Drinnen strahlt noch der Tannenbaum. Draußen erhellt ein loderndes Feuer die Dunkelheit. Es ist eine ungewöhnliche Szenerie, die am Silvestertag das neue Gertrud-Hammann-Gemeindehaus prägt.
Dort feiern die Christen der evangelischen Kirchengemeinde den letzten Gottesdienst des Jahres 2022. „Und er enthält einige Überraschungen“, wie Pfarrerin Nicola Friedrich nach dem einfühlsamen Klavierspiel zu Beginn verspricht.
Predigt gerät zu einem Dialog
Die Predigt ist dabei gleichsam ein Doppel, oder besser gesagt ein Dialog zwischen Pfarrerin Friedrich und Pfarrer Alexander Kunick. Sie unterhalten sich über die Lesung aus einem Paulus-Brief, dessen Kernbotschaft lautet: „Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen.“ Das sei ein starker Satz angesichts der schlimmen Dinge, die auf der Welt passieren, meint Friedrich.
Kunick zeigt sich dabei beeindruckt von der Gewissheit, mit der die Verbindung zu Gott betont wird. Und beim Ausblick auf das neue Jahr lässt er denn auch keinen Zweifel, der Zukunft hoffnungsvoll entgegen zu blicken, „obwohl wir nicht wissen, was auf uns zukommt“. Friedrich gibt sich überzeugt: „Gott wird dabei sein, egal was passiert.“
Das passt doch gut zum Jahreswechsel.Alexander Kunick, Pfarrer
Der direkte Kontakt zu den in reichlicher Zahl erschienenen Gottesdienstbesuchern geschieht derweil in ungewöhnlicher Form. Sie dürfen schlechte Erinnerungen an das alte Jahr in die Flammen der vor dem Eingang aufgestellten Feuerschale werfen.
Es ist eine Premiere in der evangelischen Kirchengemeinde. „Das passt doch gut zum Jahreswechsel, man beginnt etwas Neues und lässt das Alte hinter sich“, erläutert Pfarrer Kunick die Intentionen der Idee.
Einige nutzen die Gelegenheit, schreiben wenige Worte oder ganze Sätze auf den Zettel und lassen sie in der Glut verschwinden. „Ich will die Erinnerung an die Krankheit von Angehörigen vergessen“, sagt Birgit Wieners, ehe sie das Stück Papier dem Feuer übergibt.
Thomas Seifert begnügt sich mit nur einem Wort auf dem kleinen Schriftstück, das wenig später zu Asche wird: „Inflation“ hat er darauf vermerkt. „Ich komme aus der Wirtschaft und das betrifft uns alle“, sagt Seifert.
Man muss doch dankbar sein für das, was wir haben.Ursula Wittmann, Gottesdienstbesucherin
Einige Schritte weiter werden individuelle Segenswünsche erfüllt und es wird auch Gelegenheit geboten, auf einem großen Plakat Wünsche für das kommende Jahr zu formulieren. Viele Gläubige nutzen dieses Angebot, das dann auch in den Fürbitten seinen Niederschlag findet. „Geduld und Gelassenheit“, schreibt jemand.
Ein anderer wünscht sich „Freiheit für alle, die so lange dafür kämpfen“. Und an einer weiteren Stelle findet sich die Hoffnung auf mehr gegenseitiges Verständnis: „Die Menschen sollten miteinander reden und einer dem anderen zuhören.“
Ursula Wittmann, die sich gerade etwas von der Feuerschale entfernt, vergisst indessen auch nicht, den Wert der Demut herauszustellen: „Man muss doch dankbar sein für das, was wir haben.“
Verabschiedung mit persönlichem Händedruck
Am Ende verabschieden Pfarrerin Friedrich und Pfarrer Kunick die Gottesdienstbesucher allesamt mit einem persönlichen Händedruck und den besten Wünschen für das neue Jahr. Passend dazu werden die Flammen der Feuerschale langsam immer kleiner – bis sie ganz erloschen sind.