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Joseph Granier präsentiert Beweismittel.

Residenzschloss als Drehkulisse

Dokumentation bringt Rastatter Prozesse ins Fernsehen

Die Rastatter Prozesse sind lange in Vergessenheit geraten. Ein Grund dafür war die 100-jährige Sperrfrist, die von den französischen Behörden vorzeitig aufgehoben wurde. Eine Dokumentation bringt die Verhandlungen gegen deutsche Naziverbrecher nun ins Fernsehen.
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Ein Blick in die Akten ist jahrzehntelang tabu gewesen. Die Rastatter Prozesse waren Verschlusssache. Eine Dokumentation über einen der größten Nachfolgeprozesse von Nürnberg wird am Montag, 17. Mai, um 23.35 Uhr im Ersten gezeigt.

Dafür war das Rastatter Residenzschloss Ende August vergangenen Jahres Filmkulisse. Eigentlich waren die Dreharbeiten schon im März geplant. Doch die Corona-Pandemie kam dazwischen und machte den Verantwortlichen der Fernsehdokumentation zu den „Rastatter Prozessen“ einen Strich durch die Rechnung.

Jörg Kunkel, Geschäftsführer der Hamburger Produktionsfirma „Moving Story Productions“ hat die Arbeiten dann verschoben.

Franzosen errichten 1946 das Tribunal Général

Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes wird Deutschland von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Teile Badens, Württembergs und von Rheinland-Pfalz stehen unter französischer Besatzung. In Rastatt wurde im Frühjahr 1946 das Tribunal Général eingerichtet, um deutschen Nazi-Kriegsverbrechern den Prozess zu machen.

Die Story im Blick: Ben Janssen spielt in der Dokumentation den BNN-Journalisten Theo Kemper, der in der Szenen-Aufnahme auf Recherche ist.
Die Story im Blick: Ben Janssen spielt in der Dokumentation den BNN-Journalisten Theo Kemper, der in der Szenen-Aufnahme auf Recherche ist. Foto: SWR/moving story media/Hans Jakobi

Während der nächsten Jahre finden vor dem Gericht im Ahnensaal des Rastatter Schlosses 235 Prozesse statt. 2.130 Mal wird Anklage erhoben, hauptsächlich gegen das Personal der NS-Lager auf dem Gebiet der französischen Besatzungszone. Sie mussten sich für ihre Verbrechen und für den Tod von mehr als 25.000 Menschen verantworten.

Dabei sind laut Kreisarchivar Martin Walter 105 Todesurteile ausgesprochen worden. Damit gehören die Rastatter Prozesse zu den größten alliierten Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Spielszenen beruhen auf Gerichtsprotokollen

Im Mittelpunkt des Films stehen aufwändige Spielszenen, die auf den überlieferten Gerichtsprotokollen beruhen und am Originalschauplatz im Ahnensaal des Rastatter Schlosses gedreht wurden, heißt es in der Pressemitteilung des Südwestrundfunks.

Filmszene: Stefanie Bruckner stellt Anwältin Helga Kloninger dar.
Erst 24 Jahre alt: Die Anwältin Helga Stödter, geborene Kloninger, bereitet sich auf ihr Debüt vor Gericht vor. In der Dokumentation schlüpft Schauspielerin Stefanie Bruckner in die Rolle der jungen Anwältin. Foto: SWR/moving story media/Hans Jakobi

Sie zeigen demnach exemplarisch ausgewählte Prozesse und die daran Beteiligten wie den französischen Staatsanwalt Joseph Granier sowie die junge deutsche Pflichtverteidigerin Helga Stödter, geborene Kloninger. Neben selten gesehenem Archivmaterial fördern Historiker Zeugnisse und historisches Beweismaterial aus den Gerichtsakten zutage und ordnen das Geschehen im Gerichtssaal ein.

Junge Anwältin verteidigt deutsche Nazi-Verbrecher

Helga Stödter war erst 24 Jahre alt und Referendarin. Trotzdem war die junge Frau Pflichtstrafverteidigerin am französischen Generaltribunal in Rastatt. Für den Aufbau eines Justizapparates suchen die Alliierten nach unbelasteten Leuten, so Elisabeth Thalhofer, Leiterin der Erinnerungsstätte für Freiheitsbewegungen im Residenzschloss Dafür seien etwa pensionierte Juristen reaktiviert oder blutjunge Leute, wie Helga Stödter, rekrutiert worden.

Chefankläger Joseph Granier im Film.
Konkurrenten vor Gericht: Im Film begegnen sich die Figuren Helga Stödter und Joseph Granier. Foto: SWR/moving story media/Hans Jakobi

Das Kreisarchiv Rastatt erhielt im November 2011 in zwei Lieferungen 45 Hefter mit den Unterlagen von Helga Stödter aus ihrer Rastatter Zeit. Nach Angaben von Kreisarchivar Walter wurden daraus die ersten 35 Ordner ausgewertet. Erfasst worden seien daraus 439 Personen, die Stödter damals vertrat. „Wobei sicher nicht gegen alle ein Verfahren eröffnet wurde“, betont Walter.

In Stuttgart bestand Stödter im Mai 1949 ihr zweites juristisches Staatsexamen. Sie kämpft zeitlebens für Frauenrechte. Später gründet sie die Helga Stödter-Stiftung, die sich für Frauen in Führungspositionen stark macht. Sie stirbt am 29. Mai 2011.

Rastatter Prozesse sind in Vergessenheit geraten

Trotz ihres gewaltigen Ausmaßes sind die Rastatter Prozesse weitgehend in Vergessenheit geraten. Das liegt nicht nur an der 100-jährigen Sperrfrist, der die Gerichtsakten bis vor kurzem unterlagen, sondern auch daran, dass die Verfahren jahrzehntelang im Schatten der großen Nürnberger Prozesse standen, steht in der SWR-Pressemitteilung.

Chefankläger Joseph Granier
Chefankläger: Der französischen Staatsanwalt Joseph Granier auf einer historischen Aufnahme. Foto: SWR/Landratsamt Zollernalbkreis

Nachdem die Sperrfrist vorzeitig aufgehoben worden sei, seien große Teile der Prozessakten zum ersten Mal einsehbar gewesen. Zusammen mit den wertvollen Nachlässen von Prozessbeteiligten gewährten sie laut SWR einen besonderen Blick auf das Geschehen im Gerichtssaal und ermöglichten es, den Verlauf der Prozesse zu rekonstruieren. Damit konnte diesem wichtigen, aber vergessenen Kapitel der deutsch-französischen Nachkriegsgeschichte eine Dokumentation gewidmet werden.

Die 45-minütige Dokumentation „Die Rastatter Prozesse“ von Judith Voelker wird am Montag, 17. Mai, um 23:35 Uhr im Ersten gezeigt und ist danach für 90 Tage in der ARD Mediathek abrufbar.

Eine 90-minütige Fassung des Films wurde am bereits 4. Mai um 20:15 Uhr auf Arte erstausgestrahlt.

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