Jedem Naturfreund blutet beim Anblick dessen, was von dem über 100-jährigen Riesen übrig geblieben ist, nur das Herz: Der mächtige Stamm liegt flach. Mitarbeiter einer Firma aus dem Glottertal sind ihm mit der Motorsäge zu Leibe gerückt. Der Mammutbaum wurde gefällt. Zuvor stand er bei der noch bis vor kurzem vom DRK als Seniorenheim genutzten Immobilie an der Rotenbachtalstraße 27, nahe der Bädergarage und den Acurakliniken.
Der Baum musste für neuen Wohnraum weichen
Völlig aus heiterem Himmel kam die Fällaktion allerdings nicht. Dass das Stifts-Areal nach der Auflösung der Seniorenunterkunft des Deutschen Roten Kreuzes für neuen Wohnraum genutzt werden soll, ist schon länger klar. Das DRK hat das über 6.000 Quadratmeter große Grundstück an einen Freiburger Investor verkauft. Für einen sehr guten Preis, wie man angesichts der exponierten Lage annehmen darf. Der denkmalgeschützte Teil der Immobilie entstand einst nach dem Plan des Großherzoglichen Bezirksbaumeisters Friedrich Kredell. Nun wird sie saniert und in Wohnungen umgewandelt.
Für den Bau von zwei der drei auf dem Gelände geplanten neuen Häuser mit Wohnungen, die mit einer Tiefgarage verbunden werden, stand der Baum-Methusalem mit einem Stammumfang von 7,40 Meter im Weg. Er muss für die Zufahrt zu den Häusern zwei und drei weichen, heißt es. Das stand so in früheren Unterlagen für den Gemeinderat. Passanten rätseln unterdessen dennoch, ob das Exemplar fallen musste, weil es vielleicht krank war.
Mammutbaum war von Pilzen und Tieren befallen
Die BNN-Recherchen am Wochenende ergaben, dass zum Mammutbaum in der Vergangenheit ein Gutachten eingeholt wurde. Erstellt hat es ein Experte aus Freiburg. Thomas Herdt ist ein vom Regierungspräsidium in der Breisgau-Stadt „öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Garten- und Landschaftsbau, Bäume und sonstige Gehölze, Bruch- und Standsicherheit von Bäumen, Gehölzpflege und –pflanzung“, wie er sich auf seiner Internetseite vorstellt.
Zum Inhalt des Gutachtens ist nur ein Fazit bekannt, das im Entwurf des „vorhabenbezogenen Bebauungsplans ,Nachnutzung Ludwig-Wilhelm-Stift‘ “ – einem 20-seitigen Papier vom März 2018 – seinen Niederschlag gefunden hat und dem Gemeinderat als Basis für die Entscheidung zur künftigen Nutzung das Stifts-Areals vorlag.
Der konkrete Wortlaut zum Aspekt Mammutbaum: „Im Ergebnis erwies sich der Mammutbaum aufgrund gravierender Vitalitätsprobleme, Schäden durch Tiere und Pilze in Verbindung mit für seine Standortansprüche ungünstigen Witterungsbedingungen als kurzfristig abgängig“. Will heißen: Sein Ende sei vorhersehbar. Das war schon damals das Todesurteil für den Riesen.
Baden-Baden schützt andere Baum-Senioren
Der Laie tut sich unterdessen beim Anblick des gewaltigen Stammes vermutlich schwer, Schädigungen auf Anhieb zu erkennen. Mancher Zeitgenosse fragt sich daher, ob auch mit Blick auf die Baumsatzung der Stadt Baden-Baden sein Erhalt nicht möglich oder gar zwingend gewesen wäre. Schließlich wird an anderer Stelle der Stadt für alte Bäume ein beträchtlicher Aufwand betrieben: Etwa für die Platane an der Fieserbrücke oder für die berühmte Trauerbuche in der Allee in Höhe des Museums LA 8.
In der Tat liegen innerhalb des Stadtkreises Baden-Baden Bäume außerhalb des Waldes den Schutzbestimmungen einer Baumschutzsatzung – in der Regel. Der Schutzgegenstand wird in Absatz eins des Paragrafen 1 so beschrieben: „Im Stadtkreis Baden-Baden werden alle Bäume außerhalb des Waldes und außerhalb der nach § 30 BNatSchG (Bundesnaturschutzgesetz, Anmerk. der Red.) und § 33 NatSchG (Naturschutzgesetz, Anmerk. der Red.) geschützten Biotope mit einem Stammumfang von mindestens 100 cm, gemessen 100 cm über dem Erdboden, unter Schutz gestellt.“
Veränderungen an Bäumen müssen frühzeitig angemeldet werden
Veränderungen am Baumbestand (zum Beispiel Fällung, Kronenrückschnitt) sind demnach nur zulässig, „wenn es einen wichtigen Grund dafür gibt und die Maßnahme sechs Wochen zuvor dem Fachgebiet Umwelt und Arbeitsschutz schriftlich angezeigt wird“. Ohne „vernünftigen Grund“ dürfen keine Handlungen an dem geschützten Objekt vorgenommen werden.
Ein solcher Grund liegt laut Vorschrift vor, wenn etwa „von einem geschützten Baum Gefahren für Personen oder Sachen ausgehen“. Ein weiterer Grund ist demnach, wenn dieser „krank oder seine Erhaltung nicht erforderlich ist“, oder „eine nach den baurechtlichen Vorschriften zulässige Nutzung sonst nicht oder nur unter wesentlichen Beschränkungen verwirklicht werden kann“.
Weitere Bäume müssen für Neubauten weichen
Der Mammutbaum ist nicht der einzige Baum, der den geplanten 45 neuen Wohnungen auf dem Stifts-Areal weichen muss. Eine Genehmigung zum Fällen wurde auch für acht Eiben und für einen Magnolienbaum erteilt.
Als Ausgleichsmaßnahme ist geplant, einen neuen Mammutbaum sowie zehn Obstbäume am Hungerberg und 20 Blütenhartriegel im Rotenbachtal auf Kosten des Investors zu pflanzen.