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Gleichberechtigung

Warum manche Migrantinnen in Pforzheim ums Radfahren kämpfen müssen

Die Aktivistinnen von „Fancy Women Bike Ride“ wollen Frauen in Pforzheim ermutigen, auf Fahrräder zu steigen. Die Widerstände sind groß.

Elena von Schmeling möchte mit der Bewegung „Fancy Women Bike Ride“ Frauen mit Migrationshintergrund fürs Radfahren gewinnen.
Elena von Schmeling möchte mit der Bewegung „Fancy Women Bike Ride“ Frauen mit Migrationshintergrund fürs Radfahren gewinnen. Foto: Sebastian Kapp

Darf eine Frau eigentlich Fahrradfahren? Dass eine solche Frage im Deutschland des 21. Jahrhunderts noch gestellt wird, mag viele irritieren. Für die Frauen allerdings, die Elena von Schmeling im Blick hat, ist diese Frage eine Alltags-Realität.

Von Schmeling ist nicht nur beim ADFC zuständig für die Radverkehrspolitik in Pforzheim. Sie ist daneben auch Aktivistin bei der Gruppe „Fancy Women Bike Ride“, die vor allem Frauen mit Migrationshintergrund dazu motivieren möchte, das Radfahren zu lernen und zu praktizieren.

„Es geht darum, ein gutes Beispiel zu geben“, sagt sie. Zudem gehe es darum, Frauen mit Migrationshintergrund zu zeigen, dass Radfahren in Deutschland keinesfalls nur Männersache ist, sondern normal.

Manche Männer verbieten ihren Frauen das Radfahren

Das ist es nämlich für viele Frauen immer noch nicht. „Die Frauen ordnen sich den Männern unter“, berichtet von Schmeling. Und die wünschten oft nicht, dass sich ihre Frauen selbstständig in der Öffentlichkeit bewegen oder das Radfahren lernen.

Sie selbst hat die Erfahrung eines dominanten Mannes machen müssen, von Schmeling hat einen osteuropäischen Hintergrund. Andere betroffene Frauen, so berichtet sie, stammen eher aus südlichen Gefilden, wo diese Kultur des stringenten Patriarchats „stärker ausgeprägt“ sei.

Das gilt als peinlich.
Elena von Schmeling
Rad-Aktivistin

Das Problem ist aber nicht nur eines der Geschlechter, sondern auch eines des Verkehrsmittels. „Für viele ist ein Auto ein Statussymbol“, klagt von Schmeling. „Die Männer haben sich daran gewöhnt, dass auch Frauen Auto fahren. Aber wenn sie Radfahren – wie sieht denn das aus? Das gilt als peinlich. So als habe man kein Geld für ein Auto.“

Diese Abwertung von Radfahrern merke sie auch bei Aktionen anderer Gruppen wie etwa Critical Mass. „Da fahren dann schon mal Autos in unsere Reihen rein, einfach um zu zeigen, wer hier der Herr der Straße ist. Das sind dann fast immer Autofahrer aus diesen Kulturgruppen.“

Bewegung stammt aus der Türkei

Die „Fancy Women Bike Ride“ sind international und wurden in Izmir (Türkei) gegründet. Höhepunkt der Aktivitäten ist eine Protestfahrt am 17. September durch Pforzheim. Die Gründung eines offiziellen Vereins, so von Schmeling, lehnt die Gründerin in der Türkei ab. Spenden können deshalb nur etwa zweckgebunden über den ADFC erfolgen.

Wie schwierig das Umfeld ist, zeigte die jüngste Sitzung des Internationalen Beirats. Dort bat von Schmeling um Spenden, um Plakate für die große Fahrt organisieren zu können. 400 Euro, mehr brauche man nicht. Aber das sei schon schwer zu erreichen. Ideen gibt es viele, aber „uns fehlen auch einfach die Menschen, die es umsetzen und Frauen erreichen“.

Sind diese Frauen einmal erreicht, führt sie der Weg von den „Fancy Women“ zu Organisationen wie dem ADFC oder auch Golden Hearts, die Radfahr-Kurse für Migrantinnen anbieten.

Frauke Janssen von der Organisation Golden Hearts sieht das nur als scheinbar „banal“ an. „Es hat viel mit Selbstvertrauen zu tun“, sagt sie. „Fahrradfahren bedeutet auch einen größeren Radius.“

Golden Hearts bietet Radkurse für Migrantinnen an

Dabei ist Migrantin nicht gleich Migrantin. „Das sind alles Frauen aus patriarchisch geprägten, südlichen Ländern“, sagt Janssen. Afrikanerinnen habe sie zwar noch nicht bei sich gehabt. Das liegt aber an den Strukturen von Golden Hearts. Die Organisation bietet vor allem Sprachkurse an, ist im Umfeld der Inselgrundschule aktiv. Aus diesen Sprachkursen würden sich die Teilnehmerinnen rekrutieren. Die Afrikanerinnen in Pforzheim würden eher Sprachkurs-Angebote anderer Organisationen annehmen und seien daher für die Organisation schlechter zu erreichen.

Drei Kurse für je zwölf Teilnehmerinnen hat Golden Hearts mittlerweile angeboten. Anders als beim ADFC richten sich diese Angebote ausschließlich an Migrantinnen. „Es geht auch darum, Frauen untereinander zu stärken, Selbstbewusstsein zu schaffen“, sagt Janssen.

Tja, es ist eben nicht mehr das Pforzheim von Bertha Benz.
Frauke Janssen
Golden Hearts Pforzheim

Dass so etwas 135 Jahre nach der ersten Autofahrt von Bertha Benz nach Pforzheim notwendig ist? „Tja, es ist eben nicht mehr das Pforzheim von Bertha Benz“, sagt Janssen dazu.

Sie begrüßt Initiativen wie die „Fancy Women“. Allerdings appelliert sie auch an die Eigenverantwortung. „Die Stadt macht schon unglaublich viel, es gibt viele Angebote. Jede ist da auch irgendwo ihres Glückes Schmied.“

Wer keinen Platz bei den Goldherzen bekommt, der findet vielleicht ein Angebot beim Stadtjugendring oder dem ADFC und so weiter. „Wir erwarten schon, dass die Leute den Weg auch ein Stück weit alleine gehen.“

Dadurch ist ihre Zielgruppe allerdings auch eine leicht andere als die von von Schmeling. „Wir erreichen vor allem Frauen, die solche Kurse ja von ihren Männern erlaubt bekommen.“ Auch für Männer sei es eine Entlastung, wenn sie nicht mehr für alles zuständig sind, wie das in streng-patriarchischen Gesellschaften üblich ist. Aber das sei eben nicht für alle Familien in Pforzheim die Lebensrealitität. „Die anderen Frauen – und die gibt es – sehen wir natürlich nicht. Und die würde ich gerne erreichen.“

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