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Der lange Weg zum eigenen Urteil

Johann-Peter-Hebel-Plakette geht an Pforzheimer Autor Franz Littmann

Preisträger Franz Littmann wirbt um einen differenzierten Blick auf Johann Peter Hebel. Der habe auch für moderne Gesellschaften noch einen hohen Wert, meint der Träger der Johann-Peter-Hebel-Plakette.

Frank Littmann
Frank Littmann forscht seit Jahrzehnten über Johann Peter Hebel. Foto: Claudia Kraus

Ein unideologischer Denker, ein Freigeist. Einer, der nicht vorgibt, im Besitz der Wahrheit zu sein, sondern nach Wahrheit sucht. Für Franz Littmann ist der Dichter Johann Peter Hebel in vieler Hinsicht ein moderner Mensch.

Er tauge als Vorbild in der heutigen Zeit, die „dringend eine neue Aufklärung braucht“, meint Littmann angesichts einer Flut an Informationen und Falschmeldungen, die sich Tag für Tag besonders in sozialen Medien rasant verbreiten. „Was heute verloren geht, ist die Urteilsfähigkeit“, sagt der in Pforzheim lebende Autor und Philosoph.

Mit seinen Werken über die Geschichte der Pforzheimer Schmuckfabrik oder über das Künstlerehepaar Joho hat sich der gebürtige Durmersheimer in seiner Wahlheimatstadt einen Namen gemacht. Darüber hinaus ist Littmann profunder Kenner des alemannischen Dichters und Kirchenmannes Hebel. Weil er sich um dessen Vermächtnis und um die alemannische Mundart verdient gemacht hat, durfte Littmann kürzlich die in Hausen im Wiesental jährlich vergebene Johann-Peter-Hebel-Plakette entgegennehmen.

In Hausen, einem 2.300-Seelen-Ort, knappe 20 Kilometer von Lörrach entfernt, lebte Hebel in seiner Kindheit. Im Wohnhaus der Familie hat die Gemeinde das Literaturmuseum Hebelhaus eingerichtet, in dem auch eine sechsbändige Hebel-Ausgabe steht – in einer solchen blättert Littmann beim Redaktionsbesuch. 2019 brachte er sie zusammen mit Jan Knopf und Hansgeorg Schmidt-Bergmann heraus. Inzwischen liegt sie in dritter Auflage vor. „Es ist die erste Gesamtausgabe“, sagt Littmann nicht ohne Stolz.

15 Jahre akribischer Arbeit stecken in Gesamtausgabe

Schon zuvor hat Littmann Werke über Leben und Werk Hebels veröffentlicht. In die Gesamtausgabe hat er 15 Jahre akribischer Arbeit gesteckt. Littmann, der Mitglied der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe ist, betont, wie viele Menschen daran beteiligt gewesen seien, die Texte um Worterklärungen zu erweitern, sie zu vereinheitlichen. „Die Hälfte der Texte war bis dahin unveröffentlicht.“

Littmanns Anliegen ist es, den von vielen Zeitgenossen Hebels als „Kräuterpfarrer“ verunglimpften und von heutigen Lesern gerne zum Heimatdichter reduzierten Schriftsteller aus dieser Ecke herauszuholen und ihn vom Image des biederen, provinziellen und rückständigen Geschichtenerzählers zu befreien. „Er hat nicht nur das schmale ,Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes’ geschrieben.“

Littmann verweist auf Hebels Exzerpte aus dem Bestand der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, die wissenschaftlich aufbereitet in die Ausgabe eingeflossen sind. Der studierte Theologe Hebel bezog seine intellektuelle Sozialisierung aus der Antike, er verfasste Texte unter anderem auf Lateinisch, auf Griechisch und Hebräisch.

Littmann verortet ihn in die Tradition der Popularphilosophie, eine im 18. Jahrhundert verbreitete volkstümliche, auf Allgemeinverständlichkeit ausgelegte Philosophie der deutschen Aufklärung, die Wissen für jedermann propagierte. „Es sollte nicht von einer Elite aufoktroyiert werden, sondern populär sein und die Leute zum eigenständigen Denken bringen.“

Viele Anekdoten Hebels enden mit einem kleinen Lehrspruch. „Aber der kann an einer anderen Stelle genau anders herum lauten.“ Für Littmann spiegelt sich darin Hebels Wissen um das ethische Dilemma, in dem jeder einzelne stecke: „Es gibt nicht die eine Wahrheit, die immer und für alle gilt.“ In jeder Situation müsse neu abgewogen, das Handeln austariert werden. „Einmal muss ich mich so entscheiden und mich wehren, das nächste Mal wieder nachgeben.“

Littmann: Heutige Zeit braucht neue Aufklärung

Hebels aufklärerischen Impuls zur eigenen Urteilsfindung begreift Littmann als eine Art Vermächtnis. „Und das ist ganz wichtig für die Demokratie. Eine Demokratie kann nur mit urteilsfähigen Menschen funktionieren.“

Sich situativ entscheiden, umdenken, um dann vielleicht einen neuen Weg einzuschlagen: Dieser Impuls scheint auch Littmans Biografie geprägt zu haben. Nach dem Abitur in Karlsruhe ging er erst einmal für ein halbes Jahr nach London, wo er als Barkeeper in einem Pub arbeitete. Später studierte er in Marburg Philosophie, Soziologie und Pädagogik. „Marburg war die Hochburg der DKP.“

Er selbst engagierte sich bei der kommunistischen Studentenschaft und genoss als Proletarierkind die Anerkennung der Genossen. Nach 200 Bewerbungen und mit Frau und Kind habe er eine mögliche Uni-Laufbahn als erledigt betrachtet. Als seine aus Dillweißenstrein stammende Frau Gudrun die Karlsruher Studenten- und Künstlerkneipe „Kap“ übernahm, half er mit. Außerdem unterrichtete der Doktor der Philosophie an der Insel-Hauptschule.

Ist er der Linie der Linken im Inneren treu geblieben? „Nein“, sagt Littmann, mit der Arroganz der Besserwisser und Dogmatiker habe er nichts mehr am Hut. „Davon hat mich Johann Peter Hebel erlöst“, sagt Littmann voller Hochachtung vor dem erfrischend unideologischen Schriftsteller.

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