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Ein Schwatz muss sein

Michele Poerio aus Ettlingen repariert seit fast 50 Jahren Schuhe

Er ist einer der wenigen, der in Ettlingen noch Schuhe repariert, und ein stadtbekanntes Gesicht: Michele Poerio. In seinem Handwerk sagt er, hat sich viel verändert.

Mann an Maschine
Eine Institution in Ettlingen: Michele Poerio in seiner Werkstatt in der Elisabethstraße. In dem Handwerk hat sich viel verändert, sagt er. Foto: Heidi Schulte-Walter

Michele Poerio liebt Schuhe. Ob Sneaker oder Slipper, Stiefel oder Pumps – unzählige Paare sind im Laufe von Jahrzehnten durch seine Hände gewandert.

Die einen in gutem oder zumindest in passablem Zustand, andere wiederum als eher hoffnungsloser Fall.

Der Italiener hat sich um alle gekümmert und kümmert sich noch: mit seinem Reparaturbetrieb in der Ettlinger Elisabethstraße.

Aus dem bitterarmen Kalabrien nach Ettlingen

Die Geschichte der Poerios ist die einer klassischen Gastarbeiterfamilie. Der Vater kam in den 1960er Jahren aus dem bitterarmen Kalabrien in die Stadt an der Alb, weil dort schon Verwandte lebten.

Die Mutter zog 1968 mit ihren drei Jungs nach. „Mein Vater sagte zu ihr, als er mal wieder in Crotone zu Besuch war, Maria, entweder du kommst jetzt mit, oder ich komme nicht mehr nach Kalabrien“, erinnert sich Michele Poerio.

Nach dem Schulabschluss musste schnell Geld verdient werden

Er besuchte die Thiebauthschule und anschließend hieß es für ihn, schnell Geld zu verdienen.

Während seine Freunde eine Lehre als Kraftfahrzeugmechaniker oder Elektriker begannen, heuerte der junge Mann zunächst bei einem Schuh- und Schlüsseldienst im vormaligen Kaufhaus Hertie in Karlsruhe an und lernte die Grundzüge der Schuhreparatur, bevor er dann nach einigen Jahren ins heute nicht mehr existente Ettlinger Kaufhaus Schneider wechselte.

Sticheleien von Kumpels wie „na, Schlabbeflicker“, nahm Poerio gelassen, denn: „Mein Beruf hat mir von Anfang an sehr viel Freude gemacht.“

Ein paar Lastwagen voller Schuhe repariert

1988 entschied sich der heute 63-Jährige, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen und sein eigenes Geschäft zu eröffnen. Gut traf sich, dass die Räume von Schuhmacher Ochs in der Elisabethstraße frei wurden und er dort einziehen konnte.

Der Jung-Unternehmer richtete sich neu ein, investierte in Theke, Regale, Maschinen und Werkzeuge. Er sagt: „Ich habe das nie bereut.“ Wie viele Schuhe, Taschen, Gürtel er im Laufe von drei Jahrzehnten repariert hat, kann er nur schätzen: „Ein paar Lastwagen voll bestimmt.“

Der Beruf hat sich verändert

Michele Poerio sagt, es habe sich so manches verändert in fast 50 Jahren, die er an der Werkbank steht: Die Klebstoffe sind weniger schädlich, beim Schleifen fällt weniger Feinstaub an, die Nähmaschinen leisten mehr.

Der Kundenstamm, den er sich aufgebaut hat, ist groß: Nicht nur aus Ettlingen und der näheren Umgebung, sondern auch aus 30 bis 40 Kilometer Entfernung kommen Leute zu ihm.

Sie haben hochwertige Schuhe dabei und ihre Lieblingsstücke, eher selten Billigware. „Da kostet die Reparatur mehr als die Anschaffung.“ Männer, so die Erfahrung des Fachmanns, „trennen sich nur ungern von Schuhwerk“, Frauen seien da weit großzügiger.

Ich höre viel, aber ich erzähle nichts weiter.
Michele Poerio, Unternehmer

Wer Schuhe zu Poerio bringt, der verweilt dort und hält zumeist noch einen Schwatz mit dem Mann hinterm Tresen. Der erfährt so die Neuigkeiten aus dem „Städtle“, versichert jedoch: „Ich höre viel, aber ich erzähle nichts weiter.“

Was nach rund einem Jahr in der Werkstatt nicht abgeholt ist, das verschenkt Michele Poerio an Menschen mit wenig Geld. Mehr als einmal schon hat er Schuhe für einen guten Zweck in seiner Werkstatt gesammelt, etwa für die Ettlinger Flüchtlingshilfe während des Kosovokrieges oder für den Lauftreff.

Einzug in den Gemeinderat scheiterte an Winfried Schäfer

Die CDU bat das stadtbekannte Gesicht vor Jahren, doch für den Gemeinderat zu kandidieren und prompt erhielt der Handwerker 3.600 Stimmen.

Da aber der Ex-KSC-Trainer Winfried Schäfer bei „Für Ettlingen“ antrat und als Stimmenkönig weitere Bewerber mitzog, blieb Michele Poerio außen vor.

Keines der Kinder will den Betrieb übernehmen

Wie lange er noch Leder zuschneidet, Ösen biegt, Absätze nagelt und Sohlen befestigt, lässt Poerio offen. Einen Komplettrückzug plane er nicht, habe aber die Öffnungszeiten etwas reduziert.

Wie in so vielen Handwerksbetrieben ist auch bei Poerio klar: „Keines meiner beiden Kinder will das Geschäft übernehmen.“ Sie haben sich beruflich anders orientiert.

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