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Meinung

von Klaus Michael Baur

Betrachtung zum Fest

Weihnachten führt ins Land namens Hoffnung

Das Weltklima schwankt zwischen Friedenswunsch und Kriegsrealität, sagt Klaus Michael Baur, BNN-Verleger und Chefredakteur, in seiner Betrachtung zum Fest.

Weihnachten wäre nicht Weihnachten, wenn wir nicht aus Miseren Kraft und Zuversicht schöpfen könnten, betont BNN-Verleger und Chefredakteur Klaus Michael Baur.
Weihnachten wäre nicht Weihnachten, wenn wir nicht aus Miseren Kraft und Zuversicht schöpfen könnten, betont BNN-Verleger und Chefredakteur Klaus Michael Baur. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa/Symbolbild

Arnold Schönbergs „Friede auf Erden“ ist ein ergreifendes Chorwerk. Auch wenn das Wechselspiel von Konsonanz und Dissonanz sicher nicht alle erreicht, die das klassische Weihnachtslied oder Bachs Oratorium bevorzugen. Doch viel wichtiger: Schönbergs über 100 Jahre alte Vertonung eines Weihnachtsgedichtes von Conrad Ferdinand Meyer trifft zum Heiligen Abend 2022 ins Zentrum des Weltklimas – zwischen Friedenswunsch und Kriegsrealität.

Bei Schönberg und Meyer duellieren sich guter und böser Geist, stößt die Engels-Verheißung eines Lebens in Frieden auf die harte Wirklichkeit: „Blut’ge Taten“ und „Mordgebärden“ prägen das irdische Geschehen. Chöre zagen, flehen, klagen angesichts dieser Polarität – bis am Ende doch „die hellen Tuben dröhnen: Friede, Friede auf der Erden“.

So wünschen wir das Ende von Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine herbei. Mitten in einer Zeitenwende. Mitten im tagtäglichen Krisenstatus. Energieverbräuche müssen rationiert werden. Gas- und Strompreisdeckel kursieren als Regulativ. Der Griff ins Regal der billigeren Waren wird hie und da zum Gebot. In so mancher Stube macht Schmalhans dem Christkind Konkurrenz. Aber ist das in einer Wohlstands- und Konsumgesellschaft, die vieles auffangen kann, wirklich schlimm?

Weihnachten wäre nicht Weihnachten, wenn wir nicht aus Miseren Kraft und Zuversicht schöpfen könnten. Zunächst: Putin hat sich in seiner Strategie eines Blitzkrieges in der Ukraine verkalkuliert. Sein Plan, mit schnellen Etappenerfolgen vollendete Tatsachen zu schaffen, den Westen zur Hinnahme einer von Russland geschaffenen neuen Faktenlage zu zwingen, ist gescheitert. Mit dem klaren Widerstand einer Allianz, die Völkerrechtsbruch und kriegerischen Imperialismus sofort verurteilt und beantwortet, hat der russische Präsident nicht gerechnet.

Nun gewinnt die Ukraine dank der entschiedenen westlichen Hilfe Gebiete zurück. Charkiw und Cherson sind wieder in ihrer Hand. Das ist natürlich noch keine Wende. Die Ukraine steht weiter mit dem Rücken zur Wand. Aber die russische Invasion ist ins Stocken geraten. Die Teilmobilmachung gerät zum Fiasko. Putins Rhetorik verliert sich zusehends in frei erfundenen Narrativen, Schuldzuweisungen und militärischen Einschüchterungen.

Nicht nur zwischen den Zeilen klingt durch: Sand herrscht im Getriebe des Angriffskrieges. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dagegen bespielt sehr geschickt seine Social-Media-Kanäle und punktet international. Wie bei seinem vorweihnachtlichen Besuch des stärksten Verbündeten in Washington, wo die USA und Joe Biden der Ukraine erneut Milliardenhilfe und moderne Patriot-Abwehr zusicherten.

Schon bei Arnold Schönberg duellieren sich guter und böser Geist.
Klaus Michael Baur, BNN-Verleger und Chefredakteur

Die Opfer für die Erfolge des Kampfes gegen Putin sind nicht klein. Nach Belieben jongliert der russische Präsident mit Gasdrosselungen. Globale Lieferketten sind gestört. Die Wirtschaftswelt ist in Irritation geraten. Hinzu kommen Inflation und die Corona-Folgen. Firmen geraten in existenzielle Bedrängnis. Nichts wird nach der Zeitenwende mehr so sein wie vorher, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz. Die Realität gibt ihm Recht.

Doch wie wichtig war es, der russischen Aggression im Vorhof der EU, am Grenzstein europäischer Visionen, massiv entgegenzutreten. Putins zynisch klingende „militärische Spezialoperation“ hinterlässt schon heute verwüstete Landschaften, zerstörte Städte. Tausende von Menschen, darunter viele Kinder, sind tot. Die Ukraine alleine zu lassen, käme einem humanitären und völkerrechtlichen Versagen gleich.

Zugegeben: Das Wort Waffenlieferung ziert keine Weihnachtsbetrachtung. Gerade Deutschland, aus der eigenen historischen Schuld im politischen Denken pazifistisch orientiert, tut sich mit dieser Thematik schwer. In einer helfenden Staatengemeinschaft lässt sich aber irgendwann nicht mehr das Pflichtenheft verdrängen, einem in Not geratenen, von der Kriegswalze überrollten Land auch mit militärischen Mitteln beizustehen.

Die Ukraine alleine zu lassen, käme einem humanitären Versagen gleich.
Klaus Michael Baur, BNN-Verleger und Chefredakteur

Alle Wünsche zielen zum Jahresende nun auf die im Kreml reifende Einsicht, dass am Ende dieses Krieges kein Sieg stehen kann. Sollte derzeit auch wenig für diese Entwicklung sprechen. Weihnachten führt immer ins Land namens Hoffnung. Die Solidarität mit der Ukraine ist ungebrochen. Hohe Spendenbereitschaft und ein klares Bekenntnis zur Flüchtlingshilfe zeigen, dass es den kalten Deutschen nicht gibt. Karitatives Denken ist ausgeprägt.

Ein schönes Signal zum 24. Dezember. Und vielleicht lässt sich aus einer Neuorientierung in der krisenumwitterten Zeitenwende die Erkenntnis ziehen, welche Kraft aus der Gemeinschaft entsteht. Plötzlich sind auch in Deutschland wieder Begriffe wie Nachbarschaftshilfe und Freundschaftsdienste gefragt – anstelle des Denkens in einer Ich-AG. Die Linderung der größeren Not steht im Mittelpunkt. Ob es um Improvisationskunst im aktuellen Medikamentenmangel, um Einkaufshilfen für Patienten in der Krankheitswelle oder um Rücksicht auf Akutfälle in den überlasteten Krankenhäusern geht. Gemeinschaftsgeist ist die beste Grundlage für den Gesellschaftsfrieden.

Auf Arnold Schönbergs „Frieden auf Erden“ muss die Welt noch warten. Schönberg selbst beurteilte sein Chorwerk später distanziert. Der österreichische Komponist befand, dass er „eine „Illusion für gemischten Chor“ zu Papier brachte. Weil er in seinem damaligen Schaffen noch „die reine Harmonie unter Menschen“ für möglich hielt. Ja: Der ewige Frieden auf Erden mag eine Illusion sein. Doch nicht der Glaube, dass Frieden überall und immer wieder zurückkehren kann.

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