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Meinung

von Klaus Michael Baur

Betrachtung zum Heiligen Abend

Lasst uns an Weihnachten einfach wieder Kinder sein

Zum Feiern gehören der Wunderglauben und die Freude – gerade in Krisenzeiten, sagt Klaus Michael Baur, Verleger, Herausgeber, Chefredakteur und Geschäftsführer der Badischen Neuesten Nachrichten.

Weihnachtsbaum
Zum Fest des Glaubens gehört auch der Wunderglauben, die Freude am Feiern, das Genießen. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Das Kind im Manne, das Kind in der Frau, zu oft muss es im Verborgenen leben. Doch an Weihnachten, im Kreise der Familie, ist es anders. Zum Fest des Glaubens gehört auch der Wunderglauben, die Freude am Feiern, das Genießen. Apfel, Nuss und Mandelkern essen nicht nur fromme Kinder gern, sondern auch die Eltern. Anders formuliert: Liebevolle Geschenke und festliche Stimmung machen Kinder froh – und Erwachsene ebenso.

Fähigkeit einer kindlichen Freude zum Fest zu bewahren

Gerade in einem Krisenjahr, in einem 2023 der weltumfassenden kriegerischen Konflikte, in einer Zeit der wirtschaftlichen Engpässe, der großen Sorgen und schrecklichen Ereignisse wie in Prag ist es wichtig, sich die Fähigkeit einer kindlichen Freude zum Fest zu bewahren. Loszulassen, Besinnung und innere Einkehr zu pflegen. Es ist ja die weltweit-integrative Botschaft der Weihnachtsfeier, diese Erde friedlicher und besser zu machen.

Wenn Achtsamkeit ein hohes Wort unseres heutigen Denkens ist, dann ganz besonders an Weihnachten. Sollten Erwachsene es schaffen, wieder staunend wie die Kleinen vor dem leuchtenden Baum und den bunten Kugeln zu stehen, ergreift sie in diesem Moment wieder der Zauber der Kindheit. Wie auf einer Reise ins Vergangene. Wenn dann selbst Vorstandsvorsitzende, wichtige Entscheider und Menschen der politischen Kaste zu Achtjährigen werden und gerührt sind – kann das für unsere Welt nur gut sein. Herbert Grönemeyers „Kinder an die Macht“ müssen wir nicht wörtlich nehmen. Aber zum Fest darf es ruhig heißen: Lasst das Kind-Sein an die Macht – im Innenleben der Großen.

Christen geben der Gesellschaft durch ihre Hilfe den wichtigen sozialen Halt.
Klaus Michael Baur
Verleger, Herausgeber, Chefredakteur und Geschäftsführer

Faszinosum Weihnachten, für Groß und Klein: Selbst in einer Zeit berechtigter kritischer Betrachtungen der katholischen und evangelischen Kirche kann sich niemand dem religiösen Magnetismus dieses Festes entziehen. Weihnachtsmessen erleben hohen Zulauf. Ohne Lieder wie „Stille Nacht, heilige Nacht“ wäre das Fest eine sinnentleerte, um ihren Kern beraubte Übung. Kein Zweifel: Christen haben in diesem Jahr viel ertragen müssen, und die Aufarbeitung zutiefst betreten machender Vergangenheitsthemen ist noch längst nicht beendet. Doch Weihnachten schafft wieder das Bewusstsein: Vom christlichen Glauben und einer überragenden Mehrheit der Christen gehen wesentliche friedensstiftende Impulse aus – in einer ziemlich zerfasernden und der Vernunft entgleitenden Welt.

Glauben verbindet Völker und trennt sie nicht. Die Gläubigen selbst schaffen dieses Kraftfeld. Dem können Negativschlagzeilen um Kirchen-Obrigkeiten und versagende Instanzen nichts nehmen. Und Weihnachten macht bewusst, dass unsere soziale Welt mit ihren Hilfsleistungen für Schwache und Arme, mit ihrem Trost und ihren Spenden für Benachteiligte weder funktionsfähig noch vorstellbar wäre – ohne das Engagement von Leuchttürmen wie der Caritas oder der Diakonie. Oder anderer christlicher Organisationen und Vereine. Schön wäre es, diese Erkenntnis würde sich aufs ganze Jahr übertragen: Es sind neben den unzähligen Ehrenamtlichen die kirchlichen Einrichtungen, die unserer Gesellschaft eine soziale Klammer, einen Halt, geben.

Eine Integrität suchende Gesellschaft wird nur von der Tat gespeist, und dazu gehört die Bereitschaft zu Liberalisierungen – in einem unumkehrbaren Prozess der Öffnung. So ist es ein Hoffnung stiftendes Zeichen, wenn sich in den Tagen vor dem Heiligabend Papst Franziskus bewegt und Segnungen für gleichgeschlechtlich Orientierte und Paare in „irregulärer Situation“, wie es sperrig heißt, möglich macht. Nennen wir es den ersten wichtigen Schritt, den Rom nun geht, um Spaltungen in einem Miteinander zu überbrücken, das längst unsere Zeit prägt.

Von Spaltungen und Brüchen kann unsere Zeit genug erzählen. Europaweit erleben wir eine Stärkung der politischen Ränder, ein beängstigendes Aufleben des Rechtspopulismus, wachsende Zentrifugalkräfte in fast allen Zeitfragen. So auch in Deutschland. Seien es die harschen Auseinandersetzungen um die Asyl-Thematik, um die Berliner Politik und die Ampel insgesamt. Oder um den Nahost- und Ukraine-Konflikt, wo an Weihnachten das Mitgefühl für die Opfer an erste Stelle rücken müsste. Diese Kriege ereignen sich nicht weit weg von unserem Mitteleuropa, das wir immer noch als Insel der Seligen betrachten. Ja, hier können wir noch in friedlichen Wohlstandverhältnissen leben und die Luft der Freiheit atmen. Im Gegensatz zu den ärmsten und von kriegerischen Handlungen überzogenen Regionen.

Das Fest sendet Botschaften gegen das Wutbürgertum in Deutschland aus.
Klaus Michael Baur
Verleger, Herausgeber, Chefredakteur und Geschäftsführer

Umso unverständlicher sind die rasche Unzufriedenheit und der schnell eskalierende Zorn unserer Wutbürger, der uns überall im Lande begegnet. Ungeduld, Egoismus und postfaktisches Denken in der eigenen Blase sind die wahren Geißeln unserer Zeit. Wenn hier Weihnachten als Game-Changer in Richtung eines Nachdenkens wirken könnte, wäre viel erreicht.

Auch das Fest übertüncht freilich nicht, dass es in Deutschland real erlebtes Leid gibt. Armut, Ausgrenzung, Alleinsein: Nur drei Erscheinungen unserer Zivilisationsprozesse, die an Weihnachten als besonders schmerzlich empfunden werden. Neben älteren Menschen sind es verstärkt Jugendliche, die sich abgekoppelt fühlen und vereinsamen. Studien warnen vor Isolation und verhärteter Sicht solcher Menschen. Es sind die Folgen einer anonymisierten Gesellschaft, in der es zu viel Technokratie, zu viel Gewinnstreben, zu wenig Nachbarschaftshilfe und zu wenig Herz für den Anderen gibt.

Machen wir’s den Kindern nach

Das Internet mit seinen vielfältigen Kontaktmöglichkeiten hat daran nichts geändert. Wohl aber kann es gute Ideen verbreiten: Das nordirische Pub „Charlies Bar“ öffnet an Weihnachten gezielt für Einsame und weckt damit weltweites Interesse im Web. Wenn dann Alt und Jung am Heiligabend zum Plausch zusammensitzen, freuen sie sich wie kleine Kinder – und fühlen sich wie der irisch-stämmige Chris Rea im Song „Driving home for Christmas“. Sich wie ein Kind zu freuen, ist das größte Glück an Weihnachten. Machen wir’s den Kindern nach.

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