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Technisches Wunderwerk

Vor 70 Jahren sorgt der erste Fernseher in einem Wiesentaler Schaufenster für platt gedrückte Nasen

Im Schaufenster des Elektrofachgeschäfts Georg Federolf in Wiesental weckte ein bislang unbekanntes Objekt vor 70 Jahren die Aufmerksamkeit der Bürger: ein Fernsehapparat mit einer Bilddiagonale von 23 Zentimeter.

1953 war im Schaufenster des Elektrofachgeschäfts Georg Federolf der erste Fernsehapparat in Wiesental zu sehen. Dieser hier wird im Heimatmuseum gezeigt.
1953 war im Schaufenster des Elektrofachgeschäfts Georg Federolf der erste Fernsehapparat in Wiesental zu sehen. Dieser hier wird im Heimatmuseum gezeigt. Foto: Werner Schnidhuber

Es gab nur ein Programm mit dem Fernsehapparat in der Heiligenstraße 1: zwei Stunden am Tag und alles in Schwarzweiß. Innerhalb weniger Tage stieß der Flimmerkasten auf ein so großes Interesse, dass ein Pulk von Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern ihre Nasen an der Glasscheibe plattdrückten.

Nur ganz wenige Leute sahen das erste im deutschen Fernsehen direkt übertragene Großereignis: die Krönung von Elisabeth II. am 2. Juni 1953. Damals gab es in Deutschland erst 300 gemeldete Fernseher, zwei Jahre später waren es 100.000.

Verschiedene Zeitzeugen erinnern sich noch gut an die ersten TV-Tage in Wiesental, als sie die ausgestellte putzige Glotze bewunderten. 1953 machte der damalige 14-jährige Herbert Ritter aus Wiesental in Mannheim die ersten Erfahrungen mit einem Fernseher.

Fernsehapparat wird zu Sensation bei Fußballweltmeisterschaft 1954

Vor einem Schaufenster scharte sich eine Menschenmenge, durch die er sich zwängte, um die Krönungszeremonie in England zu bestaunen. Bald darauf sah er wiederum einen solchen Auflauf, diesmal zu Hause in Wiesental. Der Elektroladen Federolf, den es seit 1920 gab, bot das technische Wunderwerk als Attraktion in der Auslage.

Bis 1920 war im Haus eine Bäckerei untergebracht, dann das Elektrofachgeschäft Georg Federolf. Die Aufnahme ist aus dem Jahr 1909.
Bis 1920 war im Haus eine Bäckerei untergebracht, dann das Elektrofachgeschäft Georg Federolf. Die Aufnahme ist aus dem Jahr 1909. Foto: Werner Schmidhuber

Zur absoluten Sensation wurde der braune Kasten mit der Bildröhre zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft 1954. In Lokalen wie im „Reichsadler“, im „Wiesentaler Hof“ oder beim „Leo Karl“ lockten die Mattscheiben und wirkten als Magneten, erinnert sich Ritter. Stühle gab es nur für die Männer, die Kinder und Jugendlichen mussten auf dem Fußboden sitzen.

Erste Geräte kosteten 1.500 Euro

Nach der WM setzte ein regelrechter Ansturm ein. Obwohl die Geräte relativ kostspielig waren, leisteten sich immer mehr Familien das Fernsehvergnügen. Im Verhältnis zum durchschnittlichen Einkommen war der Preis mit über 1.500 Mark nur für wenige Haushalte erschwinglich. Wie Ritter noch weiß, wiesen hohe Antennen auf den Dächern auf die stolzen Besitzer hin.

Auch Gilbert Roth (83) aus Philippsburg, ein gebürtiger Wiesentaler, erinnert sich noch gut: „Ich sah den ersten Fernseher beim Federolf laufen. Täglich blieben die Leute neugierig stehen.“ Auf diese Weise machten die Elektrogeschäfte emsig Werbung für ihren teuersten Verkaufsartikel.

Gemeinsames Fernsehschauen in den Wirtschaften

Bei der WM 1954 waren die Wirtschaften gerammelt voll. Wer einen Fernsehapparat aufstellen konnte, machte ein lukratives Geschäft. Wer zu spät auftauchte, musste stehen, teils auf Zehenspitzen. Die Jugendlichen schauten durch die Fenster, um die Spiele auf dem fernen Mini-Bildschirm zu verfolgen, berichtet Roth. Abends ging’s zum gemeinsamen Fernsehgucken in die Wirtschaften, etwa ins „Trauben-Wirts“ oder zum Mail Hoiner in die „Tanne“. Beliebt war das Ohnsorg-Theater.

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