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Private Seenotrettung

Mannheimer Medizinstudent: „Die Menschen auf den Booten sind in Panik“

Kritiker verunglimpfen sie als Verbrecher: Seit 2014 rettet die private Seenotrettung „Sea-Watch“ Geflüchtete vor dem Ertrinken im Mittelmeer. Einer von ihnen ist der Mannheimer Student Manuel Spagl.

Ein Seerettungsboot rettet Flüchtlinge aus einem kleinen Boot. Die Flüchtlinge stürzen sich aus dem Schlauchboot ins Wasser.
Beim Einsatz auf dem Mittelmeer gilt für den 26-jährigen Manuel Spagl und seine Mitarbeiter der Sea Watch jede Sekunde. Foto: Fabian Melber

Mit einem Mal stand ihm selbst das Wasser bis zu den Knien. „Der Motor ging aus, es wurde ganz still.“ Manuel Spagl und weitere Crew-Mitglieder der Sea-Watch-2 waren gerade dabei, gekenterte Menschen vor ihnen aus dem Mittelmeer zu ziehen als sie merkten, dass etwas nicht stimmte. Ihr eigenes Boot sank. „Plötzlich waren wir manövrierunfähig“, erzählt Spagl.

Der Mannheimer Medizinstudent sah wie sich die Menschen vor ihm gegenseitig unter Wasser drückten. Ein NGO-Rettungsschiff kam Spagl und den weiteren Crew-Mitgliedern schließlich zur Hilfe. Gemeinsam retteten sie an diesem Tag vor drei Jahren 140 Flüchtende vor dem Tod.

Seit 2016 engagiert sich der 26-jährige Medizinstudent und ausgebildete Rettungssanitäter bei der privaten Seenotrettungsorganisation „Sea-Watch“. „Es ist illegal, diese Menschen ertrinken zu lassen“, sagt er. „Das ist Mord.“ Bei seinem ersten Einsatz vor drei Jahren fuhr er auf dem Rettungsschiff „Sea-Watch 2“ von Malta in das Einsatzgebiet – 24 Meilen vor die lybische Küste.

Mit dem Fernglas hält die Crew Ausschau nach Menschen in Not

Heute wie damals sucht die Crew bei ihren Einsätzen ab 5 Uhr morgens den Horizont mit dem Fernglas nach Booten in Seenot ab. Den Radar überwachen sie rund um die Uhr. „Zunächst melden wir den Seenotfall bei der zuständigen Leitstelle“, sagt der 26-Jährige. Erst dann nähert sich eine kleine Gruppe der Crew in einem Schlauchboot den Menschen in Seenot.

„Wir machen deutlich, dass wir da sind, um ihnen zu helfen – nicht, um sie zurück nach Lybien zu bringen.“ Sogenannte Push-Backs zurück in das Nordafrikanische Land durch die lybische Küstenwache seien nach wie vor an der Tagesordnung.

„Da ist ganz viel in Bewegung, die Menschen auf den Booten sind in Panik“, sagt Spagl. Eine der größten Herausforderungen sei es, die Flüchtenden zu beruhigen.

Im inneren der Boote entsteht ein toxisches Gemisch

Zu dem Zeitpunkt sind die Menschen bereits mehrere Stunden, wenn nicht gar Tage unterwegs. Die Boote befinden sich nicht selten in einem desaströsen Zustand, erzählt der Medizinstudent. Schrauben ragen offen heraus, an denen sich die Menschen verletzen, Schläuche drohen zu platzen.

In der Mitte der Boote entsteht oftmals ein giftiges Gemisch aus Benzin, Seewasser und Fäkalien. Für die Menschen in den Booten zieht das Gemisch Verbrennungen nach sich – an den betroffenen Körperstellen löst sich ihre Haut.

Mit der Verteilung von Rettungswesten ist es nicht getan

Nachdem Schwimmwesten verteilt und Geflüchteten an Bord der „Sea-Watch“ gebracht wurden, kümmern sich Ärzte und Notfallsanitäter um die Verletzten, Essen und Trinken werden vereilt. „Damit ist die Rettung nicht abgeschlossen“, hebt Spagl hervor.

Seien die Geflüchteten 2016 noch auf Handelsschiffe oder die Schiffe anderer Nichtregierungsorganisationen verteilt worden, bringe „Sea-Watch“ die Menschen heute selbst in einen sicheren Hafen.

Als die „Sea-Watch“ mit ihrem Engagement auf dem Mittelmeer 2014 begann, konnte sie noch auf europäische Unterstützung bauen. Spagl hat den Eindruck, dass sich die Initiative mittlerweile weitestgehend alleine auf dem Mittelmeer wiederfindet. „Da kommt niemand mehr“, lautet die ernüchternde Bilanz des Medizinstudenten. „Die politische Situation ist heute eine andere.“

Zuletzt hat das Carola Reckete zu spüren bekommen. Im Juli dieses Jahres widersetzte sich die Kapitänin der „Sea-Watch 3“ den Anweisungen der italienischen Behörden und brachte nach einer tagelangen Odysee auf dem Mittelmeer 40 Geflüchtete in den Hafen nach Lampedusa.

In Folge wird gegen sie unter anderem wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt. Matteo Salvini, ehemaliger Innenminister Italiens, diffamierte die Kapitänin öffentlich als „Verbrecherin“ und „Komplizin von Menschenhändlern“. „Es läuft eine regelrechte Kriminalisierungs-Kampagne“, sagt Spagl.

Wir sind die Reaktion auf ein bereits vorhandenes Problem.
Manuel Spagl, war auf der „Sea-Watch 2“

Der Privaten Seenotrettung wird unter anderem von „Frontex“, der Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, vorgeworfen, ihr Engagement stifte Menschen überhaupt erst dazu an, sich auf den lebensgefährlichen Weg über dass Mittelmeer nach Europa zu begeben.

Die Theorie des sogenannten „Pull-Faktors“ wurde mittlerweile mehrfach widerlegt – unter anderem durch die Studie „Border Deaths in the Mediterranean“ der Universität Oxford. „Der Diskurs ist verschoben, das macht mich wahnsinnig wütend“, sagt Spagl.

In Lybien droht Geflüchteten Verfolgung und Mord

Ihm sei bewusst, dass Fluchtursachen nicht vom einen Tag auf den anderen werden bekämpft werden können. Umso wichtiger sei es, baldmöglichst ein europäisches Seenotrettungsprogramm zu etablieren. „Die zivile Seenotrettung muss von staatlicher Seite übernommen werden – das kann nicht die Aufgabe von Privatpersonen sein.“

Ein Mann mit Rettungsweste vor dem Meer
Die Rettungsweste ist bei seinem Engagement unabdingbar: Mit anderen Ehrenamtlichen rettet Manuel Spagl Flüchtende vor dem Ertrinken. Foto: Tim Wagner

Der 26-Jährige plädiert für ein geordnetes Asylverfahren und ein Ende der Rückführungen von Flüchtenden nach Lybien. „Dort droht ihnen Verfolgung und Mord“, macht Spagl deutlich.

Familie und Freunde unterstützen den Studenten

Als Medizinstudent und Rettungssanitäter ist er auf dem Mittelmeer nicht zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert worden. „Jedoch nicht in dieser Quantität“, sagt der 26-Jährige. Freunde und Familie helfen ihm dabei, das Erlebte zu verarbeiten.

Auch mit anderen Crew-Mitgliedern der „Sea-Watch“ tauscht er sich regelmäßig über die Belastung aus. „Und dennoch ist das nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen in den Schlauchbooten durchmachen“, betont der 26-Jährige. „Die haben die Hölle von Lybien gesehen.“

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