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Feier auf dem Johannesplatz

Pogrom-Gedenken: Bühler Oberbürgermeister ruft zum Einsatz gegen Antisemitismus auf

Im November 1938 ging in Bühl die Synagoge in Flammen auf. Oberbürgermeister Hubert Schnurr rief beim Pogrom-Gedenken die Opfer in Erinnerung und formulierte eine Forderung.

Jugendliche legen Steine ab
Mitglieder der Gruppe „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ legten am Gedenkstein auf dem Johannesplatz Steine ab. Foto: Bernhard Margull

Hinter diesen Mauern lachten und weinten jüdische Frauen, Männer und Kinder. Sie feierten und trauerten, sie trieben Handel. Wer heute durch die Schwanenstraße zum Johannesplatz geht, kommt an Häusern vorbei, in denen einst Familien wie die Lions oder die Schweizer lebten. Der arglose Passant ahnt nichts davon, wie hinter diesen Mauern Schmerz und Angst nach 1933 immer größer wurden, bis die Bühler im Oktober 1940 ihre jüdischen Mitbürger aus der Stadt vertrieben.

Solche Gedanken ließen Schülerinnen und Schüler des Windeck-Gymnasiums am Donnerstagabend bei der Gedenkfeier zur Pogromnacht von 1938 aufkommen. Gemeinsam mit Lehrkräften engagieren sie sich in der Arbeitsgruppe „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Am Johannesplatz, wohin deutlich mehr Menschen gekommen waren als in den vergangenen Jahren, nannten sie beispielhaft sechs Adressen und stellten der heutigen Nutzung des Gebäudes jene gegenüber, als in den Häusern noch jüdisches Leben stattfand. Und sie berichteten, welches Schicksal die Bewohner erlitten. So machten sie deutlich, welche Lücke die Deportation der Bühler Juden, welchen Reichtum sie der Stadt raubte.

Schnurr erinnert an jüdische Bühler

Auch in der Ansprache von Oberbürgermeister Hubert Schnurr war das ein Thema. Er erinnerte an das Schuhgeschäft der Lions, die Schreibwarenhandlung der Familien Schweizer und Odenheimer, den Textilladen der Bärs gegenüber dem Rathaus, den Klavierunterricht bei Anna Besag, an den Viehhändler Julius Roos und dessen Töchter Elisabeth und Heimat: „Sie alle waren Bürger von Bühl, zwischen sechs und 77 Jahren alt.“

„Sie haben hier in unserer Stadt gelebt und gearbeitet, sie hatten ihre Träume, Hoffnungen und Wünsche. Sie oder ihre Nachkommen könnten heute unsere Nachbarn sein, hier die Schule besuchen, einer Arbeit nachgehen, ein Teil von Bühl sein“, sagte Schnurr. „Stattdessen hat man ihnen ihre Freiheiten genommen. Sie wurden in unserer Stadt bedroht, wurden aus dem Wirtschaftsleben ausgegrenzt, zum Armutsfall gemacht, um sie zur Flucht zu zwingen oder schließlich in Lager zu deportieren.“

Von einem Tag auf den anderen, sagte Schnurr, seien aus Nachbarn, Freunden, zum Teil sogar Verwandten Volksschädlinge geworden: „Diese Nacht war der Anfang einer Schreckensherrschaft, die unendliches Leid über einen ganzen Kontinent gebracht hat.“

Ein Wendepunkt für die Bühler Gesellschaft

Das Pogrom bezeichnete Schnurr als eine Station auf dem Weg, „die radikale nationalsozialistische Ideologie in die Realität umzusetzen, ja auf grausame Weise zu vollenden“. Das Pogrom sei aber auch ein Wendepunkt für die gesamte deutsche Gesellschaft gewesen, „für alle Bürgerinnen und Bürger – auch hier in Bühl“.

Dieses „schreckliche Kapitel unserer Stadtgeschichte“ dürfe nie vergessen werden. „Wer heute der Opfer des Nazi-Terrors gedenkt, hat die Pflicht, sich auch dem aktuellen Antisemitismus entgegenzustellen, einem Antisemitismus, der sich zunehmend offen und in schamloser Weise zeigt“, so der Oberbürgermeister.

Die aktuellen Ereignisse in Israel, die Nachrichten und Bilder schmerzten auch in Deutschland zutiefst: „Auch wir sind gefordert wie lange nicht. Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden heute wieder in Angst leben – und das in unserem Land.“ Dass nach dem Menschheitsverbrechen der Shoah jüdisches Leben in unserem Land wieder gewachsen sei, nannte Schnurr ein Wunder: „Und dieses Wunder müssen und wollen wir bewahren.“

Der Antisemitismus zeigt sich zunehmend offen und in schamloser Weise.
Hubert Schnurr
Bühler Oberbürgermeister

Deshalb sei jede Form von Antisemitismus und Rassismus zu verurteilen. Mahnen und Gedenken blieben ein unverbindliches Ritual, „wenn sie nicht zum aktiven Einsatz gegen Antisemitismus, Rassismus und Faschismus führen – nicht irgendwann und irgendwo, sondern hier und jetzt“.

vier Männer stehen im Gedenken an einem Denkmal
Am Gedenkstein zum Synagogenbrand gedachten Bürgermeister Wolfgang Jokerst, Abraham Steinberg, Hubert Schnurr und Boris Becker der im Holocaust getöteten jüdischen Menschen. Foto: Bernhard Margull

Boris Becker von der Israelitischen Kultusgemeinde Baden-Baden sprach ein jüdisches Gebet, ehe Abraham Steinberg mit einer kurzen Ansprache und einem ökumenischen Gebet die Zuhörer berührte. Als israelischer Jude, der in Bühl lebt, „unter euch“, sei er total durcheinander, in seinem Kopf stimme nichts mehr. Der Antisemitismus werde wieder salonfähig, Juden in Deutschland entfernten an ihren Haustüren aus Angst die Mesusa, eine Schriftkapsel, Polizei müsse jüdische Einrichtungen schützen. „So weit ist es gekommen“, sagte Steinberg. Er stelle sich Fragen über Fragen, habe aber keine Antwort. Er hoffe, sie in einem Gebet zu finden.

Ein Friedenswunsch zum Abschluss

Zum Abschluss stellten die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung Kerzen ab. Die Schüler hatten zuvor in Erinnerung an die Opfer der Judenverfolgung und in Anlehnung an die jüdische Begräbnistradition Steine niedergelegt.

Das Klezmer-Duo Kerstin Lemay und Klaus-Dieter Kühn von der Bühler Musikschule hatte die Feier musikalisch gestaltet. Ihr abschließendes „Halleluja“ von Leonard Cohen summten und sangen nicht wenige Zuhörer mit. Das von Besuchern spontan angestimmte Shalom setzte den Schlusspunkt: Nichts hätte in diesen Tagen passender sein können als dieser Friedenswunsch.

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