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BGH entscheidet über Sampling

Kraftwerk gegen Pelham: 20 Jahre Rechtsstreit wegen zwei Sekunden Musik

Seit 20 Jahren tobt der Rechtsstreit um eine gerade einmal zwei Sekunden lange Rhythmusfrequenz der deutschen Band Kraftwerk. An diesem Donnerstag wird der I. Zivilsenat des BGH in der Sache sein mit Spannung erwartetes Urteil verkünden, das für das gesamte Musikbusiness von erheblicher Bedeutung ist.

Moses Pelham
Der Komponist und Produzent Moses Pelham im Bundesgerichtshof (BGH) in karlsruhe. Foto: Uli Deck/dpa

Was wiegt höher? Das Recht des Urhebers auf das geistige Eigentum an seinem künstlerischen Werk – oder die Freiheit eines Künstlers, vorhandenes Material zu verwenden, zu verfremden und daraus ein neues Kunstwerk zu schaffen? Das Urheberrecht schützt den Schöpfer. Aber gilt es auch, wenn aus Bestehendem etwas völlig Neues entsteht?

Seit 20 Jahren tobt der Rechtsstreit um eine gerade einmal zwei Sekunden lange Rhythmusfrequenz der deutschen Band Kraftwerk, Pionier des sogenannten Elektro-Pop, aus dem 1977 entstandenen Song „Metall auf Metall“. 1997 hatte der Frankfurter Rapper, Sänger und Musikproduzent Moses Pelham den Song „Nur mir“ mit der Sängerin Sabrina Setlur ohne Zustimmung der Urheber mit dieser kurzen Tonsequenz unterlegt, die in einer um fünf Sekunden verlangsamten Geschwindigkeit fortlaufend wiederholt wurde – ein sogenannter „Loop“.

Klage wegen Verletzung des Urheberrechts

Pelham bediente sich dabei des „Samplings“, eines gängigen Stilmittels im Hip-Hop und Rap. Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter sah dies jedoch völlig anders. Er und weitere Mitglieder der Band klagten 1999 beim Landgericht Hamburg wegen Verletzung des Urheberrechts auf Unterlassung und Schadensersatz.

Durch alle Instanzen bis zum EuGH

Seitdem tobt ein Rechtsstreit, der längst Justizgeschichte geschrieben hat. Die Auseinandersetzung um die zwei Sekunden lange Rhythmusfrequenz ging durch alle Instanzen, beschäftigte das Landgericht und das Oberlandesgericht Hamburg, den Bundesgerichtshof, das Bundesverfassungsgericht, wieder den Bundessgerichtshof, den Europäischen Gerichtshof und landete erneut vor dem Bundesgerichtshof.

Mal entschieden die Richter im Sinne des Urheberrechts zugunsten von Kraftwerk, mal im Sinne der Kunstfreiheit zugunsten von Moses Pelham, so auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts, die im Jahr 2016 ein erstes Urteil des BGH aus dem Jahre 2012 aufhoben.

Wird Sampling unmöglich?

An diesem Donnerstag wird der I. Zivilsenat des BGH in der Sache I ZR 115/16 („Zur Zulässigkeit des Tonträger-Samplings“) sein mit Spannung erwartetes Urteil verkünden, das für das gesamte Musikbusiness von erheblicher Bedeutung ist.

Sollte der Senat der Klage von Kraftwerk stattgeben, hätte dies gravierende Auswirkungen auf die Kunstform des Samplings, würde sie möglicherweise sogar zukünftig unmöglich machen.

Europarecht muss berücksichtigt werden

Noch komplizierter macht die Auseinandersetzung, dass im Laufe des Verfahrens die europäische Grundrechtscharta in Kraft trat, deren Bestimmungen im Falle einer vollständigen Harmonisierung des Rechts in der EU bindend sind. Das bedeutet, es gibt in diesem Rechtsstreit eine Zeit, in der deutsches Recht gilt, und eine Zeit, in der EU-Recht angewendet werden muss. Aus diesem Grund rief der BGH bei der zweiten Befassung auch den Europäischen Gerichtshof an und bat um eine Klärung der europarechtlichen Frage.

EuGH sieht keinen Verstoß gegen Urheberrecht

Auch in Luxemburg prallten die unterschiedlichen Auffassungen aufeinander. Der Generalanwalt plädierte im Sinne von Kraftwerk – Rechteinhaber müssten vor dem Sampling immer um Erlaubnis gebeten werden. Sobald ein Ton oder ein Wort aufgezeichnet seien, stellten sie einen geschützten Tonträger dar. Doch die Richter sahen dies anders. Es liege keine Vervielfältigung im Sinne der Richtlinie vor, wenn im Falle des Samplings eine Sequenz in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in ein neues Werk eingefügt werde.

Einzelne Musikfragmente, die in gegebenenfalls geänderter Form übernommen würden, um ein neues und vom ursprünglichen Song unabhängiges Werk zu schaffen, seien somit keine urheberrechtlich geschützten Kopien. Zwar könne sich darüber hinaus auch aus dem in der Richtlinie verankerten Zitatrecht der Schutz der Sequenz ergeben, aber nur, wenn das ursprüngliche, zitierte Werk noch zu erkennen sei.

Völlig neuer Charakter oder keine freie Bearbeitung?

Das ist nun die entscheidende Frage: Ist bei dem umstrittenen Song „Nur mir“ von Moses Pelham das Original-Kraftwerk-Stück „Metall auf Metall“ noch zu erkennen und als solches auch zu identifizieren?

In der mündlichen Verhandlung vor dem I. Zivilsenat des BGH am 9. Januar wies der Anwalt Pelhams das zurück. Das neu geschaffene Werk habe einen „völlig neuen Charakter“ mit einem „sehr dominanten Sprechgesang“, die unterlegte Rhythmusfrequenz sei nicht mehr wiedererkennbar. Und im Übrigen sei Sampling als eigenständige Kunstform längst anerkannt.

Dagegen betonte der Anwalt von Kraftwerk, bei dem neuen Song handle es sich nicht um eine freie Bearbeitung, vielmehr passe sich die Musik wie der Sprechgesang dem verwendeten Grundrhythmus an. Ansonsten sei der Wille des Gesetzgebers eindeutig: „Rechtswidrig hergestellte Tonträger dürfen weder verbreitet noch gespielt werden.“

Am Donnerstag verkündet der BGH sein Urteil. Die Musikwelt blickt nach Karlsruhe, wenn der Streit höchstrichterlich entschieden wird. Aber wird er auch endgültig beigelegt?

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