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Neue Virusvariante - neue Fragen

Die Corona-Lage im Ortenaukreis im Faktencheck

Die Corona-Lage im Ortenaukreis bleibt verwirrend – vor allem, weil die neue Virusmutation die bisherigen Gewissheiten darüber, wie man sich vor Ansteckungen schützen kann, teilweise über den Haufen wirft. In einer Videokonferenz kamen am Dienstag die Fakten auf den Tisch.

Ein Abstrich für einen PCR-Test wird von einem Mitarbeiter im Corona-Testzentrum genommen.
Bedingt aussagekräftig: Die Selbsttest auf eine Corona-Infektion sind nicht selten falsch negativ. Sicherer ist ein Test durch einen Fachmann. Foto: Sina Schuldt/dpa

126,2 – das war die Sieben-Tages-Inzidenz der Corona-Infektionen im Ortenaukreis am Dienstag. Nicht der höchste Wert, den es je gegeben hat, aber besorgniserregend.

Denn fast überall sonst im Südwesten gehen die Infektionszahlen nach Wochen des Lockdowns deutlich zurück.

Im benachbarten Kreis Emmendingen zum Beispiel liegt die Inzidenz noch bei 25,5, im Kreis Rastatt unter 50, in Baden-Baden unter 40.

Warum der Ortenaukreis, wieder einmal, eine Sonderrolle spielt, das weiß niemand. Trotz der weiter hohen Zahlen – und trotz der zunehmenden Verbreitung der hoch ansteckenden englischen Virusvariante – hat Landrat Frank Scherer am Dienstag schrittweise Lockerungen des Lockdowns ins Gespräch gebracht.

Wo sind die Mutationen aufgetreten?

Ein Pflegeheim, eine Schule, ein Kindergarten. Das Gesundheitsamt ist besorgt, dass es das Virus aller Vorsicht zum Trotz auch in der ansteckenderen Variante in diese Einrichtungen geschafft hat. Von hier aus kann es sich gut weiter verbreiten. 65 Fälle wurden in der Reihenuntersuchung entdeckt, die bundesweit stattfindet. Dabei wird es nicht bleiben, erwartet Evelyn Bressau, Chefin des Gesundheitsamts. Man werde sich nun aktiv auf die Suche nach dem neuen Virus machen, das werde weitere Infektionen zutage fördern. Vermutlich waren die Mutationen in der Ortenau schon verbreitet, als noch niemand darüber gesprochen hat.

Wie kann man sich gegen die englische Variante schützen?

Im Prinzip mit den selben Maßnahmen wie bisher. Doch es gibt viele Fragen. Der bislang genannte Abstand dürfte wohl reichen, sagt Bressau, sicher sei das aber nicht: „Besser mehr Abstand als weniger“. Man steckt sich schneller an. Galt anfangs ein viertelstündiger Kontakt als Faustregel, so seien nun bereits Ansteckungen nach sehr viel kürzeren Begegnungen entdeckt worden. FFP2-Masken helfen, aber sie haben ihre Grenzen, wenn sie nicht richtig getragen werden. Das gilt zum Beispiel bei Bartträgern, oder auch, wenn man die Maske absetzt, um einmal Pause zu machen und dabei in einen Raum geht, in dem jemand infektiöse Aerosole verbreitet hat. Man solle sich nicht in falscher Sicherheit wiegen, warnt Bressau.

In Achern sind zahlreiche Infektionen im Pflegeheim St. Franziskus sehr mild verlaufen, weil die Menschen kurz zuvor geimpft worden waren. Welchen Schutz bietet die Erstimpfung?

Die Experten halten sich bedeckt. Doris Reinhardt von der Kassenärztlichen Vereinigung fordert aber, die Pflegeheime zügig zu impfen. Im Ortenaukreis seien bereits zwei Drittel der 62 Einrichtungen von den mobilen Teams besucht worden. Voller Impfschutz sei aber erst eine Woche nach der zweiten Impfung sichergestellt. Reinhardt geht nach einem Fachseminar davon aus, dass die neue Virusvariante eine sechsfach höhere Infektionsrate hat.

Was bringen die Schnelltests, die man selbst machen kann?

Positive Tests werden meist bestätigt, negative nicht immer. Das heißt: Auch ein negativer Schnelltest bietet keine wirkliche Sicherheit. Dies liegt vor allem an der Technik der Probenentnahme: „Man muss beherzt und ohne Skrupel testen“, sagt Reinhardt, das heißt, der Test wird recht unangenehm für den Betroffenen. Die Ärztin rät dazu, auch bei leichten Symptomen einen Corona-Test zu machen, auch dann, wenn man zum Beispiel im Homeoffice sitzt und keine Krankmeldung benötigt.

Wie laufen die Impfungen?

Die Versorgung mit Vakzinen ist weiter katastrophal. Die drei Impfzentren im Kreis dümpeln im Standgas vor sich hin. Diana Kohlmann, die die beiden Kreisimpfzentren organisiert, rechnet auch für die kommenden sechs Wochen mit lediglich 42 Impfdosen pro Tag und Impfzentrum. Bislang wurden dort lediglich 612 der mehr als 430.000 Einwohner des Ortenaukreises immunisiert. Die mobile Teams des Landes haben 7.368 Menschen geimpft, 45 Prozent davon im Ortenaukreis. „Es ist kein Ende in Sicht, dass wir uns außerhalb der Priorität 1 bewegen“, sagt Doris Reinhardt.

Wie sieht es in den Kliniken aus?

In den Krankenhäusern Lahr und Ettenheim hat man Infektionen im Haus, Abteilungen sind geschlossen. Im Norden und der Mitte sei die Lage stabil, sagt Klinik-Geschäftsführer Christian Keller. Man komme derzeit gut mit der Patientenzahl zurecht, seit elf Monaten arbeite das Klinikum jetzt im Pandemiestatus, sagt Keller. Die Versorgung der Betroffenen sei „absolut gesichert“, im Vergleich zu anderen Kreisen habe man, anders als die Infektionszahlen nahelegen, keinesfalls mehr Patienten, sagt Keller.

Müssen die Kliniken nun noch schärfere Hygienemaßnahmen ergreifen?

Nein, sagt Andreas Christian Schröder, Chefarzt der Klinikhygiene in Offenburg. Die Infektionswege seien die gleichen, das neue Virus hafte aber besser an den Körperzellen und sei deshalb infektiöser. Derzeit gebe es keinen Patienten mit der mutierten Virusvariante, in zwei Fällen vermute man es aber, habe allerdings noch keine Testergebnisse. Verglichen mit der ersten Welle und den dort festgestellten Infektionszahlen sei die Patientenzahl mit Covid-19 vergleichsweise niedrig.

Ist die Grenzlage zu Frankreich schuld an der Corona-Situation im Ortenaukreis?

Dafür gebe es keine Hinweise, sagt Landrat Frank Scherer. Er setzt sich für eine einheitliche Regelung für den kleinen Grenzverkehr am Oberrhein ein. Angesichts der wieder steigenden Zahlen in Frankreich sei es möglich, dass das Land zum Hochinzidenzgebiet erklärt wird. Das träfe vor allem Pendler, weil dann die 24-Stunden-Regel entfällt, die bislang den Verkehr an der Grenze möglich gemacht hat. Er sei mit allen Kommunalpolitikern auf beiden Rheinseiten einig, dass dafür eine Lösung gesucht werden müsse: „Es erfordert eine völlig andere Betrachtung, wenn eine Region so zusammengewachsen ist wie diese, als wenn jemand nach Ischgl zum Skifahren geht“.

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