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30 Jahre Deutsche Einheit

Am 31. August 1990 wurde der „Einigungsvertrag” unterzeichnet

Am 31. August 1990 wurde der „Einigungsvertrag” zwischen den Regierungen der Bundesrepublik und der DDR unterzeichnet. Doch zahlreiche zentrale politische Fragen blieben offen.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (links) und DDR-Staatssekretär Günther Krause bei der Unterzeichnung der Urkunden am 31.08.1990.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (links) und DDR-Staatssekretär Günther Krause bei der Unterzeichnung der Urkunden am 31.08.1990. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Die beiden Unterhändler waren übermüdet und völlig erschöpft. Als Wolfgang Schäuble, Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, und Günther Krause, Staatssekretär beim DDR-Ministerpräsidenten und Vorsitzender der CDU-Fraktion in der DDR-Volkskammer, am 31. August 1990 um 13.15 Uhr im festlich geschmückten Ost-Berliner Kronprinzenpalais am Boulevard „Unter den Linden“ den „Einigungsvertrag“ zwischen beiden deutschen Staaten offiziell unterzeichneten, lag ein wahrer Verhandlungsmarathon hinter ihnen.

Bis 2.14 Uhr in den Morgen war in Bonn bei der abschließenden Verhandlungsrunde um die letzten noch strittigen Punkte gerungen worden, ehe die beiden CDU-Politiker aus West- und Ostdeutschland das über tausend Seiten umfassende Vertragswerk zur „Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands“ paraphieren konnten.

Am frühen Morgen stimmten dann die Kabinette in Bonn und Ost-Berlin in Sondersitzungen dem Vertrag zu, mittags schließlich setzten die Verhandlungsführer ihre Unterschrift unter das Dokument.

Am 20. September 1990 stimmten Bundestag und Volkskammer zu

Die heftigen innenpolitischen Dispute in der Bundesrepublik wie der noch bestehenden DDR waren im Augenblick der Unterzeichnung vergessen. Lothar de Maizière, der erste (und letzte) frei gewählte Ministerpräsident der DDR, würdigte das Dokument als eines der bedeutendsten Vertragswerke in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Es handle sich um ein „gründlich ausgehandeltes, in konstruktivem Geist gestaltetes Werk, das den Beitritt und die damit zusammenhängenden Fragen in einer ausgewogenen Balance hält“. Von einem „Tag der Freude für alle Deutschen“ sprach Wolfgang Schäuble.

Es herrschten „Freude und Zuversicht, dass die staatliche Einheit nicht nur kommt, sondern dass sie auch in geordneten Bahnen verläuft“. Drei Wochen später, am 20. September 1990, stimmten der Deutsche Bundestag und die DDR-Volkskammer mit großen Mehrheiten dem Einigungsvertrag zu. Damit war der Weg für den Beitritt der DDR am 3. Oktober um 0.00 frei.

Triumph des deutschen Perfektionismus

Parallel mit den „Zwei-plus-vier-Verhandlungen“, die die außenpolitischen Aspekte der Wiedervereinigung Deutschlands regelten, liefen ab dem 6. Juli 1990 die Verhandlungen um den „Einigungsvertrag“, bei denen beide deutschen Regierungen die innenpolitischen Modalitäten des Beitritts klärten.

In 45 Artikeln wurden Verfassungsänderungen, Rechtsangleichung, Vertragsgeltung, öffentlicher Dienst, Staatshaushalt, Sozialsystem und Kulturförderung geklärt, weitere 19 Kapitel legten für die einzelnen Ressorts Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht sowie Ausnahmen für fortgeltendes DDR-Recht fest. Mit allen Anlagen und Anmerkungen umfasste der Text, als „Triumph des deutsche Perfektionismus“ gerühmt, mehr als 1.000 Seiten.

Und doch blieb er, obgleich er vieles bis ins letzte Detail bestimmte, in zentralen Fragen wie dem Sitz von Bundestag und Bundesregierung, der Regelung des Abtreibungsparagrafen 218 und der Eigentumsfrage, des Umgangs mit den Stasi-Akten, der Entschädigung der SED-Opfer sowie der Änderung des Grundgesetzes offen und vertagte die Lösung auf später - was auch nach der Einigung noch zu heftigen politischen Debatten führte.

„Es war ein Spiel mit vielen Bällen“, beschrieb Wolfgang Schäuble die Problematik. Denn Schäuble wie Krause mussten bei ihren Verhandlungen nicht nur die Interessen ihrer Regierungen vertreten, sondern auch innenpolitische Rücksichten nehmen: In Ost-Berlin war die SPD bis 20. August Partner in einer Großen Koalition, in Bonn war sie Oppositionspartei, die bei den Bundestagswahlen am 2. Dezember 1990 die Regierung Kohl ablösen wollte. Hinzu kam im Westen das starke Gewicht der Bundestagsfraktionen sowie der elf Bundesländer, die im Bundesrat argwöhnisch auf den Erhalt ihrer Besitzstände achteten.

Gesamtes Rechtssystem der Bundesrepublik wird übertragen

DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière machte bei der Aufnahme der Verhandlungen am 6. Juli in Ost-Berlin auf das Paradox aufmerksam, dass der Vertrag zwischen zwei Partnern geschlossen werde, die zueinander finden wollten, von denen der eine aber dadurch untergehen werde.

Schäuble seinerseits akzeptierte die Bitte der DDR, „dass sich die Menschen in der DDR in dem vereinten Deutschland wiederfinden wollen“, machte aber aus seiner Position keinen Hehl: „Wir tun alles für euch. Ihr seid herzlich willkommen. Wir wollen nicht kaltschnäuzig über eure Wünsche und Interessen hinweggehen. Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt.“ So wurde bei den Verhandlungen rasch Einigung erzielt, dass mit dem Beitritt das gesamte Rechtssystem der Bundesrepublik auf dem Gebiet der DDR gelten sollte und alte DDR-Bestimmungen nur ausnahmsweise in Kraft bleiben.

Aber schon die Frage nach dem Termin und dem Modus für die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen war umstritten, erst recht die finanzielle Ausstattung der entstehenden fünf neuen Länder auf dem Gebiet der DDR. Alle elf alten Länder waren sich einig, diese nicht in das bestehende System des Länderfinanzausgleichs einzubeziehen, wären doch damit alle Empfängerländer im Westen zu Geberländern geworden.

Überschattet wurden die Verhandlungen von der instabilen politischen wie wirtschaftlichen Lage in der DDR, Mitte August brach die große Koalition in Ost-Berlin auseinander, de Maizière hatte keine Mehrheit mehr in der Volkskammer, im Lande kam es zu Streiks und Demonstrationen. Im Westen machte sich der beginnende Bundestagswahlkampf bemerkbar, die SPD drohte mit einem Scheitern des Vertrages und erzwang ein Spitzengespräch bei Bundeskanzler Helmut Kohl, der später von einem „Feilschen bis zum Schluss“ sprach.

Gleichwohl, das große Ziel der Wiedervereinigung war bei allem tagespolitischen Dissens unumstritten, Wolfgang Schäubles Taktik, alle Parteien und die Bundesländer in die Verhandlungen mit einzubinden, erwies sich als geschickter Schachzug. Keiner konnte und wollte es sich leisten, den Vertrag letztlich wegen einer Detailfrage platzen zu lassen.

Entsprechend groß war die Erleichterung, als in der Nacht vom 30. auf den 31. August die letzten Hürden genommen und die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Von einem „historischen Tag für Deutschland“ war allenthalben die Rede. „Einen anderen Weg zur Einheit gab es nicht“, bilanzierte Wolfgang Schäuble später, „wer 1990 gezögert hätte, hätte die Chance der Einheit verspielt – vielleicht für immer.“

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