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Die letzten AKW

Aus für Atomenergie: Wie der Rückbau eines Kernkraftwerks funktioniert

Die Abwicklung von Atomanlagen ist komplex. An den Standorten Philippsburg und Neckarwestheim lernt man von Obrigheim. Der Rückbau des ersten kommerziellen Kernkraftwerks im Südwesten könnte 20 Jahre nach seiner Stilllegung beendet werden.

Eine Greenpeace-Aktion am Kernkraftwerk Neckarwestheim. Greenpeace macht mit ihrer Aktion darauf aufmerksam. Die FDP will mit dem Rückbau noch warten.
Eine Greenpeace-Aktion in Neckarwestheim. Als letztes Atomkraftwerk im Südwesten wird der Reaktor 2 abgeschaltet. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Von Obrigheim lernen, heißt Rückbau lernen. Dem 5.500-Einwohner-Ort im badischen Neckar-Odenwald-Kreis kommt beim Thema Atomenergie eine Pionierrolle zu. Im Oktober 1968 speiste das Kernkraftwerk Obrigheim als erster kommerzieller Druckwasserreaktor der Bundesrepublik Energie in das öffentliche Stromnetz ein.

37 Jahre später war Schluss. Im Zuge des rot-grünen Atomkonsens’ wurde Obrigheim nach Erreichen der vereinbarten Reststrommenge am 11. Mai 2005 abgeschaltet.

Seither haben die Energie Baden-Württemberg (EnBW) und ihr Tochterunternehmen EnBW Kernkraft GmbH (EnKK) in Obrigheim viel Erfahrung zum Rückbau der komplexen Anlagen sammeln können.

Nach dem abgeschlossenen Genehmigungsverfahren begann im Herbst 2008 der schrittweise Abbau der Anlage. Im Sommer 2016 wurde die Zerlegung des Reaktordruckbehälters – also des ehemaligen Herzstücks der Anlage – abgeschlossen.

Pionier: Obrigheim könnte bis 2025 abgeschlossen sein

Bis etwa 2025 soll der Rückbau im atomrechtlichen Rahmen abgeschlossen sein – das wären 20 Jahre nach der Stilllegung. Geht alles nach Plan, handelt es sich danach – fast – um eine gewöhnliche Industriefläche wie viele andere.

Was danach aus dem Gelände werden soll, ist dem Betreiber zufolge noch nicht klar. „Anschließend kann eine Nachnutzung von Gebäuden oder deren konventioneller Abriss erfolgen“, heißt es dazu bei der EnKK.

Ein Sprecher betont: „Durch die standortübergreifende Zusammenarbeit fließen die Erfahrungen der EnBW Kernkraft GmbH aus dem Abbau des Kernkraftwerks in Obrigheim in Vorbereitung und Durchführung des Rückbaus in Philippsburg und Neckarwestheim ein.“

Zwei Arbeiter gehen nach der Sprengung der Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks vor einem großen Trümmerteil entlang. Der letzte Block des Kraftwerks wurde am 31. Dezember 2019 abgeschaltet. Nun wird es zurückgebaut. +++ dpa-Bildfunk +++
Was von der Kernkraft übrigblieb: Arbeiter gehen nach der Sprengung der Kühltürme des stillgelegten Philippsburger Atomkraftwerks vor einem großen Trümmerteil entlang. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

Seit zehn Jahren gilt bei der EnKK für aller Atomkraftwerke eine Strategie, die den „direkten Rückbau“ vorsieht. Als Alternative wäre auch ein „sicherer Einschluss“ für eine Dauer von rund 30 Jahren mit anschließendem Abbau möglich gewesen. Befürworter dieser Rückbauvariante hofften, mit dem Abklingen der Radioaktivität in drei Jahrzehnten weniger radioaktive Abfälle zu erhalten.

Das Konzept des sicheren Einschlusses wird in Deutschland aber nur beim Kernkraftwerk Lingen und dem Thorium-Hochtemperatur-Reaktor in Hamm-Uentrop realisiert. Seit der Atomgesetznovelle von 2017 wird ohnehin nur noch der „direkte Abbau“ genehmigt.

Kernkraft-Rückbau als regionaler Wirtschaftsfaktor

Die Vorteile des Direktrückbaus liegen auf der Hand: Die Mitarbeiter, die sich mit der Anlage schon gut auskennen, können direkt in den Rückbau einsteigen. „Der Standort bleibt als regionaler Wirtschaftsfaktor ohne Unterbrechung bestehen“, betont man dazu bei der EnBW. Ein entscheidender Punkt ist auch, dass der Standort früher für eine Nachnutzung zur Verfügung steht.

Im Fall der Philippsburger Meiler begann die Nachnutzung des Geländes sogar fast zeitlich mit dem Rückbau. Die beiden Reaktoren auf der Rheinschanzinsel gingen 1979 und 1984 ans Netz und liefen bis 2011 beziehungsweise 2019. Danach wurde ein Reststoffbearbeitungszentrum und ein Standort-Abfalllager auf dem Kraftwerksgelände errichtet.

Philippsburg ist heute Schauplatz der Energiewende.
EnBW-Kernkraft-Chef Jörg Michels

Schon wenige Wochen nach der spektakulären Sprengung der beiden 150 Meter hohen Kühltürme im Mai 2020 begannen auf der Rheinschanzinsel die Bauarbeiten für etwas Neues: das eine halbe Milliarde Euro teure Umspannwerk als südlicher Endpunkt der „Stromautobahn“ Ultranet, die ab 2024 Strom aus erneuerbaren Energien verlustarm von der Nordseeküste nach Süden bringen soll.

In Philippsburg soll die per Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstechnologie übertragene Energie wieder in Wechselstrom konvertiert und in das bestehende 380-kV-Netz auf der Rheinschanzinsel eingespeist und weitergeleitet werden. „Der Standort Philippsburg ist heute Schauplatz der Energiewende“, folgerte EnBW-Kernkraft-Chef Jörg Michels beim Spatenstich im Mai 2020.

Dass die Ansiedlung des gigantischen Konverters auf dem Gelände des im Rückbau befindlichen Kraftwerksgelände gelang, war Beobachtern zufolge letztlich auch ein Erfolg von Bürgerinitiativen in Philippsburg, die sich hartnäckig gegen zu viel Flächenverbrauch auf der Gemarkung wehrten.

Die atomrechtlichen Schwierigkeiten konnten überwunden werden. Obwohl das Gelände auch nach dem Ende der Stromproduktion lange eine Hochsicherheitszone bleibt. So mussten noch einige Monate lang Brennelemente weiter im Lagerbecken des Kernkraftwerks gekühlt werden.

Blick in das Reststoffbearbeitungszentrum Philippsburg. Dort kann nun radioaktiv belasteter Abfall gereinigt werden, der beim Rückbau des Kernkraftwerks entsteht. (zu dpa «Radioaktiv belasteter Abfall kann in Philippsburg gereinigt werden») +++ dpa-Bildfunk +++
Blick in das Reststoffbearbeitungszentrum Philippsburg. Foto: Markus Tebbert, EnBW

Erst kürzlich meldete der Betreiber ein wichtiges Etappenziel an das für die Aufsicht zuständige Umweltministerium Baden-Württemberg: In den Philippsburger Atomkraftwerken befinden sich seit Anfang April keine Brennelemente mehr.

Nächster Schritt sind Arbeiten im und am Reaktordruckbehälter. Es geht also ans Eingemachte: Unter Wasser werden nun die Einbauten des Behälters demontiert und zerlegt.

Was geschieht mit den 40 Castoren im Philippsburger Zwischenlager?

Seit März 2022 wurden EnBW-Angaben zufolge alle 734 in Philippsburg verbrauchten Brennelemente in 40 Castoren verpackt. Wo die radioaktiven Behälter einmal landen werden, ist noch offen.

Bis auf Weiteres lagern sie im Brennelemente-Zwischenlager Philippsburg. Die 18 Meter hohe Lagerhalle auf dem Betriebsgelände wurde 2007 in Betrieb genommen, sei 2019 ist die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) Betreiberin.

Laut Bund soll das zähe Verfahren zur Endlagersuche bis zum Jahr 2031 plangerecht abgeschlossen werden und ab 2050 soll der hoch radioaktive Müll am dann hoffentlich gefundenen Standort endgelagert werden.

Als letztes Atomkraftwerk in Baden-Württemberg soll – planmäßig an diesem Samstag, 15. April – der Meiler Neckarwestheim 2 stillgelegt werden.

Wie in Philippsburg ging auch in der Gemeinde im Landkreis Heilbronn der ältere Meiler im März 2011 nach der Fukushima-Katastrophe vom Netz. Die Pläne für den Rückbau liegen schon länger im Detail ausgearbeitet bereit.

Insofern verwundert es nicht, dass das Umweltministerium in Stuttgart schon Anfang April, noch während des laufenden Betriebs, die Genehmigung für Stilllegung und Abbau von Block 2 erteilte.

„Die EnBW ist damit der erste Betreiber von Kernkraftwerken in Deutschland, für dessen Kernkraftwerke alle Rückbaugenehmigungen vorliegen“, ließ die EnBW nicht ohne Stolz wissen.

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