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200 Schüler in Karlsruhe

Schulen in der Region nehmen Kinder aus der Ukraine auf: „Die Arbeit wird viel herausfordernder“

Ukrainische Geflüchtete wie Nazar, 15, werden derzeit an Schulen in der Region Karlsruhe integriert. Doch der Bedarf wächst – die Verantwortlichen vor Ort brauchen Räume und mehr Personal.

Gut angekommen: Nazar kam aus dem ukrainischen Mykolajiw und ist Gastschüler am Helmholtz-Gymnasium. Der 15-Jährige konnte sich in kurzer Zeit integrieren.
Gut angekommen: Nazar kam aus dem ukrainischen Mykolajiw und ist Gastschüler am Helmholtz-Gymnasium. Der 15-Jährige konnte sich in kurzer Zeit integrieren. Foto: jodo-foto / Joerg Donecker Karlsruhe jodo-foto Karlsruhe

Nazar sitzt auf einem kleinen Betonklotz im sonnigen Innenhof der Schule. Es ist warm, er behält seinen dunkelgrauen Wollpullover aber an. Der 15-Jährige kommt gerade vom Sportunterricht. Turnen. „Ich mag alle Fächer“, sagt er zurückhaltend. Nazar ist der erste Ukrainer, der am Helmholtz-Gymnasium in Karlsruhe unterrichtet wird.

Er floh vor zwei Wochen mit seinem Bruder, 21, aus dem Land. Seine Mutter blieb bei den Großeltern in der Ukraine, sein Vater kämpft gegen die Russen. Alle paar Tage bekommt Nazar eine Nachricht von ihm: Ich lebe.

Für den Jungen geht es in Karlsruhe vor allem darum, einen Tagesablauf zu haben. Wie lange er in Deutschland bleiben wird, kann niemand beantworten. Völlig unklar ist daher auch, wie Kinder und Jugendliche aus der Ukraine hier unterrichtet werden sollen. Erst mal nur Deutsch lernen? Möglichst schnell in die Schulklassen? Oder, wie auch immer, nach ukrainischen Lehrplänen unterrichten, wie es die ukrainische Generalkonsulin fordert?

Nazar lebt mit seinem Bruder bei einer Lehrerin in Karlsruhe. Sie nahm ihn einfach mit ins Helmholtz-Gymnasium. Der Junge sitzt ruhig auf dem Betonwürfel, legt die Hände ineinander. Vor seinen Antworten blicken seine tiefblauen Augen nachdenklich gen Boden. „Solange waren wir noch nie auseinander“, sagt er über seine Eltern. Mehr kann er dazu nicht sagen. Bei anderen Themen sprudeln die Antworten nur so aus ihm heraus – etwa, wenn er den Unterricht vergleicht: „In der Ukraine ist er sachlicher, langweiliger. In Deutschland gibt es auch mal einen Spaß, da fällt mir das Lernen leichter.“

Schule in Deutschland - Raketen zuhause in der Ukraine

Die Fächer Religion und Wirtschaft habe es gar nicht gegeben, sagt Nazar. Und in Mathe verzichte man auf einen Taschenrechner. Der Deutschunterricht sei leider schlecht gewesen. „Ich spreche Deutsch so schlecht“, sagt Nazar und wechselt dann wieder in die englische Sprache. Das wird sich schnell ändern. „Ich gehe morgens in die Schule, dann komme ich heim und lerne Deutsch.“ Viel Zeit, um die neuen Freunde aus seiner Klasse zu treffen, habe er nicht.

Infografik: Ukraine, der Krieg und die Geflüchteten.
Ukraine, der Krieg und die Geflüchteten. Foto: BNN

„Es geht darum, dass er einfach mal vergessen kann“, sagt Eva Rudolph. Die Lehrerin kümmert sich darum, dass Nazar einen vollen Schultag und abends bei ihr daheim seine Ruhe hat. Fragen stellt sie ihm nicht, um ihn nicht zu belasten.

In seiner Heimatstadt Mykolajiw gab es nach einem Raketenangriff mehrere Tote. Die Stadt liegt im Süden des Landes und gilt im Krieg als strategisch wichtig. Von hier ist es nicht weit bis zur Hafenstadt Odessa, dem großen Zugang zum Schwarzen Meer. Wo sein Vater gerade kämpft, weiß Nazar nicht. Er kann nur auf die nächste Nachricht hoffen. „Er muss das alles ausblenden, um hier existieren zu können“, sagt Eva Rudolph.

Besser als mit Nazar könnte die Integration gar nicht laufen, heißt es am Helmholtz-Gymnasium. Er versteht viel im Unterricht, und wenn er Fragen hat, übersetzen Sitznachbarn. Der Physikunterricht wurde auch mal auf Englisch gehalten. Als der Lehrer einen Fachbegriff nicht übersetzen konnte, halfen Schüler mit dem Tablet nach.

Ukraine, der Krieg und die Geflüchteten.
Ukraine, der Krieg und die Geflüchteten. Foto: BNN

Sarah Lumpp hat im Chemieunterricht erlebt, wie Nazar aufblühte. Ihre Schüler sollten mit Kunststoffteilen die Moleküle von Wasser oder Methan nachbauen. Recht simpel, aber es ging auch um Erfolgserlebnisse. „Es braucht gerade gar nicht so sehr die Sprache“, sagt Lumpp. Sie ist die Schulleiterin des Gymnasiums. Nach Nazar kamen weitere ukrainische Jugendliche, berichtet sie. Denen habe ihr Musikinstrument gefehlt, also kamen sie zur Schule.

200 ukrainische Geflüchtete für Karlsruher Schulen

Was ihr aber Sorgen bereitet, ist die weitere Entwicklung. Es dürfte viele ukrainische Geflüchtete geben, die sich noch gar nicht gemeldet haben und viele, die erst noch in der Region ankommen werden. Es ist davon auszugehen, dass auch Kinder ankommen, die das Kriegsgeschehen länger und intensiver miterleben mussten und daher stärker traumatisiert sind. „Die Arbeit wird dann nochmal viel herausfordernder“, sagt Lumpp. Gibt es eine Lösung? „Wir brauchen sehr viel mehr Lehrkräfte und Räumlichkeiten.“

Für den Raum Karlsruhe erfasst Schulleiter Gunter Vogel von der Gutenbergschule zusammen mit einem anderen Schulleiter den Bedarf für die Vorbereitungsklassen. Dort sollen die Schüler schnell deutsch lernen und für die Regelklassen vorbereitet werden.

Alleine während einer halbstündigen Besprechung zur Sache seien sechs Anmeldungen per Mail reingekommen, berichtet Vogel. Insgesamt habe man im Karlsruher Gebiet derzeit 200 Schüler auf der Liste. „Alle arbeiten mit Hochdruck dran, aber es ist nach wie vor sehr chaotisch.“

Schulen setzen auf Pensionäre und Studenten

Täglich kommen neue Anmeldungen hinzu, manchmal ziehen angekommene Ukrainer dann doch noch zu Freunden in eine andere Stadt und fallen raus. Doch irgendwann muss Vogel planen. Ab Anfang Mai wolle man Vorbereitungsklassen anbieten. „Die Bereitschaft der Schulen ist extrem hoch – ich erlebe keine ablehnende Haltung“, sagt Vogel. Aber alle Schulen im Raum Karlsruhe hätten schon jetzt Raumprobleme.

Infografik: Ukraine, der Krieg und die Geflüchteten.
Ukraine, der Krieg und die Geflüchteten. Foto: BNN

Das zweite Problem: Lehrermangel. Derzeit laufen die Ausschreibungen des staatlichen Schulamts. Maximal 25 Schüler darf eine Vorbereitungsklasse fassen, demnach geht es um derzeit acht Klassen, acht Lehrer. Man hofft, dass sich pensionierte oder studentische Lehrkräfte melden, auch Ukrainer mit sehr guten Sprachkenntnissen sollen schon Bereitschaft gezeigt haben.

Das baden-württembergische Kultusministerium plant eine digitale Plattform, bei der sich Interessierte melden können. Vogel hofft im Raum Karlsruhe auf einen Start der Vorbereitungsklassen Anfang Mai – wohl wissend, dass die Anzahl der Klassen dann schon nicht mehr ausreichen dürfte.

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