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Ich hätt do mol e Frog

Steinquader auf dem Rheindamm: Früher zeigten sie Schiffern auch bei Lichtenau den Weg

Wie kommen so altertümlich wirkende Steine auf den Rheindamm bei Lichtenau? Und vor allem, was haben sie zu bedeuten? Das möchte Leserin Cornelia Schieckel-Schleckmann wissen und schickt die BNN-Redaktion auf Recherche.

Grenzstein
Rhein
Historische Wegmarke: Die Myriamtersteine zeigen die Entfernung nach Basel und Rotterdam sowie zu badischen Landesgrenze an. Sie standen einst alle zehn Kilometer. Heute hat sich bei der Rheinkilometrierung einiges verändert. Foto: Bernhard Margull

Seltsam muten die Informationen auf diesem Granitquader am Rhein bei Lichtenau an. Mit Landesgrenze, Basel und Rotterdam hat der rätselnde Mensch zumindest geografisch fassbare Begrifflichkeiten. Aber was bitte bedeutet 67.4450 M. bis Rotterdam?

Leserin Cornelia Schieckel-Schleckmann entdeckte während eines Spaziergangs auf dem Rheindamm bei Lichtenau diesen markanten Stein und will nun wissen, was das ist. Eine Anfrage beim Kreisarchiv Rastatt bringt den gewünschten Erfolg. „Es handelt sich um Myriametersteine“, berichtet Kreisarchivar Martin Walter.

Die Lösungsfindung war auch für die Experten in Sachen Regionalhistorie eine harte Nuss. Was dem Fluss-Schiffer vielleicht geläufig ist – oder zumindest dem, der sich mit der Geschichte des Rheins auskennt –, stellt für den Laien erst einmal ein Buch mit sieben Siegeln dar.

Der entscheidende Hinweis kam von einem Kollegen Walters, der wusste, was die etwa 80 mal 50 mal 50 Zentimeter großen Granitsteine bedeuten. Myriameter zeigen sie an, ein altes Maß, Sichtzeichen für die Rheinschiffer, die den Weg zum Ziel, damit auch den Weg zur Liebsten anzeigen.

Keine Badische Meile

Also nichts mit (Badischer) Meile, wie die Leserin mutmaßte? Nein, sagt Vermessungsingenieur Bruno Burkart vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt in Mannheim, der sich in dem Thema auskennt. „Myria ist altgriechisch und bedeutet Zehntausend. Ein Myriameter entspricht 10.000 Metern oder zehn Kilometern“, erläutert Burkart. Ein Stein, viele Informationen – und heute dazu gut 150 Jahre Schifffahrts-Historie.

Am Lichtenauer Stein (Nummer 15, nach heutiger Rechnung bei Rheinkilometer 316,45), den Cornelia Schieckel-Schleckmann entdeckt hat, gibt es folgende Daten: Landseitig stehen zwei Entfernungsangaben. 15,0000 M. von Basel. Das heißt 150 Kilometer sind es noch bis dorthin.

Dann steht 67,4450 M. bis Rotterdam, leichte Rechnung: Bis in die niederländische Hafenstadt sind es knapp 675 Kilometer. Auf der Wasserseite findet sich die römische Steinnummer (XV), darunter einen Höhenstrich und darunter die Höhenangabe in Metern bezogen auf den Pegel Amsterdam (Amsterdams Peil/A.P./in etwa Normalnull).

Das ist wichtig für die Berechnung des Flussgefälles. An Berg- und Talseite wird die Entfernung zur Landesgrenze (damals Großherzogtum Baden) angezeigt. An der Talseite (Blickrichtung flussaufwärts, also sichtbar für den „Bergfahrer“) steht auf dem Lichtenauer Stein die Entfernung 12,0072, an der Bergseite 14,6520 Myriameter. Die Nummer 14 steht bei Rheinau, die Nummer 16 bei Rheinmünster-Söllingen.

Folge der Rheinkorrektion durch Gottfried Tulla

Die Steine wurden in einer großangelegten Vermessungsaktion zwischen Rotterdam und Basel aufgestellt und sind eine Folge der Rheinkorrektur unter Gottfried Tulla ab 1817. Denn durch dieses Projekt, in dessen Folge die Schifffahrt bis Basel möglich werden sollte, veränderte sich der Rhein massiv. Auftraggeber für die Vermessung war 1864 die Central-Commission für Rheinschifffahrt (Straßburg), wie den zahlreichen Quellen zu entnehmen ist.

Damit war es ein frühes, europäisches Projekt. Doch es hat Schwächen, denn was den Anfangspunkt der Kilometrierung anbelangt, kochte jede Anrainer-Regentschaft (Badener, Hessen, Bayern, Preußen) ihr eigenes Süppchen. Das zeigt sogar die Wahl des Steins. In Baden findet sich viel Granit, so Bruno Burkart, sonst sei Sandstein gängig. Die Niederländer wollten nicht mitmachen, deshalb gibt es ab Rees (Niederrhein/kurz vor der Grenze) keine Myriametersteine mehr.

Nummer 15: Die Myriametersteine tragen römische Ziffern. In der historischen Rheinstromkarte von 1889, aufbewahrt im Kreisarchiv Rastatt, ist diese Marke eingezeichnet.
Nummer 15: Die Myriametersteine tragen römische Ziffern. In der historischen Rheinstromkarte von 1889, aufbewahrt im Kreisarchiv Rastatt, ist diese Marke eingezeichnet. Foto: Kreisarchiv Rastatt/BNN-Grafik Kathrin Hurst

Nachdem die Vermessung des Rheins und das Setzen der Myriametersteine doch ein paar Jährchen in Anspruch nahm, endete diese Epoche vergleichsweise schnell Ende des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1939 kamen dann die weißen Kilometertafeln mit schwarzen Zahlen als Sichtzeichen für die Rheinkilometer, weiß Bruno Burkart. Die sind heute noch gültig.

Und: „Der Null-Punkt liegt jetzt an der Konstanzer Brücke, nicht mehr in Basel“. Damit ergibt sich gegenüber der Ursprungslängenvermessung ein Versatz von rund 170 Kilometern. Gerechnet wird jetzt bis nach Hoek van Holland, Stadtteil Rotterdams und an der Hauptmündung des Rheins in die Nordsee gelegen. Diese Strecke entspricht 1032,8 Kilometern.

Teilweise heute noch Vermessungspunkte

Es hat sich einiges verändert. Mit dem Bau diverser Staustufen – zum Beispiel in Iffezheim – wurden die Rheindämme erhöht. Damit stimmt auch die Höhenangabe (Höhenbolzen) in vielen Fällen heute nicht mehr, so Burkart. Doch sie haben Bestand, die historischen Relikte. Die Mitarbeiter der Außenbezirke des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts pflegen die Steine, und teilweise haben die alten Marken wegen ihrer Exaktheit immer noch eine Bedeutung als Vermessungspunkte.

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