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Umstrittener Polizeieinsatz

KSC gegen Stuttgart: Derby-Nachspiel beschäftigt nicht nur Behörden

Am 24. November 2019 ist Derby-Tag, der Karlsruher SC tritt beim VfB Stuttgart an. Für fast 600 Anhänger des KSC endet der Marsch zum Stadion in einem Polizeikessel. Die Aufarbeitung des umstrittenen Einsatzes wird zu einer langwierigen Angelegenheit. Auch für Betroffene: Die Familie eines 17-Jährigen treibt die Frage um, was mit den aufgenommenen Daten ihres Sohnes passiert.

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Marsch in den Kessel: KSC-Fans beim Derby in Stuttgart. Foto: GES

Das erste Auswärtsspiel ist für einen Fußballfan ein einschneidendes Erlebnis. Mit seiner Mannschaft in eine andere Stadt, in ein fremdes Stadion – es ist ein Tag, an den sich wohl die meisten Anhänger ihr Leben lang erinnern. Auch Marcel K. (Name von der Redaktion geändert) wird dies vermutlich so gehen, obwohl er sein erstes Auswärtsspiel gar nicht gesehen hat. Oder gerade deswegen.

Familie des jungen KSC-Fans entwickelt juristischen Ehrgeiz

Der 17-Jährige aus dem Raum Ettlingen zählt an jenem Sonntag Ende November beim Zweitliga-Derby zwischen dem VfB Stuttgart und dem Karlsruher SC zu jenen 591 Fans des KSC, die von der Stuttgarter Polizei stundenlang festgesetzt und erkennungsdienstlich behandelt werden. Was auch im Hause K. Folgen hat: Die Eltern des Jugendlichen entwickeln seither einen beharrlichen juristischen Ehrgeiz.

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Schon am Abend des Derbys kommen für die Familie drängende Fragen auf: Was passiert eigentlichen mit den Daten? Werden diese auf jeden Fall wieder gelöscht? Oder nicht? Und wenn ja, wann? Oder landet der Name ihres Sohnes plötzlich in der Datei „Gewalttäter Sport“ (DGS), obwohl er sich gar nichts hat zu Schulde kommen lassen?

Wir werden einen langen Atem haben

In Briefen unter anderem an den Petitionsausschuss und Ministerpräsident Winfried Kretschmann äußert das Ehepaar nicht nur sein Unverständnis über das polizeiliche Vorgehen. Sondern macht deutlich, „dass wir einen langen Atem haben werden“. Man werde so weit gehen, „bis alle Daten gelöscht sind“, sagt der Vater in einem ersten Gespräch mit dieser Zeitung Anfang Dezember.

Die nach Polizeigesetz mögliche Auskunft (§§ 45, 46 PolGBW) zu der erkennungsdienstlichen Behandlung und den aufgenommenen Daten ist zu diesem Zeitpunkt längst gestellt – die Frist für ein Rückmeldung ist bis heute ohne Antwort verstrichen.

Teenager fühlt sich wie im falschen Film

Marcel K. fühlt sich an jenem Derby-Sonntag wie im Film – wenn auch im falschen. Als das Spiel im nahe gelegenen Stadion schon fast vorbei ist, kommt er an die Reihe. An jeder Seite einen Polizisten, so wird der Jugendliche zur Video-Station gebracht, von allen Seiten gefilmt, „mit Kapuze und ohne Kapuze“. Irgendwie „wehrlos“ habe er sich gefühlt, und: „ungerecht behandelt“.

Marcel K. habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, beteuert er. Er sei mit seinen Freunden weit weg von denjenigen gewesen, die auf dem Weg zum Stadion vereinzelt Probleme machen. Ein paar Böller werden geworfen und laut Polizei auch Baustellenmaterialien. Für den Vater ist klar: Hätte sein Sohn etwas angestellt, müsse er die Konsequenzen tragen. „Aber für jemanden, der nichts gemacht hat, geht das gar nicht“.

Da gingen dann die Alarmglocken an

Schon am Abend des Spiels beginnt die Familie K. im Netz zu recherchieren. „Da gingen dann die Alarmglocken an“, erinnern sie sich. Es geht zum Beispiel um Berichte von Personen, die ohne ihr Wissen in der Gewalttäter-Datei gelandet waren und plötzlich am Flughafen an der Ausreise gehindert wurden.

Dass die Sorgen der Ettlinger Familie nicht unbegründet sind, davon berichtet der Hannoveraner Rechtsanwalt Andreas Hüttl. „Eintragungen in die DGS kann grundsätzlich jede Polizeistelle nach eigenem Ermessen vornehmen. Auch polizeiliche Maßnahmen, wie Identitätsfeststellungen oder Personalien-Kontrollen können ausreichen um dort gespeichert zu werden“, sagt Hüttl, der der bundesweiten „Arbeitsgemeinschaft Fananwälte“ angehört. Es müsse also nicht zwingend ein Ermittlungsverfahren dafür eingeleitet worden sein, erläutert Hüttl.

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Fanmarsch des KSC begleitet von der Polizei. Foto: GES

„Jede Weiterverarbeitung einer erkennungsdienstlichen Behandlung wird individuell nach rechtlichen, einschließlich Datenschutzvorgaben auf den Einzelfall abgestimmt“, erläutert die Polizei Stuttgart auf Nachfrage. Welche Daten für „weitere Zwecke“ verwendet werden, sei vom jeweiligen Ergebnis der Auswertung abhängig.

591 Anhänger aus Karlsruhe können das Derby am 24. November 2019 nicht sehen, weil sie von der Polizei vor dem Stadion eingekesselt und erkennungsdienstlich behandelt werden. Grund für die umstrittene Maßnahme ist nach Angaben der Polizei, dass es auf dem Marsch zum Stadion zu vereinzelten Gewalttaten gekommen sei. Dabei sei unter anderem Pyrotechnik gezündet und Baustellenmaterial geschmissen worden.

Vom vorgesehenen Ablauf, der in fünf Sicherheits-Besprechungen festgelegt worden war, wich die Polizei an jenem Mittag ab. Ursprünglich sollten zwölf Busse, in denen auch die Ultras saßen, direkt zum Gästeeingang gefahren werden. Die Busse stoppten dann aber am Bahnhof Untertürkheim. Dort mischten sich Anhänger, die in Bussen, Zügen und auch Pkw angereist waren – und damit auch „normale“ mit „Problemfans“. Alle mussten zum Stadion marschieren. Als Grund für die Einsatz-Änderung gab die Polizei unter anderem an, dass bei der Anfahrt der Busse Pyrotechnik gezündet worden war und „Vermummungsvorbereitungen“ Auseinandersetzungen erwarten ließen.

Die Einkesselung dauerte nach Angaben der Polizei drei Stunden und 37 Minuten. Unter den Betroffenen seien 41 Jugendliche gewesen, sieben davon unter 16 Jahren. Bislang hat die Stuttgarter Behörde nach Angaben von dieser Woche Ermittlungsverfahren im „unteren zweistelligen Bereich“ eingeleitet. Diese Angabe betreffe aber das ganze Derby-Geschehen. Einer Landtags-Anfrage ist zu entnehmen, dass rund um das Derby 22 Körperverletzungsdelikte aufgenommen wurden. Dazu zählen unter anderem elf Fälle vom Abrennen von Pyrotechnik auf Stuttgarter Seite, zwei Böller- und drei Flaschen-Würfe von Karlsruhern auf Beamte.

Gegen die Polizei-Einsatzleitung sind Strafanzeigen eingegangen, die Ermittlungen führt das Polizeipräsidium Mannheim. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart spricht auf Anfrage von einer „Vielzahl“ von Strafanzeigen. Die Prüfung der Vorwürfe dauere an.

Familie schaltet Anwalt ein

Familie K. hat zwischenzeitlich einen Anwalt eingeschaltet und erhält durch ihre Beharrlichkeit auch einen Termin beim Vizepräsidenten des Stuttgarter Polizeipräsidiums und verantwortlichen Derby-Einsatzleiter, Thomas Berger. Der versichert ihnen: Polizeiinterne Daten müssten gelöscht werden, wenn sich herausstellt, dass die Aufnahme unrechtmäßig erfasst werden. Ansonsten sind die betroffenen Eltern nach dem Gespräch so schlau wie zuvor. „Zwei Lager, zwei Sichten“ – das lernen sie, je weiter sie in die Materie vordringen.

Den Einsatz sehen die K.’s durchaus differenziert. Vieles, was ihnen beim Gespräch mit Herrn Berger präsentiert wird, „spricht nicht für die KSC-Fans“. Auf der anderen Seite ärgert die Familie aber manch eine Äußerung aus der Politik. Als die Derby-Vorkommnisse Mitte Dezember Thema im Innenausschuss sind, positioniert sich Innenminister Thomas Strobl (CDU) deutlich.

Ärger über Strobl-Äußerungen

Zwar seien in der Gruppe der fast 600 Fans auch Personen gewesen, die nicht beteiligt waren an unmittelbaren Gewalt- und Straftaten. „Aber klar ist auch: Wenn du in so einer Gruppe bist, hast du ja locker die Möglichkeit, sich davon auch zu entfernen“, urteilt Strobl. Diese Aussage sei „ein Witz schlechthin“, finden die K’s. Der Teenager hätte sich liebend gerne entfernt, allein: es ist ihm nicht möglich gewesen.

Die Anzahl der dann Eingekesselten ist zumindest erstaunlich. Grob geschätzt, werden nach Informationen dieser Redaktion von der Polizei allerhöchstens 200 Personen aus der KSC-Fan-Szene als „gewaltbereit“ und/oder „gewaltsuchend“ eingestuft. Zahlen nennt die Polizei Karlsruhe auf Anfrage nicht.

Stimmen die 200, sind aber rund 400 der Betroffenen in Stuttgart also schon per behördlicher Definition nicht einem potenziellen Problemklientel zuzurechnen. Hinzu kommt, dass für das Derby gut 50 Betretungsverbote ausgesprochen worden waren und sich zahlreiche Ultras gar nicht im Kessel befinden.

Polizei rechtfertigt ihre Maßnahmen

Die Polizei hat ihre Maßnahme im Nachgang mehrfach gerechtfertigt. Auch in einer Anfrage der schwäbischen Landtagsabgeordneten Petra Häffner (Grüne). Die Abtrennung sei Ergebnis einer „Gefahrenprognose“ gewesen, dass auch in der Folge von „Karlsruher Risikofans“ Straftaten begangenen werden könnten, heißt es in der Antwort.

Gegenüber dieser Redaktion erklärte die Stuttgarter Polizei: „Die Personen wurden nach sorgfältiger Abwägung aufgrund der Vorkommnisse während des Gästefanmarsches umschlossen.“ Strobl spricht von einer „chirurgisch scharfen Trennlinie“ zwischen normalen und potenziell gewaltbereiten Fans. Die K.’s empfinden diese Aussage als „Hohn“.

Viel Arbeit für die Sachbearbeiter

Wie auch immer: Die Arbeit haben jetzt Sachbearbeiter im Polizeipräsidium Stuttgart. 591 erkennungsdienstliche Behandlungen müssen aufbereitet werden. Wie lange das dauern kann? Ein Sprecher spricht vage von einer „langwierigen Geschichte“. Die Eltern von Marcel K. kämpfen derweil weiter um die Daten ihres Sohnes – bis sie Gewissheit haben, dass diese gelöscht sind.

Und Marcel K.? Hofft, dass sein nächstes Auswärtsspiel eines wird, in dem er im Block stehen und das Spiel sehen kann. Und er sich dann über das Ergebnis freuen darf oder ärgern muss. Beim Derby, „da hat das Ergebnis ja keinen mehr gejuckt“, erinnert er. Das Spiel endete 3:0 für den VfB. Ausgang und Ende des Nachspiels? Nicht absehbar.

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