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KAR – Repass

Russischer Realismus trifft auf Anarchie bei Gernsbacher Puppentheaterwoche

Gelungener Auftakt: Die Gruppe Fekete Seretlek beschert mit „KAR – Repass“ einen guten Start in die 34. Puppentheaterwoche Gernsbach.

KAR - Repass, eine anarchische Performance nach Motiven von Lew Tolstoi, mit der Gruppe Fekete Seretlek
Viel Applaus: Den bekam die Gruppe Fekete Seretlek, die 60 Minuten Objektkunst und 60 Minuten Konzert nach Motiven von Lew Tolstoi präsentierte. Foto: Veronika Gareus-Kugel

Manchmal verrückt, manchmal opulent, manchmal schräg oder lustvolle Anarchie. In jedem Fall voller Power. 60 Minuten Objektkunst und 60 Minuten Konzert. Dem Publikum wurde kaum Zeit gelassen, Luft zu holen.

Mit „KAR – Repass“ von der Gruppe Fekete Seretlek landeten die Macher der 34. Puppentheaterwoche Gernsbach gleich zum Start einen Knaller. Es wurde ein Auftakt nach Maß. Der Applaus wollte kein Ende nehmen.

Es war gewagt. Denn all diejenigen, die sich auf ein klassisches Puppenspiel nach Motiven von Lew Tolstoi eingestellt hatten, wurden zunächst enttäuscht. KAR-Repass zitiert russischen Realismus in einer nicht wirklich einzuordnenden Form. Aus unterschiedlichen Darstellungsformaten lassen die Musiker und Puppenspieler in Gernsbach nie gesehenes Neues entstehen. Das Spiel bewegt sich zwischen Kabarett und Comedy mit minimalistischen Anleihen am Puppenspiel.

Fantasievolle Erzählung und lebendige Performance

Die Spieler und Musiker verändern und mischen nicht nur die von ihnen im zweiten Teil des Abends gespielte Weltmusik, sondern auch ihr Spiel, zu einer fantasievollen Erzählung und lebendigen Performance.

Grundlage ihres Handels ist Tolstois Tod im Haus eines Bahnhofsvorstehers. Seine Romanfigur Anna Karenina stürzt sich im Wahn vor einen fahrenden Zug. Noch während des Leichenschmauses voller schwermütiger russischer Melodik und Wodka, von dem das Publikum ebenfalls seinen Teil abbekam, kommt das Leben der Verstorbenen wieder zum Vorschein.

Erzählt wird eine Story mit Nebelschwaden, Rauch und offenem Feuer garniert. Für Sicherheit sorgen die Feuerwehrkameraden von den Abteilungen der Freiwilligen Feuerwehr Gernsbach.

Beim Betreten des großen Stadthallensaals beginnt bereits das Spiel. Ein an der Saaltür stehender „Trauergast“ verteilt brennende Kerzen, die aufgereiht vor dem Verstorbenen ihren Platz finden. Dieser liegt flach auf dem Rücken auf seinem Bauch das Akkordeon. Zu hören sind monotone Tonschleifen.

Das ist die Ausgangsposition. Der Zeitpunkt, sich anzuschnallen, um nicht abzuheben.

Theaterbesucher werden zu Figuren des Spiels

Mit unterschiedlichen Stilmitteln zerrten die Spieler Tolstois Sterben und seine Romanfigur Anna Karenina ans Licht. Die Modelleisenbahn steht für den Tod. Briefe beginnen auf Drumsticks umherzuwandern.

Aus dem Samowar der Wahrheit quillt Weihrauch. Gläser in Form kleiner Stiefelchen tanzen Kasatschok. Ein Tanz vieler Variationen. Die Theaterbesucher werden in Anspielung auf russische Trauerrituale selbst zu Figuren des Spiels.

Die fünf preisgekrönten Spieler Pavol Smolárik (Slowakei, Kontrabass), Anna Bubiniková (Tschechien/Russland, Violoncello), Jiri Jelinek (Violine, Tschechien), Ivo Sedlácek (Tschechien, Cajon, Schlagzeug) und Matija Solce (Slowenien, Akkordeon sowie Regie) sind mit anarchischer Lust unterwegs. Gemeinsam treiben sie die Story um Leben und Tod auf die Spitze. Die Darbietungen sind einem Happening nicht unähnlich.

Die Puppentheaterwoche ist ein Gegenentwurf zum digitalen Zeitgeschehen.
Julian Christ, Gernsbacher Bürgermeister

Der Kreis schließt sich, als Freund Hein auf seiner Sense trommelnd das Spielfeld betritt. Jeden erwischt es einmal. An diesem Punkt angekommen, war es endgültig um das Publikum geschehen. Das, bis auf wenige in der ausverkauften Vorstellung, die inhaltlich aufs Wesentliche reduzierte Welt Tolstois mit Begeisterung annahm. Nicht unerwähnt bleiben soll auch der zweite Teil des Abends mit kraftvollen Titeln aus Russland, Slowenien, Ukraine sowie aus aller Welt, präsentiert mit gleichem Witz und Tornado gleicher Rhythmik.

Der Gernsbacher Bürgermeister Julian Christ (SPD) betonte im Rahmen seiner Begrüßung: „Die Puppentheaterwoche ist ein Gegenentwurf zum digitalen Zeitgeschehen.“ Die seit diesem Jahr in Florian Kräuter einen neuen künstlerischen Leiter hat.

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