oberwald.

Die alte Wasserwerkbrücke bröckelt mit der Zeit immer heftiger. 1998 sinkt durch erhebliche Beschädigungen die Tragkraft so weit, dass Kraftfahrzeuge nicht mehr passieren dürfen. 20 Jahre lang schlängeln sich aber noch Eltern mit Kinderwagen, Radfahrer, Spaziergänger und Jogger an Absperrungen und Gabionen vorbei.

Tweets und Party zum Abriss im August 2018

Erst im August 2018 beißen Abrisszangen erstmals in das 163 Meter lange Brückenbauwerk. Wochenlang „zwitschert” das schwindende Bauwerk noch via Twitter über seine letzten Tage, Brücken-Fans gestalten spontan eine kleine Abschiedsparty vor Ort.

Erzürnt sind die Betroffenen darüber, dass es für die angekündigten 18 Monate Bauzeit keinen Ersatz geben soll. Nur eine Umfahrung für Radfahrer wird rasch ausgebaut, und Bewohner der Südstadt nutzen 8.500 Gratistickets für Bahnfahrten zum Dammerstock.

Die Wogen glätten sich, als die Lücke viel schneller als gedacht wieder zuwächst. Trotz engem Takt beim Bau über den Starkstromleitungen klappt alles. Alle vorgefertigten Steg-Stücke schweben in spannenden Nachteinsätzen wie geplant an Ort und Stelle. Auch die Baukosten bleiben im veranschlagten Rahmen von rund 3,7 Millionen Euro.

Präzisionsarbeit bei Technik und Zeitmanagement ist beim Bau der neuen Wasserwerkbrücke permanent gefragt. Mitte März 2019 schwebt ein Teil des Stegs an seinen Platz.
Präzisionsarbeit bei Technik und Zeitmanagement ist beim Bau der neuen Wasserwerkbrücke permanent gefragt. Mitte März 2019 schwebt ein Teil des Stegs an seinen Platz. Foto: Jörg Donecker

Lückenschluss schon nach einem knappen Jahr

So strahlen Bürger und Oberbürgermeister Frank Mentrup an einem heißen Hochsommertag 2019 in praller Sonne um die Wette. Schon am 24. Juli 2019, weniger als ein Jahr nach der Sperrung am 30. Juli 2018, ist der Weg in den schattigen Wald wieder frei. „Wir sind total froh, dass dieses Bauwerk jetzt steht”, sagt damals die Vorsitzende der Bürgergesellschaft Südstadt, Martina Hillesheimer und verbindet das mit einem „Schlussstrich unter die Auseinandersetzung”.

Blitzblank wirkt das Ensemble mit dem Mini-Balkon und der Edelstahlplastik von Klaus Gündchen auf der Stadtseite bis heute. Die städtischen Putztrupps beseitigen Scherben und gelegentliche Schmierspuren am Geländer. Die Rampen sind steiler, wodurch der Rundumblick weiter ist. Vor allem aber ist der Sicherheitsabstand zu den Hochspannungsleitungen größer. Die Bahn revanchiert sich für diesen Vorteil, indem sie sich an den Baukosten beteiligt.

Heimspiel mit Rundumblick

Ein Heimspiel ist der Brückenspaziergang für Nina Hubert, unterwegs mit dem zweieinhalbjährigen Adam und der sechsmonatigen Ronja. Als Mitarbeiterin des Zoos hat sie beste Ortskenntnisse.

„Die Kollegen haben von der Aussicht geschwärmt, einen ganz kurzen Weg zwischen Zoo und Oberwald zu haben”, erzählt die Frau, die zeitweise zum Team der Elefantenpfleger gehörte, als sie noch Nina Weigert hieß. Dann sahen Zoobesucher sie bei den Giraffen, Erdmännchen, Zebras und Säbelantilopen, bevor im Bereich „Afrika” im Zoo der Umbau begann.

Adam folgt mit großen Augen einem Intercity, der über die Hochgleise am Tivoli rollt. Er liebt die Ausflüge auf die Wasserwerkbrücke. „Der Blick in alle Richtungen ist super”, sagt seine Mutter. Mit einer schlanken Hündin strebt eine 59-jährige Frau aus Jöhlingen zum Wald. „Meine Tochter wohnt am Tivoli, heute führe ich ihren Hund aus”, erzählt sie. Die Zeit ohne Brücke fand sie „gefühlt lang”.

Für manche ist der steilere Anstieg zu anstrengend

Jetzt freut sich die Frau mit Hund über den Lückenschluss, fragt aber: „Warum ist der zweite Teil so steil?” So geht es auch einer weißhaarigen Gärtnerin, die an der Brückenrampe zur Mittelbruchstraße Tomatenstöcke wässert. Ihr gefällt es, dass der Weg über die Rangiergleise wieder frei ist. Und das, obwohl die Sackgasse vor ihrem Garten an Wochenenden jetzt immer mit Autos zugeparkt sei, „weil alle in den Oberwald und den Tierpark wollen”.

Für die Südstädterin Jahrgang 1943 allerdings steigt die neue Brücke zu stark an. „Ich bin einmal mit meinen Enkeln gegangen, das mache ich nicht nochmal”, erklärt sie. Eine Bekannte steige auf dem Weg zu ihrem Rüppurrer Garten oft vom Fahrrad ab und schiebe. Uneingeschränkt ist aber ihre Freude am kunstvollen Schnörkel von Klaus Gündchen. Den hat sie von ihrer grünen Oase aus seit einem Jahr voll im Blick und schwärmt: „Das ist sehr schön.”

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