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Von Pamela Reif bis David Kirsch

Gegen den inneren Schweinehund: Eignen sich Fitness-Videos aus dem Netz auch für Frauen Ü50?

Jenseits der Wechseljahre fit werden ohne große Anstrengung? Das versprechen viele Videos im Internet. Doch was bringen die Fitnessvideos, wenn man schon ein paar Lenze mehr zählt? Ein Selbstversuch.

Domestic Training. Active Senior Woman Making Plank Exersise In Front Of Laptop At Home, Free Space
Immer schön lächeln: Wer im heimischen Wohnzimmer seine Fitness verbessern will, findet im Netz zahlreiche Videos. Doch ohne Schweiß und Tränen schwinden die Pfunde nicht. Foto: Prostock-studio/adobe-stock

Die Knie zwicken, der Rücken schmerzt, der Brustkorb folgt den Gesetzen der Schwerkraft. Älter werden ist nichts für Weicheier. Fit werden jenseits der Wechseljahre, das ist eine Herausforderung für jede Frau. Abhilfe versprechen die Videos im Internet. Doch was taugen die Anleitungen? Ein Selbstversuch.

„8.930!“, verkündet die Nachbarin voller Stolz beim Blick auf ihr Armband. 8.930 – das ist die Anzahl der Schritte, die dieser nimmermüde Hungerhaken bis zum Mittagessen absolviert hat. Meine Wenigkeit – schon dieses Wort ist eine heillose Untertreibung – kann da nicht mithalten. 

Aufstehen ging schon mal besser. Der federnde Gang früherer Jahrzehnte hat etwas dezent Schleppendes bekommen; die paar Treppenstufen in höhere Gefilde gleichen der Tour auf den Mount Everest. Gibt es an diesem in die Jahre gekommenen Körper überhaupt noch ein Gelenk, das geschmeidig läuft? 

Der Rücken fühlt sich an, als ob ich drei Tage hintereinander Kartoffeln aufgelesen habe. Bis der Bewegungsapparat halbwegs in die Gänge kommt, brauche ich inzwischen fast so lange wie früher nach einer durchzechten Nacht.

Sport ist sooo gesund!

Abhilfe muss her, schließlich weiß doch ein jeder, dass Sport sooo gesund und wichtig ist. Für die unbeweglichen Extremitäten, die erschlafften Muskeln, das gehetzte Gemüt. Da das eigene Fitness-Studio erneut geschlossen hat – dem die Kundin seit Monaten brav den Obolus überwiesen hat, ohne je das Innere gesehen zu haben –, müssen Alternativen her. 

Das 2.500 Euro teure High-Tech-Fitnessbike mit 22-Zoll-HD-Bildschirm, für das allabendlich im Fernsehen geworben wird, muss es aber wirklich nicht sein.

Einpeitscher geben den Ton an

Einpeitscher jeglichen Kalibers gibt es schließlich genug im Internet – angefangen bei der Karlsruherin Pamela Reif, deren zehnminütigem Sixpack-Workout die Werbung für Fertigpizza vorgeschaltet ist, bis hin zum amerikanischen Fitnessguru David Kirsch, der schon Heidi Klum, Linda Evangelista oder Naomi Campbell in Form gebracht hat. 

Oder um im Sprachduktus der Fitness-Community zu bleiben: in Shape. 

Ran an die Rettungsringe

Das ist auch dringend nötig. Corona hat Spuren hinterlassen, nicht nur bei der Kondition, sondern vor allem auf den Hüften. Die Rettungsringe mögen einen zwar vor dem Ertrinken bewahren, in schmal geschnittenen Hosen lassen sie sich nicht verstecken. 

Also her mit den – kostenlosen – Programmen aus dem Internet, die schnellen Erfolg in kurzer Zeit versprechen. 500 Kalorien in 45 Minuten – da kann man sich ein Stückchen Kuchen am Nachmittag im Homeoffice leisten.

Klotzen, nicht kleckern beim Training

Wer etwas erreichen will, der muss sich Ziele setzen; da heißt es klotzen, nicht kleckern. Ein kurzer Blick in die 17-minütige „Senioren-Gymnastik im Stehen“ zeigt: So eingerostet sind Füße, Arme und konturlose Körpermitte dann doch nicht. 

Das 30-minütige „Dancehall Inspired Workout“ kommt dem bewegungswilligen Musikfan schon mehr entgegen.

Vorturnerin Ashley, deren durchtrainierter Körper in äußerst knappen Sportklamotten steckt, ist typisch amerikanisch „super excited“ und verspricht jede Menge Spaß. 

Dumm nur, dass dem eher gemütlichen Warm-up mit Hüft- und Schulterrollen, Armkreisen und Sambaschritten, die das Möchtegern-Sport-As unangenehm an das Gestolpere in der Tanzschule erinnern, eine mörderische Tanzlektion à la JLo oder Beyoncé folgt.

Der Kampf mit der zwickenden Jogginghose

Das spielerische sexy Hüftwackeln, hübsch mit „Work the Buns“ überschrieben, gerät zum Kampf mit der zwickenden Jogginghose; die aufreizenden Rüttel- und-Schüttel-Dich-Bewegungen scheitern an der Koordination der eigenen Gliedmaße. 

„Last Big One! Breathe!“, verkündet der Bildschirm nach 17 Minuten. Das soll wohl die Aufforderung zum finalen Auspowern sein. Wie ein aufgezogenes Duracell-Häschen tobt Ashley über den Bildschirm, hüpft, springt und wackelt wie die Samba-Queen aus Rio. 

Der abgekämpfte Fitness-Eleve davor kämpft stattdessen mit Erstickungsanfällen und Schweißströmen, sehnt das Ende der 30-minütigen Tortur herbei. 

Kurztraining für den gestressten Couch-Potato

Ist Sport wirklich gesund, weil es das Gehirn angeblich mit mehr Sauerstoff versorgt? Ich spüre jedenfalls nichts von massig Energie für meine grauen Zellen. Vielleicht muss der Couch-Potato in Corona-Zeiten einfach kleinere Brötchen backen. „Ein Vier-Minuten-Workout, das gleich effektiv ist wie eine Stunde Fitness-Studio“, hört sich vielversprechend an, vor allem für gestresste Zeitgenossen, die auf höchstmögliche Effektivität erpicht sind. 

Schnelles Intervalltraining mit hohem Tempo heißt die Zauberformel, mit deren Hilfe jede Menge Kalorien verbrannt werden sollen. Schon die Kniebeugen – so tief wie möglich in die Hocke und mit angespannten Gesäßmuskeln –, erinnern unangenehm daran, dass mal wieder ein Besuch beim Orthopäden fällig ist. 

Die Liegestützen, „ideal für Bauchmuskeln und Trizeps“, sind nichts für Menschen mit Pudding in den Armen. Dass 30 Sekunden so gnadenlos lang werden können! Die zehn zusätzlichen bekomme ich nur noch keuchend und liegend im Delirium mit.

Doch Aufgeben gilt nicht. Das Weibchen vor dem Bildschirm ist zwar kein junger Hüpfer mehr, dessen Bewegungsdrang grenzenlos ist, doch zum alten Eisen verordnet es sich auch nicht. 

Training mit der Fitness-Fürstin

Also her mit der Fitness-Fürstin, auf deren Waschbrettbauch selbst Arnie neidisch wäre. 13 Millionen Follower auf Instagram können sich schließlich nicht irren und haben Kayla Itsines – die mit den pink-weißen Fingernägeln im schicken Unternehmensdesign – zur Multimillionärin gemacht.

Dass der Hashtag #DeathByKayla durchaus ernst gemeint ist, erfahre ich bei dem 30-minütigen „Full Body Home Workout“. Die sterbende Sphinx zum Aufwärmen zieht ein unüberhörbares Knacken im Rücken nach sich, die Stretch-Übungen sind eher was für die Funkenmariechen des Karnevalsvereins. 

Beim Hampelmann-Hüpfen und den Mountain Climbers in der Horizontalen vollführt der Puls ungesunde Höhenflüge. Während ich wie ein ausgepumpter 100-Meter-Sprinter nach Luft ringe, befiehlt Kayla zwischen Hip Flexor, Rotation und Squat Truster „ten more“. Dem erschöpften Beinahe-Fan bleibt nur die Flucht auf die rettende Coach. 

Der Feind der reiferen Frau

Ein Erfolgserlebnis muss es doch geben – im unüberschaubaren Dschungel der Fitness-Videos für den Knack-Po und die straffe Brust. Noch ein letzter Versuch gegen den Feind der reiferen Frau – die schlaffen Hautlappen am Oberarm. „Mit diesem Workout trainieren sich Winkearme weg“, verspricht das 40-Kilo-Geschöpf, das mit waberndem Bindegewebe sicherlich keine Erfahrungen hat.

Die Übungen mit dem Theraband versetzen mich zwar nicht in jenen euphorischen Gemütszustand, von dem Marathonläufer so schwärmen. Ich fühle mich aber auch nicht wie eine kraft- und saftlose Sechzigjährige, die schon an den kleinsten Trippelschritten zur körperlichen Optimierung scheitert. 

Die „Erfolge“ spüre ich tatsächlich am übernächsten Tag – in Form eines höllischen Muskelkaters. Zu sehen ist zwar noch nichts, doch bis zum Sommer ist ja noch massig Zeit. Bis dahin stecken die Winkearme ja ohnehin in dicken Pullovern.

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