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1933-1945: Diktatur

NS-Ausstellung in Bretten zeigt Macht der Indoktrination

Zwei Jahre Arbeit steckt in der neuen Ausstellung „Bretten 1933-1945. Diktatur in einer badischen Kleinstadt“, die derzeit im Schweizer Hof zu sehen ist. Auch Zeitzeugen kommen zu Wort

3 Personen vor Porträtfotos
Zwangsarbeiter, die in Bretten interniert waren, bekommen in der Ausstellung im Stadtmuseum ein Gesicht. Linda Obhof, Alexander Kipphan und Catherine Fournell (von links) haben die Ausstellung konzipiert und zusammengestellt. Foto: Hansjörg Ebert

Wie war es möglich, so viele Menschen und vor allem junge Leute für die Idee des Nationalsozialismus zu begeistern? Diese Frage beschäftigt Linda Obhof, die Leiterin des Brettener Stadtmuseums, schon sehr lange. Diese Frage war einer der Impulsgeber, die Ausstellung „Bretten 1933-1945. Diktatur in einer badischen Kleinstadt“ in Angriff zu nehmen.

Ein weiterer Impuls waren lange Gespräche mit ihren Großeltern, die die NS-Zeit noch als Jugendliche und junge Erwachsene miterlebt hatten. Gemeinsam mit Alexander Kipphan und Catherine Fournell vom Brettener Stadtarchiv recherchierte sie mehr als zwei Jahre für die Schau, die derzeit im Schweizer Hof zu sehen ist.

Als Grundlage dienten bereits vorhandene Studien und Forschungsarbeiten zum braunen Kapitel der Stadtgeschichte und eigene Recherchen. Neuere Funde von bislang nicht bekannten Fotos und Dokumenten wie das Bild des mit Hakenkreuzfahne bestückten Maibaums in Farbe beim Peter-und-Paul-Fest 1934 kamen hinzu. Im Zentrum standen jedoch Aussagen von etwa 20 Zeitzeugen, die wertvolle Einblicke in das damalige Geschehen gaben.

Zeitzeugen wollten anonym bleiben

Die zu finden und zu gewinnen, sei keine leichte Aufgabe gewesen, bekunden die Ausstellungsmacher. Eine Erfahrung, die deutlich macht, mit welchen Hürden geschichtliche Forschungen über diese Zeit heute noch zu kämpfen haben.

Denn auf einen ersten Aufruf diesbezüglich gab es gar keine Rückmeldung, erst im zweiten Anlauf gelang es dann – unter der Bedingung der Anonymität – auskunftsfreudige Gesprächspartner zu finden.

„Eine Zeitzeugin konnte auf den Fotos, die wir von der Deportation der Brettener Juden haben, noch die Namen der Deportierten nennen“, berichtet Archivleiter Kipphan von einer sehr ergiebigen Begegnung.

Die Ausstellung beginnt mit einer Bestandsaufnahme der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation in Bretten zu Beginn der 1930er Jahre und dokumentiert dann die Gleichschaltung der Vereine. Unliebsame Vorstände wurden ausgetauscht, oppositionelle Gruppen und Vereine verboten.

Nazis drangen in die Familien ein

„Über die Jugendorganisationen drangen die Nazis in die Familien ein“, benennt Obhof einen besonders spannenden Teil der Ausstellung. Und beantwortet damit auch ein Stück weit die Eingangsfrage.

Veranstaltungen der paramilitärisch aufgebauten Hitlerjugend und des Bundes deutscher Mädchen wurden bewusst auf den Sonntagvormittag gelegt, um die Bindungen zur Kirche zu kappen und über die Kinder Druck auf die Eltern auszuüben.

Den Maibaum hatten die Nazis zum Peter-und-Paul-Fest 1934 mit der Hakenkreuzfahne bestückt, die auch bei anderen Gebäuden flatterte.
Den Maibaum hatten die Nazis zum Peter-und-Paul-Fest 1934 mit der Hakenkreuzfahne bestückt, die auch bei anderen Gebäuden flatterte. Foto: Hansjörg Ebert

„Vom Kino bis ins Klassenzimmer“ ist der Part über die NS-Propaganda überschrieben. Ein Zeitzeuge erinnert sich an gängige Werbeaktionen im Brettener Kino. Nach der Wochenschau oder anderen Propagandafilmen hatte die Brettener SS im Vorraum des „Capitol“ einen Infotisch aufgebaut.

Dort habe man nach der Vorstellung versucht, junge Männer zum Eintritt in die SS zu bewegen. Insbesondere solche, die der nationalsozialistischen Rassenlehre entsprachen: „gesund, kräftig gebaut und nach Möglichkeit blond und blauäugig“.

Rassenlehre auch im Mathematikunterricht

Die Rassenlehre wurde auch im Schulunterricht sowie über Schulbücher indoktriniert, sogar der Mathematikunterricht wurde mit menschenverachtenden Aufgaben zu den Themen Juden und Euthanasie befrachtet.

„Über die Brettener SS wie auch über die örtliche Hitlerjugend ist noch wenig bekannt“, benennt Stadtarchivar Kipphan noch ausstehende lokale Forschungsaufgaben.

Ziemlich gut dokumentiert ist mittlerweile das Thema Zwangsarbeit in Bretten. Die örtlichen Wirtschaftsbetriebe wurden auf Rüstungsproduktion umgestellt. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus besetzten Gebieten wurden mangels einheimischer Arbeitskräfte hierfür eingesetzt.

Unter anderem in der Feinmechanikfertigung von Josef Mellert, bei der Metallwarenfabrik C. Beuttenmüller, bei der Herd- und Backofenfabrik Neff oder beim Bauunternehmen und Steinzeugwerk Rudolf Harsch. In Brettener Firmen wurden unter anderem Bauteile für das Maschinengewehr 42, Zündmechanismen für Handgranaten sowie Flugzeugteile gefertigt.

Ein Drittel der Zwangsarbeiter in Bretten überlebte nicht

Untergebracht waren die Zwangsarbeiter in einem Barackenlager am Seedamm, dessen Plan in der Ausstellung ebenso zu sehen ist, wie die Verteilung der 923 Zwangsarbeiter auf die Brettener Firmen.

329 von ihnen überlebten ihren Arbeitseinsatz in Bretten nicht, die Todesumstände sind weithin ungeklärt. Bei Fliegerangriffen durften allerdings nur Deutsche in die Luftschutzkeller.

Kriegsspielzeug und Kinderbuch
Militaristisch und antisemitisch gestaltete sich die NS-Indoktrination, die schon bei den Kindern ansetzte. Foto: Hansjörg Ebert

Mit gutem Erfolg hatten die Verantwortlichen nach dem Krieg versucht, belastende Dokumente zu vernichten. So gibt es bis heute laut Kipphan kein einziges Foto, das das Lager im Bestand zeigt.

Erhalten sind allerdings Karteikarten von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und damit auch Fotos von ihnen. So bekommen die Opfer des NS-Terrors in der Ausstellung wenigstens ein Gesicht.

Wenn Nachbarn zu Plünderern werden

Ausführlich dokumentiert und belegt ist auch die Geschichte der Brettener Juden. „Wie Nachbarn zu Mittätern werden“ zeigt die Ausstellung mit Bildern von Plünderungen nach der Deportation der letzte Brettener Juden nach Gurs: Nachbarn und Bewohner steigen in der Melanchthonstraße mit Hilfe von Leitern in leerstehende Wohnungen ein. Was danach übrig blieb, wurde versteigert.

Ein besonders makabres Dokument findet sich im Original in der Glasvitrine: Es ist die Rechnung an die Stadtverwaltung über 19,50 Reichsmark für 50 Liter Shell, mit denen die Nazis die Synagoge angezündet hatten.

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