Skip to main content

Voraussichtlich 24 deutsche Starter in Peking

Albtraum Quarantäne-Hotel: Behindertensportler blicken mit gemischten Gefühlen in Richtung Paralympics

Selten waren Winterspiele so umstritten wie die in Peking. Auch bei Behindertensportlern wie Andrea Rothfuss und Anna-Lena Forster hält sich die Euphorie gerade in Grenzen. Vor einem Szenario ist die Angst besonders groß.

 World Para Alpine Skiing World Cup St. Moritz, St.Moritz, 17.12.2021 Anna-Lena Forster beim Riesentorlauf der Damen stehend beim World Para Alpine Skiing World Cup St. Moritz am 17.12.2021 im Salastrains in St.Moritz Schweiz. *** World Para Alpine Skiing World Cup St Moritz, St Moritz, 17 12 2021 Anna Lena Forster in the womens standing giant slalom at the World Para Alpine Skiing World Cup St Moritz on 17 12 2021 at Salastrains in St Moritz Switzerland Copyright: xBEAUTIFULxSPORTS/MarcusxHartmannx
Die aus Radolfzell stammende Anna-Lena Forster, die 2018 in Pyeongchang zweimal Gold gewonnen hatte, will auch diesmal bei den Winterspielen ganz vorne mitmischen. Foto: Marcus Hartmann/imago images

Andrea Rothfuss und Anna-Lena Forster haben auf den Skipisten dieser Welt schon allerhand erlebt – und jede Menge erreicht: Gold, Silber und Bronze bei Paralympischen Spielen, Edelmetall bei Weltmeisterschaften, Podiumsplätze im Weltcup en masse.

Andrea Rothfuss aus Loßburg geht in Peking zum fünften Mal bei Winterspielen an den Start. Bislang gewann sie bei Paralympics 13 Medaillen.
Andrea Rothfuss aus Loßburg geht in Peking zum fünften Mal bei Winterspielen an den Start. Bislang gewann sie bei Paralympics 13 Medaillen. Foto: Marcus Hartmann/imago images

Ab Donnerstag kämpfen die beiden jungen Frauen im norwegischen Lillehammer bei der Para-Ski-WM um die nächsten Titel. Wie man Widrigkeiten trotzt und Hindernisse aus dem Weg räumt, wissen Rothfuss und Forster nur zu gut – auf der Skipiste wie auch sonst im Leben.

Wenn nichts Außergewöhnliches mehr passiert, werden die beiden Vorzeigeathletinnen des Behindertensports Ende Februar mit voraussichtlich 22 Kolleginnen und Kollegen im Charterflieger nach Peking sitzen.

Für die aus Loßburg stammende Rothfuss, die für die in Baiersbronn beheimatete VSG Mitteltal antritt, werden es die fünften Winterspiele sein. Für die aus Radolfzell stammende Forster die dritten.

Mit mulmigem Gefühl nach Peking

Trotz aller Erfahrung und Widerstandsfähigkeit wird das Duo mit einem mulmigen Gefühl nach China reisen, wo vom 4. bis 13. März gut 730 Para-Athleten aus aller Welt um Medaillen kämpfen werden. Den beiden Frauen schwant, dass ihnen ganz besondere Paralympics bevorstehen. Corona, Menschenrechts-Debatte, Nachhaltigkeits-Fragen – die bleierne Schwere, die über den Spielen liegt, spürt man nicht nur im Lager der Olympia-Anwärter, sondern auch bei den Behindertensportlern.

Jetzt ist nicht so die Euphorie da wie sonst.
Anna-Lena Forster, zweifache Paralympics-Siegerin von 2018

„Sonst habe ich mich schon ein halbes Jahr vorher darauf gefreut. Jetzt ist nicht so die Euphorie da wie sonst“, gibt die 26 Jahre alte Forster zu, die 2018 in Pyeongchang Gold in der Super-Kombination und im Slalom gewonnen hatte.

Und auch Rothfuss, 2018 in den fünf alpinen Wettbewerben viermal mit Silber und einmal mit Bronze dekoriert, sagt: „Die Gefühle sind ein ganzes Stück gemischter als sonst.“ Die gebürtige Freudenstädterin denkt an die fehlende Unterstützung durch Familienmitglieder und Freunde, die normalerweise an der Piste stehen und nun nicht mitkommen dürfen.

Die größte Angst: ein falsch-positives Testergebnis

Die 32-Jährige hat auch den Gigantismus der Macher im Blick und trauert der misslungenen Bewerbung Münchens und der dadurch verpassten Chance auf „Spiele vor der eigenen Haustüre“ nach. Vor allem aber graut den beiden Frauen vor dem strikten Corona-Regiment, das sie in China erwartet.

Glaubt man Karl Quade, stehen Rothfuss und Forster damit nicht alleine da. „Die größte Angst der Sportlerinnen und Sportler ist die vor einem falsch-positiven Testergebnis“, weiß Quade, der die diesmal rund 70-köpfige deutsche Delegation zum 14. Mal als Chef de Mission begleitet. Zehn Tage Isolation in einem Quarantäne-Hotel statt Medaillenjagd in den Wettkampfstätten – für die Athleten ein Albtraum.

Deutsche Delegation fliegt geimpft nach China

Im Vorfeld gab es aber auch Lichtblicke: Corona riss diesmal so gut wie keine Lücken in den Wettkampfkalender. Vor den Sommerspielen in Tokio war das noch anders gewesen, was damals sowohl die Qualifikation als auch die Einteilung der Sportler in ihrer Behinderung gemäße Startklassen erschwert hatte.

Für Forster, der von Geburt an das rechte Bein fehlt, und für Rothfuss, die ohne linke Hand auf die Welt kam, ist das ohnehin kein Problem, da sie zu den Athletinnen und Athleten mit fester Startklasse gehören. Auch das Impfthema ist diesmal geklärt: Quade zufolge treten in Peking nur deutsche Sportler an, die immunisiert sind.

„Kein Maulkorb“ für die Athletinnen und Athleten

Die Ansteckungsgefahr stuft Quade weder höher noch niedriger als bei Olympia ein. Und sollte es einen Para-Athleten erwischen, seien die Folgen bei den allermeisten nicht schwerwiegender als bei Menschen ohne Behinderung, meint Quade.

Bei der Debatte um Menschenrechtsverletzungen in China bleibt der Vizepräsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) vorsichtig. Er bezweifelt, dass eine Positionierung ob der Pressezensur in China überhaupt vor Ort eine Wirkung entfalten würde. Quade betont aber: „Unsere Athleten sind alle mündig, da hat keiner einen Maulkorb.“

Wenn man sagt, man fährt nicht hin, dann juckt das keinen.
Andrea Rothfuss, Paralympics-Siegerin von 2014 aus Loßburg

Das gilt auch für Rothfuss und Forster. Einen Boykott als Sportlerin lehnt Rothfuss ab. „Wenn man sagt, man fährt nicht hin, dann juckt das keinen. Da reiben sich eher noch die Konkurrenten die Hände“, sagt die Paralympics-Siegerin im Slalom von 2014.

Und von denen gibt es jede Menge. Die Konkurrenz und der Druck seien so groß wie nie zuvor, glaubt Rothfuss. Auch Forster hat in den vergangenen Jahren eine zunehmende Professionalisierung im Behindertensport beobachtet. „Mit einem Beruf nebenher lässt sich das kaum noch vereinbaren“, sagt sie.

Auch deshalb sind sowohl Forster als auch Rothfuss Beamtinnen beim Zoll und Teil des dortigen Skiteams. So haben sie den Rücken frei, um sich fit zu machen für den Medaillenkampf mit den Besten der Besten. Und dem werden sie sich Anfang März auch in Peking stellen. Und sollten die beiden wieder mit reichlich Edelmetall dekoriert zurückkehren, dürften sich spätestens dann die altbekannten Glücksgefühle einstellen.

nach oben Zurück zum Seitenanfang