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Meinung

von Martin Ferber

Pro und Kontra

Corona und Energiekrise: Ist es in Ordnung, Oktoberfest und Cannstatter Wasen zu feiern?

Eine Woche nach dem Münchner Oktoberfest startet an diesem Samstag traditionsgemäß der Canstatter Wasen. Doch mit Blick auf Corona und den Energiehunger der Feste gibt es auch Kritik. Muss das sein?

Oktoberfestbesucher versuchen nach dem Anstich im Paulaner-Festzelt ein Maß Bier zu ergattern.
Freude am Feiern oder aus der Zeit gefallen? Große Volksfeste wie die Wiesn oder der Wasen stehen in der Kritik. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

In München läuft seit dem Wochenende das Oktoberfest, das größte Volksfest der Welt, am kommenden Samstag startet der Canstatter Wasen, das größte Schaustellerfest Europas.

Beide mussten wegen Corona zwei Jahre pausieren, entsprechend groß ist die Freude über die Rückkehr der traditionsreichen Veranstaltungen. Hier wie da werden mehrere Millionen Gäste erwartet, die sich in den Bierzelten und den Fahrgeschäften vergnügen.

Doch es gibt Kritik: Ist das Feiern angesichts von Corona und der Krisen in der Welt noch zeitgemäß?

Ausgelassenes Feiern muss erlaubt sein

In wenigen Ländern der Welt können sich Volksfeste einer derart langen Geschichte rühmen wie in Deutschland. Das Oktoberfest in München, der Wasen in Cannstatt, der Wurstmarkt in Bad Dürkheim und viele andere Jahrmärkte entstammen uralten Traditionen und dem ureigenen Bedürfnis der Menschen, sich gegenseitig in die Augen zu schauen und zu feiern. Sie bleiben auch in digitalen Zeiten ein wichtiger Treffpunkt für Menschen jeden Alters und jeder Herkunft – geografisch wie sozial. Wer Volksfeste nur als energiefressende Virusschleudern und Massenbesäufnis-Stätten betrachtet, wird dem Phänomen nicht gerecht.

Ausgelassenes Feiern muss erlaubt sein. Es hat eine wichtige soziale Funktion. Der Winter wird noch hart genug. Die Pandemie ist nicht ausgestanden, an den Rändern Europas tobt ein Krieg und nach diesem heißen und trockenen Sommer beginnen wir alle erst langsam zu erahnen, was mit der Klimaerwärmung, Inflation und der Energiekrise wirklich auf uns zukommt. Warum soll sich der Flachlandtiroler nicht in Dirndl oder Lederhose werfen, um sich im Festzelt in die Illusion von Sorglosigkeit und heiler Welt zu schunkeln? Viele brauchen das als Kraftquelle.

Ums Kraft schöpfen geht es auch für die Schausteller-Branche. Sie traf Corona ganz besonders hart. Allein das Münchner Oktoberfest bietet 200 Schaustellern die Gelegenheit, drei Wochen lang wieder arbeiten zu können.

Außerdem: Feste wie Wiesn und Wasen sind ein wichtiger Imagefaktor. Menschen kommen aus aller Welt, um einmal dabei zu sein. Für Deutschland ist das eine gute Möglichkeit sich weltoffen und gastfreundlich zu zeigen.

Kontra

Es geht nicht um Tradition, sondern ums Geschäft

Menschenmassen, die dicht gedrängt in völlig überfüllten Bierzelten sitzen, 13.80 Euro für eine schlecht eingeschenkte Mass Bier zahlen und auf dem Heimweg in Hauseingänge oder in der U-Bahn urinieren oder sich erbrechen – das Oktoberfest war schon immer eine äußerst doppelköpfige Veranstaltung. Auf der einen Seite die Lust am Feiern, auf der anderen Seite Ausschreitungen und Exzesse. So gab es 2019 263 Körperverletzungen und 45 angezeigte Sexualdelikte. Und das war nur die Spitze des Eisberges.

In diesem Jahr aber sind Massenveranstaltungen wie die Wiesn oder der Cannstatter Wasen, der am kommenden Wochenende beginnt, völlig aus der Zeit gefallen. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Volksfeste, das haben zuletzt das Gäubodenfest in Straubing oder der Gillamoos in Abensberg gezeigt, sind wahre Corona-Hotspots. Dort sind die Infektionszahlen geradezu explodiert. Und erst recht ist ihr Energiehunger gewaltig. Das Oktoberfest verschlingt drei Millionen Kilowattstunden Strom, so viel wie rund 1.100 Haushalte in einem ganzen Jahr verbrauchen. Diese Verschwendung ist in einer Zeit, in der die Strompreise astronomische Höhen erreichen und die Bürger aufgefordert werden, Strom zu sparen, schlicht zynisch und unverantwortlich.

Um Kultur, Tradition und Vergnügen geht es bei der Wiesn oder dem Wasen schon lange nicht mehr. Vielmehr ums große Geschäft für die Wirte und Schausteller sowie die heimische Hotellerie und Gastronomie. Auf die Umsätze will und kann niemand verzichten.

Man will kein Spaßverderber sein und den Menschen das Vergnügen nehmen. Und doch erinnern die Exzesse an die „Titanic“ – tanzen bis zum Untergang. Was kümmert uns schon das Morgen?

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