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Keine Entscheidung

Abstimmung in Bühl über offiziellen Titel „Zwetschgenstadt“ verschoben

Bühl ist Zwetschgenstadt, das ändert keine noch so kreischende Motorsäge. Der offizielle Titel sollte demnach nur eine Formsache im Gemeinderat sein. Oder doch nicht?

Zeichnung, Zwetschge
„Vetreibung aus dem Quetsche-Paradies“ hat der Ottersweierer Künstler Heinz Wendling sein Werk genannt, mit dem er den Niedergang des Bühler Paradeobsts kommentiert. Foto: Heinz Wendling

Der Bühler Zwetschge geht es nicht gut. Gar nicht gut. Nicht der Zwetschgenwurm ist es, der ihr zusetzt, nein, dem geht es auch nicht besser. Denn mit jedem „Bühler“-Baum, der in den Obsthimmel eingeht, ist für die Nachkommen des Pflaumenwicklers der Tisch weniger reichhaltig gedeckt.

Die Gefahr hat zwei Beine, zwei Arme und einen Mund, in den seit vielen Jahren schon lieber andere Zwetschgensorten geschoben werden. Die Bühler Zwetschge wird so zu einem Fall für rote Listen und Obstmuseen.

Nun möchte Bühl Zwetschgenstadt werden. Nicht, dass die Stadt diesen Namen nicht schon lange hätte. Zumindest inoffiziell. Um es offiziell zu machen, braucht es die Weihen des Gemeinderats. Und jetzt wird’s kompliziert. Der Landtag hat vor eineinhalb Jahren die Bestimmungen für kommunale Zusatzbezeichnungen gelockert. Allerdings bedarf es dazu zweierlei: einer 75-prozentigen Zustimmung im Gemeinderat und einer umfassenden Begründung.

Zwetschgenbäume für England

Beginnen wir mit dem einfacheren Teil. Die Erfolgsgeschichte, ja, genau, so eine war das einmal, die Bedeutung der Bühler Frühzwetschge: Da lässt sich aus vollen Zwetschgenkörben schöpfen. Die Stadtverwaltung fängt gleich mal in der Mitte des 19.Jahrhunderts an, als im Kappelwindecker Zinken Riegel die ungewöhnlich früh reifende Zwetschgensorte entdeckt wird. Bald stellt sie sich als frostrobuster als andere Sorten heraus. Baumschulen florieren, sie liefern junge Zwetschgenbäume bis nach England.

Von 1884 an trägt die Eisenbahn nicht nur den Ruf der Zwetschge, sondern auch sie selbst hinaus ins weite Land, der erste Waggon mit 100 Zentnern Frühzwetschgen steuert Köln an. Prunus domestica nährt ein gar nicht so kleines Bühler Wirtschaftswunder. 1905 entsteht die „Bühler Obstzentrale“, die sich der Verbesserung der Obstbaumpflege und der Marktförderung widmet, 1919 die Obst-Absatzgenossenschaft und 1928 eine Spankorbfabrik.

1935 wird die Obstgroßmarkthalle errichtet. Wie wichtig das Obst- und damit das Geschäft mit der Bühler Zwetschge in jener Zeit ist, zeigt ein Satz aus einer Denkschrift des Bühler Bürgermeisteramts von 1931: „Ohne Überhebung darf heute gesagt werden, dass die hiesige Landwirtschaft auf Gedeih und Verderb mit dem Obst verbunden ist.“

Rasanter Niedergang der Bühler Frühzwetschge

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg verliert die Bühler Frühzwetschge an wirtschaftlicher Bedeutung. Wegen der leichteren Ernte setzen sich niedrig wachsende Bäume mit anderen Sorten durch. Dazu wünschen Märkte und Handel größere, länger haltbare, festere und süßere Zwetschgen.

Den daraus resultierenden Rückgang in den vergangenen 30 Jahren nennt die Stadtverwaltung rasant. „Heute werden die Zwetschgenbäume vor allem im Neben- und Zuerwerb bewirtschaftet, bestimmen aber immer noch das Bild in vielen Obstanlagen und Streuobstwiesen rund um Bühl und werden auf den regionalen Märkten, bei Direktvermarktern und in Hofläden angeboten“, heißt es in der Verwaltungsvorlage.

Historischer Zwetschgenmarkt Bühl
In der Friedrichstraße drängen sich Zwetschgenbauern und -händlern beim Markt. Die Aufnahme ist um 1930 entstanden. Foto: Stadtgeschichtliches Institut Bühl

Das malt das Bild vielleicht in ein bisschen zu leuchtenden Farben. Eine wichtige Rolle am Obstmarkt hat die Bühler Frühzwetschge nicht mehr. Dass das „blaue Gold“ aus Bühl gefährdet ist, belegt nicht zuletzt eine Initiative, die es wieder fördern möchte. Seit 2018 ist die Bühler Frühzwetschge Passagier der „Arche des Geschmacks“ von Slow Food Deutschland. Eine Aufnahmevoraussetzung: Das Produkt muss in seiner Existenz gefährdet sein. Die Initiative macht ihre Homepage übrigens mit einem Zwetschgenbild auf.

Bühl aber hält die Zwetschgenfahne hoch. Der städtische Internet-Auftritt empfängt mit einem Bild der Zwetschgenkönigin und der großen Schlagzeile „Heimat der Zwetschge“. Stilisierte Zwetschgen bilden das offizielle Logo der Stadt. Das Zwetschgenfest gilt als der Höhepunkt des Jahres. Und noch immer macht es, wenn Bühler nach ihrer Herkunft befragt werden, bei der Antwort klick: „Ach, die Stadt mit den Zwetschgen“ – erst jüngst in Erlangen wieder so gewesen.

Eine Frage mit Brisanz

Bühl ist Zwetschgenstadt, das ändert keine noch so kreischende Motorsäge. Der offizielle Titel sollte demnach nur eine Formsache im Gemeinderat sein. Oder doch nicht? Die Sache entbehrt nicht einer gehörigen Portion Brisanz, will es scheinen. Nachdem die CDU-Fraktion im Dezember einen entsprechenden Antrag gestellt hatte, diskutierte der Gemeinderat den Zwetschgenfall schon im April hinter verschlossenen Türen. Sollte vielleicht zunächst ausgelotet werden, ob die 75 Prozent erreicht würden? Eine Antwort auf diese Frage gab das Rathaus nicht.

Und jetzt auch noch das. Der Antrag steht auf der Tagesordnung der öffentlichen Sitzung, doch zu einer Abstimmung kommt es nicht, weil Oberbürgermeister Hubert Schnurr die Zwetschgen vom Tisch räumt. Der Grund: Es sind nur 18 Mitglieder des Gremiums erschienen. Damit sind die vorgeschriebenen 75 Prozent Ja-Stimmen unerreichbar. Ende Juni tagt der Gemeinderat das nächste Mal. Genug Zeit, um den Termin zu blockieren. Denn kann es für Bühler Stadtmütter und- väter Wichtigeres geben, als nostalgisch der Blauen Königin zu huldigen?

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