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Weltkrebstag

Mein Krebsrisiko ist nicht dein Krebsrisiko – auch in der Früherkennung wird mehr Wert auf Individualität gelegt

In der Krebsprävention setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Angebote, die an das individuelle Risiko angepasst sind, den am meisten gefährdeten Personen einen größeren Nutzen bieten und gleichzeitig Menschen mit geringerem Risiko entlasten.

Mammopraphie Krebs Massenscreening
Umstrittene Massenscreenings: In Deutschland werden alle Frauen ab 50 alle zwei Jahre zu Röntgenuntersuchungen der Brust eingeladen. Kritiker plädieren bei der Krebsvorsorge für gezieltere Untersuchungen. Foto: Hannibal Hanschke/dpa

Der eine raucht, der andere nicht. Die eine hat eine Mutter und Großmutter, die an Brustkrebs starben, die andere nicht. Das Krebsrisiko wird durch viele Faktoren beeinflusst und ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Zum diesjährigen Weltkrebstag plädieren Mediziner und Wissenschaftler für Präventions- und Früherkennungsangebote, die das Individuum besser im Blick haben.

Experten, wie die vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, schätzen, dass Krebsprävention und Früherkennung zusammen die Zahl der Krebstodesfälle um bis zu 75 Prozent senken können. „Ebenso wie in der Krebstherapie hat auch in der Früherkennung die Devise ‘one size fits all’ ausgedient“, sagt DKFZ-Sprecherin Sibylle Kohlstädt.

Rund 40 Prozent aller Krebs-Neuerkrankungen könnten vermieden werden, wenn die Menschen krebsfördernde Verhaltensweisen aufgäben. Bei fünf bis zehn Prozent der Krebserkrankungen ist eine erbliche Veranlagung zentraler Faktor.

Zunehmend setze sich die Erkenntnis durch, dass auch in der Früherkennung Angebote, die an das individuelle Risiko angepasst sind, den am meisten gefährdeten Personen einen größeren Nutzen bieten und gleichzeitig Menschen mit geringerem Risiko sowie das gesamte Gesundheitssystem entlasten. Am DKFZ laufen deshalb gerade zwei große Früherkennungsstudien, die solche individualisierten Ansätze prüfen.

Experte: „Tastuntersuchungen bei Prostatakrebs sind obsolet.“

Eine davon befasst sich mit dem Thema Prostatakrebs. Es ist die zweithäufigste Todesursache bei krebskranken Männern. Die von den Krankenkassen empfohlene Tastuntersuchung ab 45 Jahren hält Studienleiter Peter Albers, Direktor der Klinik für Urologie in Düsseldorf und Abteilungsleiter für die Personalisierte Früherkennung des Prostatakarzinoms am DKFZ, für obsolet.

Deutschland ist nach wie vor im Schlaf
Peter Albers, Urologe und Krebsforscher

Die erwiesenermaßen sinnvolle Ermittlung des PSA-Werts, der Auskunft über ein Prostata-spezifisches Antigen im Blut gibt, übernimmt die Kasse dagegen nicht. Das Argument gegen den Massentest: Einerseits kann er drei von 1.000 Männern davor bewahren, an Prostatakrebs zu sterben. Andererseits erhalten bis zu 60 von 1.000 Männern eine unnötige Prostatakrebs-Diagnose – und damit oft eine unnötige Krebsbehandlung.

Albers plädiert deshalb für ein „smart screening“ für Männer ab 45 oder 50. Bei der einmaligen PSA-Wert-Ermittlung könnten die zehn Prozent gefährdeten Männer herausgefiltert und frühzeitig, meist erfolgreich, behandelt werden. Andere Länder machten das bereits. „Deutschland ist nach wie vor im Schlaf“, so Albers.

500.000 Neuerkrankungen jedes Jahr

Im Kampf gegen die steigende Zahl von Krebserkrankungen weltweit müsse das Thema Prävention stärker in den Vordergrund rücken. Die Erfolge der kurativen Medizin dürften nicht über die hohe Zahl von Krebsneuerkrankungen hinwegtäuschen, betonte der Chef des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Michael Baumann. „Es fehlt an evidenzbasierten, kosteneffektiven und flächendeckenden Präventionsangeboten.“

Nach Angaben des Leiters des Heidelberger Instituts erkranken bundesweit noch immer 500.000 Menschen im Jahr neu an Krebs, 200.000 sterben daran. Weltweit werde sich die Zahl der Krebsneuerkrankungen von 19,3 Millionen im Jahr 2020 bis 2030 auf 30 Millionen erhöhen.

In Deutschland werde die Zahl bis Ende des Jahrzehnts auf 600.000 Neuerkrankungen im Jahr wachsen. Zwar lebten 65 Prozent der Tumorpatienten – ohne Gebärmutterhals- und Hautkrebs – mindestens fünf Jahre nach der Krebsdiagnose, sie seien damit aber nicht vor Rückfällen geschützt. Insgesamt lebten in Deutschland vier Millionen Menschen mit und nach Krebs, so Baumann.

Krebs raubt vier Millionen Lebensjahre

Zu den jährlich zwölf Millionen verlorenen Lebensjahren durch Autounfälle, Gewalt und Herz-Kreislauferkrankungen tragen bösartige Neubildungen vier Millionen Lebensjahre bei. Diese Zahl zeige, dass Krebs nicht nur eine Krankheit sei, die im hohen Alter bei einer nur noch geringen Lebenserwartung auftrete, sondern die auch in jüngerem Alter zum Tod führen könne. „Selbst so gut ausgestattete Gesundheitswesen wie in Deutschland, den USA und der Schweiz werden damit nicht fertig werden können.“

Die erschreckende Entwicklung könne nur gestoppt werden, wenn massiv in den Bereich „Nicht-Krebs-Kriegen“ investiert werde. Politik und Gesellschaft müssten für das Thema sensibilisiert werden. Dieses scheine wegen der langen Zeit bis zu spürbaren Erfolgen wenig interessant zu sein. Baumann betonte hingegen: „Prävention muss langfristig gedacht werden.“

Als wichtiges und in Deutschland unterschätztes Instrument der Prävention nannte Baumann die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV), die – im Jugendalter verabreicht – vor Gebärmutterhals-, Penis- und Analkrebs schützen kann. In Deutschland, wo die Impfung vom früheren DKFZ-Chef Harald zur Hausen entwickelt wurde, seien nur etwa 40 Prozent aller Jugendlichen geschützt, in Ruanda dagegen nahezu 100 Prozent. Dort sei die Impfung verpflichtend.

Digitale Früherkennung: Handy hilft bei Haut- und Darmkrebs

Digitale Lösungen für einen vereinfachten Zugang zu Präventionsangeboten werden immer wichtiger. So soll bei einer der häufigsten, zugleich aber rückläufigen Krebserkrankungen, dem Darmkrebs, der Zugang mittels Smartphone erleichtert werden. Dabei wird die Stuhlprobe auf eine Testkassette aufgetragen, die sich abhängig vom Hämoglobinwert mehr oder weniger rot färbt. Das Ergebnis wird abfotografiert und über eine App an den Hausarzt verschickt, so die Vorstellung der DKFZ-Forscher, die derzeit eine Studie zu dem Thema auswerten.

Weiteres Beispiel für künstliche Intelligenz in der Früherkennung ist eine federführend am DKFZ entwickelte Hautscreening-App, die Auffälligkeiten präziser und früher diagnostiziert als bislang. Unnötige Biopsien – also Gewebeentnahmen – werden dadurch vermieden.

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