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Zur Zukunft der Mittelstädte

KIT-Professor Markus Neppl: Reine Verkaufsflächen in Innenstädten und Einfamilienhäuser sind überholt

Klimawandel und neue gesellschaftliche Trends stellen die Kommunen in Mittelbaden vor große Herausforderungen. Im zweiten Teil des Interviews mit unserem Redaktionsmitglied Ulrich Coenen erklärt Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), warum es in Zukunft nicht ohne Verzicht geht.

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Markus Neppl ist Professor für Stadtquartiersplanung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Foto: Ulrich Coenen

In den wirtschaftlich erfolgreichen Städten in Mittelbaden herrscht Wohnungsnot. Was können die Kommunen tun?

Neppl: Das ist bekanntlich kein regionales Problem, es besteht in großen Teilen Deutschlands. Es gibt aber auch Regionen mit Leerstand und Schrumpfungstendenzen. Unstrittig ist allerdings, dass seit zwei Jahrzehnten kein geförderter Wohnungsbau mehr betrieben wird. Man hat im Zuge der Liberalisierung sogar kommunale Wohnungsbestände verkauft. Jetzt stellt man fest, dass es einen riesigen Mangel in diesem Segment gibt. Es ist die politische Entscheidung jeder Kommune, mehr geförderten Wohnraum zu schaffen. Es ist aber eine völlige Illusion, das nur mit kommunalen Mitteln zu machen. Auch die private Wohnungswirtschaft muss beteiligt werden. Bei der Stadtquartiers-Entwicklung hat sich das Konzept mit jeweils einem Drittel gefördertem und vermietetem Wohnraum und einem Drittel Eigentum bewährt. Das ist eine sehr gute Formel, die zu einer guten Mischung führt.

Nicht Kind mit dem Bade ausgießen

Viele wollen jetzt schnell und billig Wohnraum. Fred Gresens, Bezirksvorsitzender der Architektenkammer Südbaden, hat bei einem Vortrag in Bühl im vergangenen Jahr eine deutliche Nachverdichtung im ländlichen Raum gefordert. Fünfgeschossige Neubauten sollten auch auf dem Dorf kein Tabu sein. In Innenstädten wie in Bühl oder Achern kann sich Gresens auch sieben Geschosse vorstellen.

Neppl: Fred Gresens ist im Hauptberuf ein Vertreter der Wohnungswirtschaft. Diese hat aktuell keine Flächen zur Entwicklung. Wenn man sich so plakativ äußert, ist man aber nicht mehr am städtebaulichen Kontext, sondern nur noch an Masse interessiert. Man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. An der Notwendigkeit, verantwortlich mit dem Grund und Boden umzugehen, kommen wir aber nicht vorbei.

Alle streamen und gehen nicht mehr ins Kino

Viele Menschen in den Schwarzwalddörfern verkaufen ihre Einfamilienhäuser im Alter und ziehen wegen der besseren Infrastruktur in die Mittelstädte im Oberrheingraben. Die neuen Luxuswohnungen, die dort entstehen, verdrängen zum Teil Infrastruktur. In Bühl ist es aktuell das einzige Kino der Stadt, das weichen muss.

Neppl: Die Infrastruktur, die wir in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben, ist generell nicht zu halten, auch in den großen Städten nicht. Wir haben Probleme mit dem Einzelhandel. Das wird noch deutlich massiver werden. Selbst in Großstädten haben Einkaufszentren Probleme. Es wird aber auch schwierig, die soziale und die verkehrliche Infrastruktur zu erhalten. Wir haben deutlich über unsere Verhältnissee gelebt. Es wird deshalb zu einer massiven Schrumpfung kommen. In den vergangenen Jahrzehnten wurden Innenstädte nur über Verkaufsfläche definiert. Outlet-Center und Internethandel haben schnell klargemacht, dass das nicht mehr funktioniert. Wir können keine Einrichtungen krampfhaft erhalten, für die keine Nachfrage mehr besteht und müssen unsere Innenstädte auf andere Weise interessant machen. Dazu gehören Kultur und öffentliches Zusammenleben. Private Initiativen, die mehr Gemeinschaft entwickeln, sind eine Option. In einer Zeit, in der alle streamen, hat es ein Kino in Bühl natürlich schwer. Auch in solchen Fällen können nicht kommerzielle Träger eine Lösung darstellen.

Studenten gehen in Burgerladen

In den mittelbadischen Städten und Landgemeinden sterben auch die Gaststätten.

Neppl: Diese Institutionen erleben im Hinblick auf ihr Publikum einen Generationswechsel. Die Leute um die 50 besuchen vielfach überhaupt keine Kneipen mehr und nur selten Restaurants. Studenten und Schüler gehen in die Burger- und Dönerläden. Die boomen überall. Wir müssen dies jeder Generation zugestehen. Der Wandel ist da. Wir können nicht Strukturen deshalb erhalten, weil sie schon immer existiert haben.

Öffentlicher Raum wird neu entdeckt

In Bühl wird aktuell über die Erweiterung der Fußgängerzone aus den 1980-er Jahren nachgedacht. Macht das im Hinblick auf die schlechten Perspektiven des Einzelhandels überhaupt Sinn?

Neppl: Man versteht langsam, dass das Wohnumfeld und das gemeinschaftliche Nutzen von Flächen auch in kleineren Städten einen enormen Wert hat. Es geht um die Frage, wie man in einer Stadt zusammenleben und sich begegnen will. Das ist die Idee des öffentlichen Raums. Diese Entdeckung hat man offensichtlich in Bühl gemacht. Das finde ich gut und interessant.

Haben die in den Landgemeinden und in den dörflichen geprägten Stadtteilen in Mittelbaden weit verbreiteten Einfamilienhäuser noch eine Zukunft? Gegner sprechen von einer überholten Wohnform und der damit verbundenen Zersiedelung der Landschaft.

Einfamilienhaus nach Auszug der Kinder zu groß

Neppl: Wir können nicht den ganzen Bestand in Frage stellen. Diese Wohnform wurde staatlich gefördert. Es war eine gesellschaftliche Idee, im Grünen wohnen und in der Stadt arbeiten. Im Limmattal bei Zürich haben wir bei einer Untersuchung festgestellt, dass diese Gebiete in jeder Hinsicht am stabilsten sind. Es wird im Hinblick auf die Einfamilienhäuser allerdings in Randbereichen wie im Schwarzwald zum Wertverlust kommen. Ich vermute jedoch, dass der Markt für Einfamilienhäuser irgendwann nicht mehr da sein wird, weil die Grundidee nur 20 Jahre funktioniert. Wenn die Kinder ausgezogen sind, ist das Einfamilienhaus für die Eltern zu groß.

Tiny Häuser sind kein Lösungsmodell

Tiny Häuser sind in aller Munde. Gerade Menschen mit alternativen Hintergrund finden sie trotz des großen Flächenverbrauchs gut. Kann das eine ernsthafte Lösung sein.

Neppl: Ich finde Tiny Häuser interessant, weil sie für eine Lebensanschauung und Verzicht stehen. Sie zeigen vielleicht, dass die nächsten Generationen anders ticken. Sie sind aber kein Lösungsmodell, weil Grundstücke und Infrastruktur bereitgestellt werden müssen. Tiny Häuser verführen dazu, wieder in die Fläche zu gehen. Das funktioniert nicht.

Wir werden über Verzicht reden müssen

Wie sieht die ideale Stadt der Zukunft in Mittelbaden aus?

Neppl: Die Bürger sollten ihr Geld nicht in Immobilienfonds, sondern in ihrer Stadt investieren. Jede Kommune muss die Instrumente dafür schaffen und die Grundstücke nicht mehr über den Preis, sondern über Konzepte vergeben, die Vielfalt und eine gewisse Dichte garantieren. Tübingen kann in dieser Hinsicht für andere Städte richtungsweisend sein. Jede Stadt muss mehr tun, als Äcker als Wohngebiete auszuweisen. Die Kommune muss sich um Organisation sowie städtebauliche und architektonische Qualität kümmern. Wir werden im Hinblick auf den Klimawandel über Verzicht und geringere Standards reden müssen. Mit den bekannten Mustern wird dies nicht gelingen.

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