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Landesparteitag für die Bundestagswahl

Die Grünen greifen nach dem Kanzleramt

Bei der Aufstellung der Landesliste für die Bundestagswahl geben sich die Südwest-Grünen selbstbewusst. Ministerpräsident Kretschmann verspricht einen „echten Neuaufbruch“ in Stuttgart.

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, nimmt an der digitalen Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg im Veranstaltungszentrum intersport redblue teil. +++ dpa-Bildfunk +++
Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der digitalen Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/dpa

Bevor er seine Rede hält, gibt Winfried Kretschmann der Kamerafrau ein paar Hinweise. Er wird gleich ein paar Karten hochhalten, sie soll darauf vorbereitet sein, damit die Botschaft auch bei den Delegierten ankommt, die den Parteitag in Heilbronn per Live-Stream verfolgen.

Auf den Karten sind die 70 Landtagswahlkreise abgebildet, jeder in der Farbe der Partei, die dort das Direktmandat gewonnen hat. 1980, beim ersten Einzug der Grünen in den Landtag, ist das Bild fast durchweg schwarz, mit drei roten Einsprengseln.

Mit der Landtagswahl vor wenigen Wochen hat sich das Bild komplett gewandelt. 58 von 70 Kreisen hat Kretschmanns Partei direkt gewonnen. „Das Land ist grün, und dazwischen gibt es nur noch einige schwarze Flächen“, sagt der Ministerpräsident. Das sei das Ergebnis harter Arbeit, dafür danke er allen Grünen. „Der Erfolg bei der Landtagswahl ist Euer Erfolg – ganz herzlichen Dank!“

Kretschmann verteidigt Grün-Schwarz im Land

Kretschmann will die Partei mitnehmen nach den jüngsten Irritationen um das Aus für eine Ampelkoalition im Land und der Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der im Wahlkampf noch als „Klotz am Bein“ geschmähten CDU.

Es ist der erste Parteitag nach dem fulminanten Wahlsieg Mitte März und der folgenden Grundsatzentscheidung für eine Neuauflage von Grün-Schwarz. Hauptzweck der zweitägigen Delegiertenkonferenz ist es, die Landesliste für die Bundestagswahl aufzustellen. Aber die Bewertung der jüngsten Ereignisse nimmt großen Raum ein.

Er habe im Wahlkampf versprochen, dass der Klimaschutz ins Zentrum der Regierungsarbeit rücken werde, sagt Kretschmann. „Ich werde im Mai 73. In diesem Alter nochmal anzutreten, will gut überlegt sein.“ Für die Entscheidung sei die Bekämpfung der Klimakrise zentral gewesen. „Dafür will ich mich nochmal voll reinhängen. Für alles andere hätte ich es nicht machen müssen.“ Und der Konsens, den man mit der CDU in Klimafragen habe, „und den wir mit der FDP eben nicht haben“, habe den Ausschlag gegeben.

Das Argument zieht, nicht zuletzt, weil FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke mit seinen Attacken auf die CDU den Kronzeugen gibt. Er hat der CDU vorgeworfen, sie habe mit dem Sondierungspapier eine „Kapitulationsurkunde“ unterzeichnet. „Das ist eine marktradikale Partei, die in vielen Bereichen, vor allem im Klimaschutz, weit weg von uns ist“, stützt Verkehrsminister Winfried Hermann die FDP-Kritik seines Regierungschefs.

Grüne Jugend behält sich „das Recht vor, gegen den Vertrag zu stimmen“

Begeisterung löst die Aussicht auf weitere fünf Jahre Grün-Schwarz nicht aus, das machen viele Wortmeldungen klar. Aber die Entscheidung wird breit akzeptiert, nur die Grüne Jugend betont weiter ihre Skepsis. Ihr Landessprecher Deniz Gedek sagt: „Wir behalten uns das Recht vor, gegen den Koalitionsvertrag zu stimmen, wenn zu viele Kompromisse eingegangen werden.“

Landesvorstandsmitglied Lena Schwelling sagt, ihre erste Reaktion sei gewesen: „Nochmal fünf Jahre CDU, das kann doch nicht wahr sein.“ Aber mit dem Sondierungspapier, gibt sie sich versöhnt, hätten die Grünen nun schon viele grüne Pflöcke reingehauen.

Auch der Freiburger Kreisvorsitzende Gregor Kroschel berichtet von anfänglicher Enttäuschung über die Koalitionsentscheidung, lobt nun aber das Sondierungspapier. „Wenn wir das alles im Koalitionsvertrag unterkriegen, haben wir verdammt viel erreicht.“

Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz versichert der Basis: „Es wird keine Koalition der Beinfreiheit geben.“ Und die Heidelberger Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner ruft die Delegierten auf, stolz darauf zu sein, „dass die CDU jetzt unser Klimaschutzprogramm akzeptieren muss“.

Realo-Spitzenduo Brantner und Özdemir

Brantner, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion und dem Realo-Flügel zugeordnet, entscheidet das Duell gegen die Ravensburger Parteilinke und Bundestagsfraktionsvize Agnieszka Brugger um Platz eins auf der Landesliste für die Bundestagswahl klar für sich. Es ist die einzige Kampfkandidatur auf den vorderen Plätzen. Platz zwei geht an den früheren Grünen-Bundeschef Cem Özdemir.

Damit ziehen die Südwest-Grünen mit zwei Realos an der Spitze in die Bundestagswahl. Mit Brugger und dem Tübinger Abgeordneten Chris Kühn folgen auf den Plätzen drei und vier zwei Vertreter der Parteilinken, auf Platz fünf mit Landeschefin Sandra Detzer wieder eine Reala, direkt vor dem Bruchsaler Bundestagsabgeordneten Danyal Bayaz auf Platz 6.

Gute Aussichten auch für Kandidaten aus Karlsruhe und Pforzheim

Bislang stellen die Südwest-Grünen 13 Abgeordnete, künftig könnten es nach Modellrechnungen über 30, auf jeden Fall aber deutlich über 20 sein, sodass sich auch die Karlsruherin Zoe Mayer (Platz 13) und Stephanie Aeffner (Platz 16), die für den Wahlkreis Pforzheim kandidiert, sehr gute Chancen ausrechnen können.

Auch Jürgen Kretz, der im Wahlkreis Rhein-Neckar ins Rennen geht, hat derzeit mit seinem Listenplatz 20 realistische Aussichten auf ein Mandat, wie auch der Sigmaringer Grünen-Kreischef Johannes Kretschmann, Sohn des Ministerpräsidenten, mit Listenplatz 22. Für Thomas Zawalski (Platz 26), der in Offenburg kandidiert, könnte es dagegen spannend werden.

„Alles ist drin“, lautet das Motto des Parteitags. „Nach der Villa Reitzenstein“, sagt die scheidende Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl, „greifen wir nach dem Kanzleramt.“

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