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Judenhass bei Muslimen

Islam-Experte Ourghi: „Israel ist ein Schloss in einem Dschungel, wir müssen es verteidigen“

Abdel-Hakim Ourghi kam einst als überzeugter Antisemit aus Algerien nach Deutschland. Heute kämpft der Freiburger Islamwissenschaftler gegen den Judenhass – und wird dafür angefeindet.

Der gebürtige Algerier Abdel-Hakim Ourghi leitet den Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.
Der gebürtige Algerier Abdel-Hakim Ourghi leitet den Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Der Autor des frisch erschienenen Buchs „Die Juden im Koran“ tritt öffentlich für einen liberalen Islam ein, der mit westlichen Werten vereinbar ist. Foto: Abdel-Hakim Ourghi

Die Zahl lässt aufhorchen: Rund 1.000 antisemitische Vorfälle hat der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) ab dem 7. Oktober innerhalb eines Monats in Deutschland gezählt. Das war viermal so viel wie im Monatsdurchschnitt von 2022. Viele dieser Fälle, zu denen auch gewaltsame Proteste gehören, ordnet RIAS einem islamischen oder islamistischen Hintergrund zu.

Die Juden seien „nicht unsere Feinde“, der Islam müsse von seinen politischen Tendenzen befreit werden, die Muslime bräuchten eine eigene Erinnerungskultur: Mit Thesen wie diesen hat der Freiburger Islamforscher und Religionspädagoge Abdel-Hakim Ourghi in jüngster Vergangenheit für Aufsehen gesorgt. Bei konservativen Islamverbänden in Deutschland kommen derlei Forderungen nicht gut an.

Dennoch tritt Ourghi, der nach eigenem Bekunden früher selbst ein Antisemit war, entschieden gegen den verbreiteten Judenhass bei Muslimen an. Unsere Redaktion sprach mit dem Wissenschaftler über die tieferen Wurzeln von antijüdischen Vorurteilen, die Stimmung in den Moscheen und darüber, welchen Beitrag die Aufklärung leisten kann.

In Deutschland haben Muslime teils mit Gewalt gegen Israel protestiert. Hat Sie das überrascht?
Abdel-Hakim Ourghi
Nein. Ich wusste schon, dass es einen muslimischen Antisemitismus in unserem Land gibt, allerdings hat er sich früher nicht so deutlich manifestiert. 
Es gibt die Meinung, dass Deutschland zu viele muslimische Migranten aufgenommen hat, die die Grundwerte unserer Gesellschaft nicht akzeptieren. Wie sehen Sie das?
Abdel-Hakim Ourghi
Nicht alle Menschen, die hierherkommen, sind Antisemiten. Aber einige denken so. Viele Jugendlichen, die sich an solchen Demos beteiligen, wurden hier sozialisiert. Doch anstatt zu unseren Werten zu stehen, sympathisieren sie mit der Hamas. Offensichtlich ist die Integration dieser Menschen gescheitert, und die Politiker sollten sich fragen, was sie falsch gemacht haben. Jüdinnen und Juden in Deutschland brauchen keine Lippenbekenntnisse mehr. Sie brauchen Taten im Kampf gegen den Antisemitismus.
Viele Muslime schauen vor allem auf das Leid der Palästinenser im Gazastreifen und sehen Israel als einen Aggressor. Woher kommt dieser Hass?
Abdel-Hakim Ourghi
In der islamischen Welt, aber auch in vielen Gemeinden im Westen, wird den Muslimen vermittelt, dass Hamas und Hezbollah für Gerechtigkeit und Freiheit kämpfen. Es wird ihnen beigebracht, dass „der Jude“ der ewige Feind der Muslime sei und der Staat Israel deswegen bekämpft werden müsse. In den Familien und in den Gemeinden werden die Kinder zu Antisemiten erzogen. Die muslimischen Fernsehsender und das Internet leisten einen erheblichen Beitrag dazu.
Sie selbst kamen mit 23 Jahren als überzeugter Antisemit aus Algerien nach Deutschland. Juden galten Ihnen als Täter, Muslime hingegen als Opfer. Was hat bei Ihnen ein Umdenken bewirkt?
Abdel-Hakim Ourghi
Ich habe hier Jüdinnen und Juden kennengelernt und festgestellt, dass sie keine Feinde sind, sondern Menschen wie wir, die eine Sehnsucht nach Frieden empfinden. Als ich in den 1990ern angefangen habe, Islamwissenschaft zu studieren, habe ich mich zudem mit dem politischen Islam beschäftigt und von der Gewalt gegenüber Juden und Christen erfahren. Die Vertreibung der Juden in muslimischen Ländern wie etwa in Algerien ab 1962: Darüber haben wir früher nie etwas gelernt, weil es ein Tabuthema war. Das hat mich zum Nachdenken gebracht.
Wie wurde denn früher in Ihrer Familie in Algerien über die Juden gesprochen?
Abdel-Hakim Ourghi
Darüber haben wir nicht gesprochen, aber man hat Menschen, die man nicht mochte, als Juden beschimpft. Bis heute heißt es im Bittgebet in den muslimischen Moscheen: „Möge Allah die Muslime im Kampf gegen die Juden unterstützen und den Staat Israel vernichten.“ In den algerischen Medien ist nie die Rede von Israel, sondern nur von Aggressoren und einer zionistischen Besatzung.
Bei der Islamkonferenz kürzlich hat Innenministerin Nancy Faeser von muslimischen Verbänden eine klare Verurteilung der Hamas gefordert. War es richtig, darauf zu beharren?
Abdel-Hakim Ourghi
Ja. Es ist eine Aufgabe der Muslime, sich mit den Ursachen des islamischen Antisemitismus zu beschäftigen. Es ist eine traurige Entwicklung, dass Häuser von Jüdinnen und Juden oder Synagogen in Deutschland mit dem Davidstern markiert werden, dass jüdische Eltern Angst haben, ihre Kinder in die Schule zu schicken, oder dass das Schabbatgebet am Freitag nicht stattfindet, weil Muslime demonstrieren. Das finde ich bedenklich. Was die Islamkonferenz anbetrifft, ist sie für mich nur ein Beruhigungsmittel für die Mehrheit, nach dem Motto: Wir haben die Muslime unter Kontrolle.
Der Vorsitzende des Islamrats, Burhan Kesici, kritisiert, dass Muslime in Deutschland beim Thema Antisemitismus vermehrt unter Generalverdacht stünden. Hat er Recht?
Abdel-Hakim Ourghi
Das ist doch eine Opferrolle, in die man sich begibt, anstatt das Problem zuzugeben und nach Lösungen zu suchen. Nein, nicht alle Muslime sind Antisemiten. Aber das Problem ist definitiv da, und wir müssen darüber sprechen. Ich weiß aber nicht, ob man erwarten sollte, dass die Moscheen und die Dachverbände den islamischen Antisemitismus bekämpfen. Sie würden in den Gemeinden ihre Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie jetzt für Frieden in Israel plädieren und sie Hamas verurteilen.

Terroristen als Freiheitskämpfer?

Wie ist aktuell die Stimmung in den Moscheen? 
Abdel-Hakim Ourghi
In Freiburg besuche ich aus Sicherheitsgründen keine Moscheen, aber ich habe Kontakt zu vielen Musliminnen und Muslimen. Die Menschen, die ich persönlich kenne, verurteilen den Terror der Hamas und kritisieren gleichzeitig den Umgang Israels mit der Bevölkerung im Gaza-Streifen. Andere Menschen, die auf die Straße gehen, sind jedoch heute nicht in der Lage, den Terror der Hamas infrage zu stellen. Sie betrachten sie als eine Befreiungsbewegung, was total daneben ist. 
Auch radikale Islamisten nutzen jetzt den Nahostkonflikt, um für sich in Deutschland zu werben. Ist das gefährlich in Ihren Augen?
Abdel-Hakim Ourghi
Ja. Islamisten haben hier nichts zu suchen. Sie missbrauchen unsere Toleranz. Ich bin der Meinung, es darf mit ihnen keine Kompromisse geben.
Hamas und Samidun wurden in Deutschland verboten…
Abdel-Hakim Ourghi
Ja, aber helfen diese Verbote wirklich? Ich bin eher ein Freund der Aufklärungsarbeit. Bei uns an der Pädagogischen Hochschule Freiburg gab es eine Reise von muslimischen und evangelischen Studierenden nach Israel. Das gibt uns Hoffnung. Begegnungen zwischen Muslimen, Juden und Christen können viele Wunden heilen und den Weg zu einem friedlichen Miteinander öffnen. Es bringt viel, wenn wir Gespräche zwischen Moscheen und Synagogen organisieren. Oder wenn wir muslimische Schülerinnen und Schüler die Schoah-Gedenkstätten besuchen lassen und mit ihnen darüber sprechen. Ich wäre außerdem dafür, in den Schulen ab der vierten Klasse im Unterricht den muslimischen Antisemitismus zu behandeln.
In den Diskussionen zur Nahostkrise gibt es oft eine pro-palästinensische oder pro-israelische Positionierung. Wie schaffen wir es, eine Spaltung in der Gesellschaft zu vermeiden?
Abdel-Hakim Ourghi
Die Israel-Kritik ist ein Versuch, ein Land mit seinen Bürgern zu dämonisieren. Für mich ist das eine Form des modernen Antisemitismus. Denken wir an den 7. Oktober: Wer hat wen angegriffen? Das war die Hamas, die professionell und gezielt agiert hat. Als demokratischer Staat kann Israel ein Vorbild für muslimische Länder sein. Es ist ein Schloss in einem Dschungel, und es ist unsere Aufgabe als Demokraten, dieses Land zu verteidigen.

Lesetipp

Abdel-Hakim Ourghi: Die Juden im Koran. Ein Zerrbild mit fatalen Folgen, Claudius Verlag, 264 Seiten, 26 Euro 

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