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Ex-Bundesjustizministerin zu Missbrauchsvorwürfen

Leutheusser-Schnarrenberger: „Die Kirchen wissen sehr genau, dass sich Mitarbeiter schuldig gemacht haben“

Die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe in der katholischen Kirche früh gefordert, diese mit der Aufarbeitung nicht alleine zu lassen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigt sich enttäuscht über die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat sich als Bundesjustizministern 2010 bei Bekanntwerden der Missbrauchsfälle dagegen gewandt, die katholische Kirche mit der Aufarbeitung allein zu lassen. Sie legte sich mit Bischofs-Chef Robert Zollitsch an. Heute sieht sie sich bestätigt.

Sie haben 2010 als Bundesjustizministerin die Rechtstreue der katholischen Kirche in Sachen sexueller Missbrauch und die Aufarbeitungsbereitschaft infrage gestellt. Wie haben Sie die Zuspitzung damals erlebt und sehen Sie sich heute, nach der Veröffentlichung des Missbrauchsberichts in der Erzdiözese Freiburg, in Ihrer Sicht im Nachhinein bestätigt?
Leutheusser-Schnarrenberger

Ich habe damals auf eine Selbstverständlichkeit hingewiesen. Im demokratischen Rechtsstaat gelten die Regeln, insbesondere die strafrechtlichen Bestimmungen und die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen, für alle Institutionen. Die Zuspitzung hat mich damals entsprechend verwundert.

Erzbischof Robert Zollitsch hat Ihnen damals ein Ultimatum gestellt, Sie müssten Ihre Kritik an der Kirche innerhalb von 24 Stunden zurücknehmen. War es ein Fehler, dass die Politik die Kirche so lange allein gewähren ließ und nicht darauf drängte, eine staatliche Aufarbeitungskommission einzurichten? Wäre es spätestens heute höchste Zeit dafür?
Leutheusser-Schnarrenberger

Es gab und gibt ja Aufarbeitung. Die Stelle des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs arbeitet seit mehreren Jahren sehr intensiv und dann haben sich zahlreiche kircheninterne Untersuchungen sowie Rechtsanwaltskanzleien mit der Aufarbeitung in Diözesen und Klosterschulen befasst und arbeiten teilweise bis heute. Die großen Erwartungen an eine staatliche Wahrheitskommission könnte eine zusätzliche staatliche Kommission wohl nicht erfüllen, weil ihr die rechtlichen Instrumente fehlen würden.

Was also empfehlen Sie?
Leutheusser-Schnarrenberger

Ich habe den Eindruck, dass wir mittlerweile relativ viel über die Missbrauchsfälle in den Kirchen wissen, aber immer noch nicht alle nötigen Konsequenzen gezogen worden sind. Warum wird in diesen Fällen von den Staatsanwaltschaften nicht noch intensiver ermittelt – der nötige Anfangsverdacht ist ja vielfach gegeben? Fehlt ihnen der Zugang zu den Akten? Wie kann den Opfern in den Fällen, die schon verjährt sind, mehr Unterstützung gegeben werden, beispielsweise bei Klagen auf Schmerzensgeld?

Was fordern Sie speziell von den Kirchen ein?
Leutheusser-Schnarrenberger

Die Kirchen wissen sehr genau, dass sich Mitarbeiter schuldig gemacht haben, aber nur wenige Priester wurden ihres Amtes enthoben. Auch in der Aufarbeitung hätte vieles schneller und besser laufen müssen. Es ist jetzt an den kirchlichen Institutionen, sich nicht nur zu entschuldigen, sondern die geschehenen Taten anzuerkennen und die Opfer besser finanziell für ihr erlittenes Unrecht zu entschädigen.

Sollte der Staat die Rechte der katholischen Kirche stärker beschneiden? 
Leutheusser-Schnarrenberger

Das geht nicht so einfach. Die geltenden Regeln im Staatskirchenrecht sind Ergebnis eines langen Aushandlungsprozesses aus der Zeit der Entstehung der Weimarer Reichsverfassung 1919. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist dabei der Schlüssel, und dafür gab und gibt es auch gute Gründe. Dieses Selbstbestimmungsrecht betrifft vordergründig Glaubenslehren. Sie können in einem freiheitlichen Rechtsstaat niemals Gegenstand einer rechtlichen Bewertung oder Überprüfung sein.

Aber?
Leutheusser-Schnarrenberger

Darüber hinaus müssen die Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten aber „innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ordnen und verwalten“. Das sind insbesondere Normen des Strafrechts. Selbstverständlich sind Kirchen und Religionsgemeinschaften damit in vollem Umfang an das Strafrecht gebunden.

Wie kann der Staat denn sicherstellen, dass sich die katholische Kirche an das geltende Recht hält?
Leutheusser-Schnarrenberger

Indem die staatlichen Ermittlungsbehörden konsequent Hinweisen nachgehen. Neben der Aufklärung von Missbrauchstaten kann man etwa auch den Straftatbestand der Strafvereitelung verstärkt in den Blick nehmen. Wer „nur“ Akten verschwinden lässt, um Taten eines anderen zu vertuschen, kann sich mitunter strafbar machen.

Zollitsch hat laut der Berichtsvorstellung seinerzeit der Staatsanwaltschaft Akten vorenthalten und Täter offenbar vor möglichen Ermittlungen schützen wollen. Welche strafrechtlichen Folgen sollte sein Verhalten haben?
Leutheusser-Schnarrenberger

Das zu entscheiden, ist Aufgabe der Ermittlungsbehörden und der Justiz. Ich habe weder Einblick in laufende Ermittlungen, noch kann ich sie bewerten. Es wäre aber wünschenswert, wenn sich amtierende und auch ehemalige Würdenträger der Aufarbeitung nicht weiter verschließen, Fehler einräumen und die Opfer unterstützen.

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