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Fragen und Antworten

9-Euro-Ticket: Lieber werktags fahren – oder mit dem Bus

Eigentlich klingt es ganz einfach: Warum hängt die Bahn nicht noch einen zusätzlichen Wagen an den Zug an, wenn so viele Menschen unterwegs sind wie an diesem Wochenende? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen zum 9-Euro-Ticket.

Chaos am Karlsruher Hauptbahnhof
Nichts geht mehr: Das 9-Euro-Ticket führte am langen Pfingstwochenende zu teilweise chaotischen Zuständen. Am Karlsruher Hauptbahnhof drängten sich die Reisenden. Foto: René Ronge

Es war ein Chaos mit Ansage. Auf etlichen beliebten Bahnstrecken, die zu attraktiven Reisezielen führen, herrschten am langen Pfingstwochenende wegen des 9-Euro-Tickets teilweise chaotische Verhältnisse. Am Karlsruher Hauptbahnhof kam es zu gefährlichen Szenen.

Überfüllte Züge konnten nicht alle Passagiere aufnehmen, Fahrräder mussten draußen bleiben, der Frust der genervten Kunden entlud sich oftmals am Bahn-Personal.

Unser Redaktionsmitglied Martin Ferber beantwortet die wichtigsten Fragen.

Kann man nicht einfach mehr Züge einsetzen oder mehr Waggons an die Züge anhängen?

Auf den ersten Blick scheint dies in der Tat naheliegend zu sein. Doch so einfach ist es nicht. Leere Waggons, die man problemlos ankoppeln kann, stehen nicht an Bahnhöfen herum, sondern müssten erst aufwendig dorthin gebracht werden, wo sie dringend benötigt werden. Immerhin gelang es der Bahn am Wochenende, bundesweit 50 zusätzliche Züge einzusetzen. „Es fehlt an allem“, sagt Joachim Barth, Vorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn Baden-Württemberg, gegenüber den BNN. „Es gibt kein rollendes Material, es gibt kaum Streckenkapazitäten und es gibt auch kein Personal für die zusätzlichen Züge.“ Zudem können Züge nicht beliebig verlängert werden, da an vielen Bahnhöfen die Bahnsteige zu kurz sind.

Kann die Politik die Bahn zwingen, ihr Angebot zu erhöhen?

Nur den Fernverkehr, also die Fahrten mit dem ICE, dem IC und dem EC, führt die Bahn in Eigenregie durch, im Regionalverkehr fahren sie und andere Unternehmen im Auftrag der Bundesländer. Die Länder definieren, wie der Regionalverkehr auszusehen hat und welche Leistungen erbracht werden müssen. Diese Anforderungen werden ausgeschrieben und befristet vergeben sowie vom Land bezahlt. Die Länder erhalten im Gegenzug vom Bund sogenannte Regionalisierungsmittel. 2021 beliefen sich diese auf rund elf Milliarden Euro, Baden-Württemberg erhielt 1,1 Milliarden Euro. „Wenn die Länder wollen, dass der Schienenverkehr ausgebaut wird, dann müssen sie auch für die entsprechende Finanzierung sorgen und bereit sein, für die entstehenden Defizite aufzukommen“, sagt der FDP-Verkehrsexperte im Stuttgarter Landtag, Christian Jung, unserer Zeitung. „Die Länder sind komplett verantwortlich, sie entscheiden, wie viele Züge in welchem Takt auf welcher Strecke unterwegs sind.“ Die Festlegung des Bedarfs, Ausschreibungen und Vergaben sind allerdings mehrjährige komplexe und aufwendige Verfahren.

Wie kann man als Fahrgast dem Massenandrang entkommen? Welche Alternativen gibt es?

Wer kann, sollte nicht am Wochenende fahren, sondern während der Woche. In Baden-Württemberg sind Pfingstferien, daher sind in dieser und in der nächsten Woche an den Werktagen keine Schüler und deutlich weniger Berufspendler unterwegs. Zudem sollte man die schon in Normalzeiten gut gefüllten Bahnen zu den begehrten Ausflugszielen meiden, eher unbekannte Ziele ansteuern, auf weniger befahrene Nebenstrecken ausweichen oder auf die Linienbusse umsteigen. So lief am Wochenende im Bus-Bereich alles ganz normal.

Der Massenansturm hat auch von den Beschäftigten der Bahn alles abverlangt, vor allem die Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter wurden oftmals bedrängt oder gar beschimpft. Gab es Übergriffe?

„Zu den befürchteten tätlichen Übergriffen gegen das Bahnpersonal kam es nicht, wohl aber zu verbalen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der DB Regio, Ralf Damde. Nach seinen Erkenntnissen seien viele Reisende ohne Bahn-Erfahrung unterwegs gewesen, die sehr viel mehr Hilfestellung als routinierte Bahnfahrer benötigt hätten. „Dazu gehörte auch, dass viele Menschen, die lange nicht Zug gefahren sind, nicht wussten, dass im ÖPNV nach wie vor Maskenpflicht herrscht.“ So erzählen Bahnfahrer, dass einzelne Zugbegleiter in den Zügen Masken verteilt hätten. Die Eisenbahn-Gewerkschaft EVG appellierte an alle Kunden, ihren Frust angesichts überfüllter Züge, Verspätungen oder gar Zugausfällen nicht an den Bahn-Beschäftigten auszulassen. „So wie wir sie kennen, werden die Kolleginnen und Kollegen alles geben“, sagt EVG-Vizechef Martin Burkert.

Welche Rechte haben die Inhaber von 9-Euro-Tickets, wenn ein Zug ausfällt oder sie wegen Überfüllung nicht mitfahren können?

Grundsätzlich gelten nach Auskunft von Joachim Barth vom Fahrgastverband Pro Bahn Baden-Württemberg für alle Kunden die gesetzlichen Regelungen. Kommt die Bahn ihrer Beförderungspflicht nicht nach, stehen den Kunden Entschädigungen zu. So entfällt bei Verspätungen von mehr als 20 Minuten die Zugbindung, Reisende können auf andere Züge ausweichen, notfalls auch auf kostenpflichtige ICE- und IC-Verbindungen. Barth rät den betroffenen Kunden, die Tickets hinterher bei der Bahn einzureichen und die Kostenerstattung zu beantragen. Entsprechende Formulare gibt es an jedem Bahnhof.

Hat der Ansturm auf das 9-Euro-Ticket auch Auswirkungen auf den Güterverkehr auf der Schiene?

In Deutschland gibt es im Gegensatz zu anderen Ländern keine getrennten Trassen für den Personen- und den Güterverkehr, das heißt Fern-, Regional- und Güterverkehr sind auf den gleichen Strecken unterwegs. Vor allem auf dicht befahrenen zentralen Achsen wie der Rheintalbahn von Frankfurt/Main nach Basel führt das zu Problemen. Nach Angaben von FDP-Verkehrsexperten Christian Jung ist während des Pfingstwochenendes der Güterverkehr auf der Schiene zusammengebrochen. „Hunderte von Güterzügen der privaten Bahnen, der europäischen Staatsbahnen und der Deutschen Bahn stehen still und können erst gar nicht zu uns kommen.“ Das schade massiv dem Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg, denn durch den Stillstand würden ganze Logistikketten zusammenbrechen.

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