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Hilfe in der Bildungskrise?

Karlsruher PH-Professor fordert: Schickt Tausende Lehramtsstudenten in die Grundschulen

Alle jammern über Lehrermangel und schlechte Schülerleistungen. Christian Gleser von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe ist überzeugt: Studierende könnten als Schulassistenten die Not lindern – und davon selbst profitieren.

Ein junger Mann hilft Kindern im Klassenzimmer beim Lernen.
Wie ging das noch? Wenn Grundschulkinder alleine nicht weiterkommen, könnten Lehramtsstudenten wertvolle Anschubhilfe leisten, meint der Karlsruher PH-Professor Christian Gleser. Er fordert: Setzt die Nachwuchskräfte als Schulassistenten ein. Foto: Adobe Stock

Alle klagen über die desaströsen Pisa-Ergebnisse der Schulkinder in Deutschland: 20 Prozent der Mädchen und Jungen kommen aus der Grundschule, ohne das Lesen, Schreiben und Rechnen auch nur einigermaßen zu beherrschen.

„Es ist unwahrscheinlich, dass wir diese Defizite reduzieren können, wenn wir an dem Prinzip ‚Eine Lehrkraft pro Klasse‘ festhalten“, sagt Christian Gleser, Professor an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe (PHKA). Doch: Woher soll die Verstärkung kommen – in Zeiten des akuten Lehrermangels? Dazu hat Gleser eine Idee: Lehramtsstudenten sollten regelmäßig als Assistenten in den Grundschulen arbeiten.

Es ist so wichtig, dass in der Grundschule von Anfang an Freude dabei ist.
Christian Gleser
Professor an der PH Karlsruhe

„Wir sollten das enorme Potenzial der vielen Tausend hochmotivierten angehenden Lehrkräfte nutzen“, erklärt Gleser, der das Institut für Schul- und Unterrichtsentwicklung leitet. Sein Vorschlag: Einen Tag pro Woche sollten die Nachwuchspädagogen im Klassenzimmer assistieren. Damit wäre aus seiner Sicht allen geholfen – Schülern, Studierenden und dem Schulsystem.

Manchmal scheitert es schon an der Frage: Wie halte ich ein Geodreieck?

Zum einen geht es Gleser darum, den Grundschulkindern über fatale Anfangshürden hinwegzuhelfen. „Das Problem ist ja, wenn ein Kind lernt: Ich verstehe das nicht“, betont Gleser. „Es ist so wichtig, dass in der Grundschule von Anfang an Freude dabei ist.“ Häufig seien es auch Kleinigkeiten, die zum Frust führen.

Gleser nennt ein Alltagsbeispiel aus dem Mathe-Unterricht der vierten Klasse: Die Kinder sollen Dreiecke, Quadrate und Rechtecke in bestimmten Größen zeichnen. „Einige Kinder kommen damit gar nicht klar. Ihnen muss erst jemand zeigen: Wie halte ich mein Geodreieck? Wie messe ich die Längen ab?“

Die Studenten könnten praktische Kniffe zeigen, bei Schreibübungen helfen oder eine Textaufgabe erklären. In solchen Situationen könnten die Jungpädagogen nicht nur den Mädchen und Jungen wertvolle Starthilfe geben, sondern auch selbst echte Aha-Erlebnisse haben, sagt Gleser: „So erleben die Studierenden, wie die Kinder denken und warum sie etwas nicht verstehen.“

Die Studierenden sagen mir immer wieder: Wir wollen mehr praktisch arbeiten.
Christian Gleser
Leiter des Instituts für Schul- und Unterrichtsentwicklung
Christian Gleser, Professor an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe
Christian Gleser von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe ist davon überzeugt, dass hoch motivierte Lehramtsstudenten für die Grundschulen eine wertvolle Stütze wären: Als Assistenten könnten sie einzelnen Kindern gezielt über verhängnisvolle Anlaufschwierigkeiten hinweghelfen – und dabei wertvolles pädagogisches Wissen sammeln. Foto: PH Karlsruhe

Bisher absolvieren die künftigen Lehrer zwei Praktikumsphasen im Studium: Im Grundstudium sind sie ein Semester lang an der Schule, um das Unterrichten zu lernen. Später kommt noch ein dreiwöchiges „Professionalisierungspraktikum“ hinzu. „Die Studierenden sagen mir immer wieder: Wir wollen mehr praktisch arbeiten“, erzählt Gleser.

Als Hochschullehrer besucht er regelmäßig die eigenen Studierenden im Schulpraktikum. Er erlebe sie als sehr engagiert: „Sie möchten Schülerinnen und Schüler fördern, damit mehr Bildungsgerechtigkeit in der Gesellschaft entsteht.“ Und die jungen Erwachsenen um die 20 kämen bei den Schulkindern erfahrungsgemäß sehr gut an.

Karlsruher PH-Professor: Helfende Hände bei Bastelaktionen nötig

Auch für die erfahrenen Lehrerinnen und Lehrer sieht Gleser Vorteile, wenn studentische Assistenten sie regelmäßig unterstützen würden. Zum Beispiel, bei aufwendigen Bastelaktionen – wenn Siebenjährige mit Papierrollen, Stöcken, Klebeband, Schere und vielem mehr hantieren. „Da sind viele Hände hilfreich“, sagt Gleser. „Mit drei Erwachsenen kann man eine solche Stunde viel leichter durchführen.“

Ideal fände es der PH-Institutsleiter, wenn die Assistenz-Jobs ins Studium eingebunden wären und von den Hochschullehrern betreut würden. „Man müsste einen Modellversuch machen und untersuchen, ob es diese positiven Effekte hat.“

Rund 2.300 Grundschulen gibt es in Baden-Württemberg. Etwa 4.000 bis 5.000 Lehramtsstudenten könnten nach Glesers Schätzung jedes Jahr dort eingesetzt werden. Das wäre zwar nicht der ganz große Befreiungsschlag – aber bei gezieltem Einsatz der Nachwuchskräfte könne vielen Schülern mit Anlaufschwierigkeiten geholfen werden, davon ist Gleser überzeugt.

Ein Mittel gegen den „Praxis-Schock“ bei Junglehrern?

Ein kleines offenes Türchen rennt er mit seinem Vorschlag beim Verband Bildung und Erziehung (VBE) ein. Die Lehrer- und Erziehergewerkschaft hat selbst schon gefordert, dass die künftigen Lehrer früher den Schulalltag erleben, damit der „Praxis-Schock“ ausbleibt und Abbrecherquoten sinken. Ja, solche Assistenten könnten eine sinnvolle Unterstützung für die Lehrkräfte sein, meint Gerhard Brand, VBE-Bundes- und Landesvorsitzender – allerdings nur, wenn diverse Voraussetzungen erfüllt wären.

Wir müssen streng darauf achten, dass das Lehramtsstudium nicht zu einem Reparaturbetrieb verkommt.
Gerhard Brand
Verband Bildung und Erziehung

„Wir müssen streng darauf achten, dass das Lehramtsstudium nicht zu einem Reparaturbetrieb der unzureichenden Unterrichtsabdeckung verkommt“, gibt er zu bedenken. „Die Erfahrung aus den vergangenen Jahren zeigt eines: Wenn Lehrkräfte krankheitsbedingt ausfallen, dann werden diese Studierenden die ersten sein, die mit der Vertretung in den Klassen betraut werden“, gibt Brand zu bedenken. „Damit würde aber jeder hier beschriebene positive Effekt wegfallen.“

Wer bezahlt die jungen Lehrer-Assistenten? Wie verteilt man die Studierenden auf Schulen in erreichbarer Entfernung – ohne dass nur hochschulnahe Schulen profitieren? Auch diese Fragen wären aus Brands Sicht zu klären. Danach fände er einen Modellversuch „durchaus sinnvoll“.

Wissenschaftsministerium zeigt sich „gesprächsbereit“

Und wie stehen die zuständigen Ministerien zu dem Vorschlag aus Karlsruhe? Die Sprecher von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) und Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) verweisen beide auf das Duale Master-Lehramtsstudium, das im Herbst 2024 starten soll – zunächst als Modellprojekt mit landesweit 60 Teilnehmern. Und sie betonen, dass Tausende Lehramtsstudenten bereits über das Förderprogramm „Lernen mit Rückenwind“ in Schulen mitarbeiten.

Olschowskis Sprecher fügt allerdings hinzu: „Angesichts der Tatsache, dass ein hoher Anteil an Studierenden bereits an Schulen tätig ist, empfiehlt auch die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz, offensiver mit systematischen, von Hochschulen verantworteten Begleitangeboten sowie Anerkennungsmöglichkeiten begleiteter Praxisphasen umzugehen. Wir sind diesbezüglich gesprächsbereit.“

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