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Der Tanz der Tiefseequalle

Produktion des Jungen Theaters Baden-Baden setzt sich mit Mobbing auseinander

Die Nachwuchsschauspieler setzen sich mit dem Thema Mobbing auseinander. Dabei arbeitet Regisseurin Daniela Urban behutsam und mit viel Körpersprache.

Christina Thiessen, David Richter und Carl Herten (von links) setzen sich in „Tanz der Tiefseequalle“ des Jungen Theaters Baden-Baden mit Mobbing auseinander.
Christina Thiessen, David Richter und Carl Herten (von links) setzen sich in „Tanz der Tiefseequalle“ des Jungen Theaters Baden-Baden mit Mobbing auseinander. Foto: Jan Merkle

Das Thema Mobbing geht alle an. Am Arbeitsplatz, im Privatleben und natürlich auch in der Schule. Hier ein Stück zu inszenieren, das sich weder in Klischees verliert noch mit erhobenem Zeigefinger daherkommt, ist nicht so einfach. Im „Tanz der Tiefseequalle“ nach dem Roman von Stefanie Höfler nähert sich Regisseurin Daniela Urban dem Thema behutsam an.

Der übergewichtige Niko wird Ziel unzähliger Scherze

In der Produktion des Jungen Theaters im TiK arbeitet sie viel mit Körpersprache beim holperigen Zusammenfinden zweier Teenager, die zumindest anfangs unterschiedlicher nicht sein könnten. David Richter gibt den übergewichtigen Niko, aufgrund seiner Körperfülle beliebtes Ziel unzähliger Scherze, die gewollt unter die Gürtellinie gehen und wehtun.

Ganz bewusst wurde hier jedoch kein übergewichtiger Schauspieler ausgewählt. Denn der Grund ist austauschbar, es reicht ja beispielsweise schon, die falschen Klamotten anzuhaben, um Ziel des allgemeinen Spotts zu sein.

Niko wird gequält und gedemütigt, vor der ganzen Klasse so bloßgestellt und schikaniert, dass die Grenze des Unerträglichen nicht nur erreicht, sondern oftmals überschritten wird. Nikos Schultern sind gebeugt von dieser Last. Noch mehr kann er den Kopf gar nicht einziehen, in Erwartung der nächsten verbalen Schläge, die unweigerlich kommen.

Carl Herten glänzt in einer Vierfachrolle

Am meisten von Marko, dem „Obercoolen“, hinter dem alle Mädels her sind. Carl Herten glänzt bei der Inszenierung in einer Vierfachrolle, alle Charaktere ein wenig überzeichnend, aber total witzig. Marko gibt er als rotzigen Boss. Dass der nicht noch markig auf den Boden spuckt, ist alles.

Doch dahinter ist auch eine Verletzlichkeit zu spüren. Die Angst, seine Coolness vielleicht zu verlieren und deshalb immer noch eins draufsetzen zu müssen, um sich zu behaupten. Als Seras Freundin Melinda zupft Herten sich theatralisch sein pinkfarbenes Oberteil zurecht, packt fünf Miniröcke für die Klassenfahrt ein und ist nur auf Eroberung aus. Mit Little schlüpft er in die Rolle des einzigen Freundes, der Niko ein wenig zugetan scheint, zumindest etwas in ihn hineinspürt und sich Gedanken um ihn macht.

Das Mobbingopfer erhält von unerwarteter Seite Unterstützung

Und dann ist da noch Seras Bruder, von dem sich Niko nach der Klassenfahrt zur Rede gestellt fühlt. Doch was ist passiert? Sera, das hübscheste Mädchen der Klasse, hat zwar auch ein Auge auf Marko geworfen. Doch sie mag es nicht, wie er Niko drangsaliert, und nimmt diesen mehrfach in Schutz.

Auf dem Klettergerüst kommen sie und Marko sich näher, doch der wird so zudringlich, dass sie entsetzt flüchtet. Christina Thiessen verkörpert deutlich den Zwiespalt, in den Sera gerät. Aus Trotz wendet sie sich dem Außenseiter Niko zu und fordert ihn vor aller Augen zum Tanz auf. Damit ist ihr Ansehen ruiniert.

Marko kehrt seine ganz fiese Seite raus, legt bewusst einen Stehblues auf. Wohl wissend, Niko schwitzt Blut und Wasser bei dem Gedanken, diesen mit ihr zu tanzen. Am Mikro macht sich Marko über die beiden lustig. Doch je mehr er provoziert, desto mehr kommt Sera in ihre Kraft.

Sie animiert Niko, auf der Klassenfahrt gemeinsam abzuhauen. Denn der erste Tag im Schwimmbad, als bei Nikos Arschbombe unzählige kleine Gummikugeln als hübscher Gag wie Wassersprudel über die Bühne hüpfen, war wieder nur blamabel.

Hübsche Klassenkameradin erahnt Nikos verborgene poetische Seite

Anfangs wirkt er ihr gegenüber gewohnt devot. Doch Sera erspürt seine poetische, einfühlsame Seite. Etwa als er morgens einen Kondensstreifeneinsammler erfinden will, weil die so schön aussehen am Himmel. Auf einem Spielplatz schaukeln sie zusammen, bis sie vor Lachen herunterfallen.

Sie hinterfragen sich, wie ist es, dick zu sein oder von allen als hübsch empfunden zu werden. Und sie merken: Was im Einzelnen unwitzig erscheint, heißt noch lange nicht, dass alles im Leben doof ist. In einem Zauberwald kommen sie an Seras Lieblingsplatz, einen verwunschenen See.

Beim Kräftemessen kommt er zu einer Umkehr der Rollen

Zurück in der Schule, gibt sich Marko als dicker Sumoringer aus und fordert Niko heraus. Der plötzlich ganz geradestehen kann und den Kampf gewinnt. Erst jetzt traut er sich, mit Sera gemeinsam in ihrem Zaubersee zu schwimmen, sie sogar zu küssen. Und sie merken, im Wasser sind beide genau gleich schwerelos.

Gefühlte Millionen bunter Seifenblasen blubbern über den beiden jungen Menschen. Die auf einmal spüren, dass sie die Hierarchie der Klasse nicht mehr brauchen und dabei sind, im anderen auch sich selbst zu entdecken.

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