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„Alleine nicht geschafft“

Selbsthilfegruppe in Philippsburg stützt Eltern nach dem Tod ihrer Kinder

In Philippsburg gibt es eine Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern. Der Tod eines Kindes gilt als besonders schlimm und belastend. Wie kommt man da jemals drüber weg?

Hinterbliebene sitzen mit weißem Engel und Fotos der verstorbenen Kinder am Tisch
Der weiße Engel und Fotos der verstorbenen Kinder sind bei allen Treffen dabei. Für Uli Melzer, Karin Melzer und Andrea Herzog ist die Selbsthilfegruppe eine wichtige Anlaufstelle Foto: Irmgard Duttenhofer

„Es ist, als ob jemand einen Teil aus deinem Körper reißt und du weißt, das wächst nie wieder nach.“ So beschreibt Uli Melzer den Schmerz, ausgelöst durch den Tod seines Sohnes.

Eine großflächig tätowierte Uhr auf dem Unterarm zeigt Michaels Todesstunde, das Porträt des damals 24-Jährigen trägt er auf dem Herzen. So hält er seit acht Jahren täglich Zwiesprache mit dem Verstorbenen, wenn er morgens und abends in den Spiegel schaut.

Der Tod eines Kindes ist mit nichts zu vergleichen.
Karin Melzer hat ihren Sohn verloren

Die Trauer über den Verlust ist noch immer allgegenwärtig. „Der Tod eines Kindes ist mit nichts zu vergleichen“, ergänzt seine Ehefrau Karin.

Michael ist im Dezember 2014 verstorben. Einen Monat später fuhren die Eltern zum ersten Mal nach Hessheim bei Frankenthal. 50 Kilometer einfache Wegstrecke, um die Trauergruppe „Leben ohne Dich“ zu besuchen. „Wir hätten es alleine nicht geschafft, sind bis viermal täglich zum Grab gepilgert“, sagt Karin heute ganz offen, die sofort und ganz gezielt nach einer Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern gesucht hat.

Drei Jahre lang fuhren sie monatlich diesen Weg. Dann, im November 2017, gründete Uli Melzer, assistiert von seiner Ehefrau, eine eigene Gruppe in Philippsburg. Es war ein Kaltstart, ohne Vorankündigung.

Die evangelische Kirchengemeinde stellte sofort einen Raum zur Verfügung. Zum ersten Treffen kamen 14 Betroffene. Inzwischen sind es 23, die kommen, gehen, bleiben. „Der erste Schritt ist am schwersten“, weiß Gruppenleiter Melzer. Wer reden will, darf reden. Es gibt keinen Zwang, nicht mal zur Mitgliedschaft.

Verwaiste Eltern treffen sich auch zu Ausflügen

Aber nicht jeder Teilnehmer erträgt die Schicksale anderer Betroffener. Manche verlassen die Gruppe und kommen zu einem späteren Zeitpunkt zurück.

Auch das ist problemlos möglich, so Karin Melzer. Inzwischen treffen sich die verwaisten Eltern auch zu Grilltagen und Ausflügen. Dann sind die Gespräche lockerer, privater, hat Andrea Herzog erlebt.

Sie ist seit der ersten Stunde Teil der Gruppe. Denn zwei Monate nach Michaels Tod erleidet ihr eigenes Kind einen tödlichen Verkehrsunfall. Seither ist auch für sie die Welt aus den Fugen geraten: „Jeder kennt Todesfälle in der Familie. Aber der Schmerz ist anders, wenn man ein Kind verliert.“

Der gemeinsame Weg ist zu Ende. Einen neuen Weg zu finden ist ein schwieriger Prozess, sagt Uli Melzer. Andrea Herzog weiß: „Der Verlust macht dünnhäutig.“

Tod und Trauer für Außenstehende ein Tabu-Thema

Viele Freunde und Bekannte hätten sich inzwischen zurückgezogen, bestätigen alle drei Gesprächspartner. Die Freunde erwarten, dass die Eltern bald wieder so sind, wie sie früher waren. Außerdem seien Tod und Trauer für Außenstehende Tabuthemen. Für die betroffenen Eltern werden sie aber immer Teil ihres Lebens sein. Also trennen sich die Wege.

Familie Melzer und Andrea Herzog verbindet noch ein weiteres Schicksal: Sie hadern mit der Justiz. In beiden Fällen sollen die Toten an ihrem Unglück selbst schuld sein. „Ein Tiefschlag mehr im Leben“, so Andrea Herzog, die den Unfalltod ihres Sohnes nicht gesühnt sieht.

Familie Melzer hat 16 Monate auf eigene Faust recherchiert, neue Zeugen ermittelt und den Fall bis zum Justizministerium getragen. Ohne Erfolg. Das Verfahren wird nicht wieder aufgenommen. Die Eltern wissen jetzt nach eigener Aussage, dass Michael, der mit 21 Jahren schon den Meisterbrief in der Tasche hatte, heimlich Drogen ins Glas gemischt wurden.

Kontakt

Jede Familie mit verstorbenen Kindern trägt schwer an ihrem eigenen Schicksal. Einige trauern um ihre Kinder, die den Freitod gewählt haben, andere Kinder sind durch Krankheit verstorben, Unfallopfer geworden oder als Sternenkinder viel zu früh oder tot zur Welt gekommen. Für all diese betroffenen Eltern steht die Selbsthilfegruppe offen (shg-philippsburg@lebenohnedich.de).

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